WG nach Plan

Bühne Im Berliner Ballhaus Naunynstraße geht das afrodeutsche Heimatfestival „Black Lux“ mit dem Stück „Schwarz tragen“ und einem Abend über Audre Lorde zu Ende
Ausgabe 40/2013

Anfang 2012 brachte Dieter Hallervordens Berliner Schlosspark Theater das Stück Ich bin nicht Rappaport heraus und hielt es für eine zeitgemäße Idee, den Schauspieler Joachim Bliese für die Verkörperung einer Figur schwarz anzumalen (Freitag vom 12. Januar 2012). Dagegen erhob sich Kritik von verschiedenen Seiten, die durch die Verknüpfungsmöglichkeiten des Internets sich bald bündeln ließ. Seither kennt die deutsche Theaterszene etwa den Begriff Blackfacing. Immerhin. Aber damit ist das zugrundeliegende Problem weder hinreichend erkannt noch beschrieben.

Das Berliner Ballhaus Naunynstraße arbeitet nun einem Verständnis von Repräsentationsvielfalt im Theater von performativer Seite her zu. Black Lux – Ein Heimatfest aus Schwarzen Perspektiven setzte als Veranstaltungsreihe zum Saisonauftakt einen Akzent, der sich durch schlichte Praxis in den Horizont der Blackfacing-Debatte integrieren ließ. Shermin Langhoff, heute Intendantin des Gorki Theaters, hatte das Haus im Jahr 2008 als postmigrantisches Theater etabliert. Inzwischen hat die neue Leitung unter Wagner Carvalho und Tuncay Kulaoglu den Fokus erweitert: Neben türkischdeutschen Erfahrungen wurde bei Black Lux die Sicht eines neuen, afropolitanen Deutschlands zum Kunst-Gegenstand.

Eigene Blindheit

Unter allen Aktivitäten kam Branwen Okpakos Aufführung von Elizabeth Blonzens Stück Schwarz tragen besondere Aufmerksamkeit zu – das Ballhaus ist ja vor allem ein Theater. Schon an diesem Stück zeigte sich der verwinkelte Rahmen aus Erwartungen und Stereotypen, in dem ein solches Kunstprojekt steckt. Aus weißer Perspektive ist man schnell geneigt, jede künstlerische Position stellvertretend für die Haltung einer ganzen Gruppe zu begreifen, also von Schwarz tragen eine amtlich-endgültige Stellungnahme des afrodeutsch inspirierten Theaters zu erwarten.

Dennoch muss man sagen: Hier wurde eine Chance vertan, die Begriffe der Debatte ins Spiel zu bringen. Das liegt vor allem an Blonzens Text, dem man anmerkt, dass er allzu vielen Zwecken gleichzeitig dienen will. Das Stück findet seine Szenerie in einer Wohngemeinschaft. Cyrus (Thomas B. Hoffmann), Vicki (Sheri Hagen), Joy (Thelma Buabeng) und Eric (Ernest Allan Hausmann) leben hier zusammen. Am Ende begreift man diesen Raum als „safe space“, als Schutz-Zone, in der die Bewohner sich nicht dafür rechtfertigen müssen, dass sie nicht weiß sind – leider wird der Schrecken dieses Rechtfertigungsdrucks vorher kaum anschaulich.

Als dramatische Klammer dient die Abwesenheit des fünften Mitbewohners Frank (von Tyron Ricketts in Videoszenen dargestellt), die Cyrus etwas verdruckst als Tod und schwules Outing artikuliert. Die Figuren schwanken in der Anlage zwischen Alltagsnormalität und politischem Statement zwangsläufig zwischen Charakteren und Typen. Während Vicki aus früher Gewalterfahrung das etwas unverbunden erzählte Projekt ableitet, erste schwarze Bundesrichterin zu werden, kokettieren Eric und Joy mit dem tendenziell politikfernen Hedonismus der Nachgeborenen, ohne dass aus diesem generationellen Konflikt größere dramatische Spannung resultierte.

Einen weiteren Black Lux-Programmpunkt bildete am vergangenen Samstag ein Abend zu Audre Lorde. Über den Einfluss der New Yorker Schriftstellerin und Aktivistin auf die afrodeutsche Frauenbewegung in Deutschland ist im letzten Jahr ein Buch erschienen (Euer Schweigen schützt euch nicht!, hg. von Peggy Piesche, Orlanda).

Weil Lorde eine so faszinierende Figur ist, lohnt sich für diejenigen, die der Veranstaltung mit Peggy Piesche und Maisha M. Eggers beiwohnen konnten, auf einen Film hinzuweisen, der auf der Berlinale 2012 im Panorama zu sehen war und mittlerweile auf DVD vorliegt: Audre Lorde. Die Berliner Jahre 1984 bis 1992. Gemacht hat ihn Dagmar Schultz, jene Nordamerikanistin, die Lorde seinerzeit zu einer Gastprofessur an die FU Berlin einlud (und von dieser anfangs verdächtigt wurde, eine lesbische CIA-Agentin zu sein).

Man hat in dem Film die seltene Möglichkeit, in den historischen Videoaufnahmen zu sehen, wie Geschichte gemacht wird – durch die Ausprägung eines Bewusstseins. Lordes Lektionen verhelfen den schwarzen Deutschen (unter ihnen die Dichterin May Ayim, nach der in Berlin heute eine Straße heißt) zu eigener Sprache und Organisation: „Afrodeutsch“ und „Bindestrich-Menschen“ sind Wörter, die, von Lorde gelernt, eine positive Selbstbeschreibung überhaupt erst möglich machten. In der Folge gründeten sich die Initiative Schwarze Deutsche (ISD) und die feministische Schwesterorganisation Adefra, und May Ayim legte mit anderen Farbe bekennen vor, ein zentrales Dokument afrodeutscher Identität.

Die Pointe dieser Beziehung besteht darin, dass Lorde umgekehrt von Berlin selbst neue Energie bekam. Eine schon ältere Krebserkrankung konnte durch die Behandlung beim Naturopathen, an den die Berliner Freundinnen Lorde vermittelten, zurückgedrängt werden.

Audre Lorde. Die Berliner Jahre 1984 bis 1992 Dagmar Schultz 79 Min., Engl. mit dt., span. und frz. UT, 70 Min. Extras. Edition Salzgeber, 19,90 €

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