Zu den offenbar größten Verwirrungen des modernen, weißen Menschen gehört die Frage, wie er Menschen bezeichnen soll, die nicht aussehen wie er selbst. „Man weiß ja gar nicht, was man noch sagen darf“, lautet die stereotype Formel dafür, die unentwegt gemurmelt wird, seit es das vermaledeite Begriffspaar „Politische Korrektheit/Inkorrektheit“ gibt, also seit über 20 Jahren. So wie, das nur als Beispiel, an einem Sonntag im April 2012, da auf einer Diskussionsveranstaltung in Neuhardenberg zum vermaledeiten Begriffspaar geredet werden sollte. Als der als Schriftsteller angekündigte Thomas Brussig in seinem Eingangsgejammer sofort auf sogenannte Sprachpolizisten abhob und es mit gewissen Begriffen, die seinen Ressentiments Ausdruck verschafften, nicht so genau nehmen wollte, erinnerte Mitdiskutantin Renate Künast ihn daran, dass er doch „ein Mann des Wortes“ sei und also schon vom Beruf her eine Art Sprachpolizist. Das war hübsch. Einem Schriftsteller, der es mit Begriffen nicht so genau nimmt, ist so sehr zu trauen wie einer Zahnärztin, die auf den Unterschied zwischen Caninus und Prämolar pfeift, also gar nicht.
Man könnte nun Brussig stellvertretend für die ihm grummelnd Zustimmenden („genau“) fragen, was sein verdammtes Problem ist. Es dürfte selbst in fortgeschrittenem Alter nicht schwer sein, die eine Bezeichnung für nicht-weiße Menschen, die vor 30 Jahren vielleicht weniger inkriminiert, aber genauso rassistisch gewesen ist wie heute und von der die Brussigs so ungern lassen wollen („sagen die doch selber“), durch solche zu ersetzen, die den großen Vorteil haben, die Menschen, die damit gemeint sein sollen, nicht zu diffamieren: Schwarz, afrodeutsch, People of Colour.
Der Elefant im Zimmer
Kann man hinkriegen, ist nicht das Große Latinum, deckt sich mit den Bemühungen um eine hochstehende Kultur (ins Theater gehen, Bücher lesen). Zumal in anderen Lebensbereichen das Updaten von Begriffen funktioniert, etwa bei der Telekommunikation. Kein Mensch will zum Smartphone „Fernsprechgerät“ sagen, ein paar fundamentalistische Anglizismusallergiker vielleicht ausgenommen. Und dass der Ausdruck „Frau of Colour“ bewusst anders akzentuiert als „farbig“, müsste weißen Menschen doch zu vermitteln sein, die wissen, dass das Handy nur im Deutschen so heißt, obwohl es sich um ein englisches Wort handelt.
Man kann die scheinbar größte Verwirrung also schnell auflösen, indem man furchtbare Begriffe durch solche ersetzt, die nicht beleidigen. Wobei „ersetzen“ hier die Denkbewegung einschließt, dass der neue Begriff nicht nur modischer Mantel fürs alte Ressentiment ist. Ein Smartphone heißt auch deshalb so, weil es etwas anderes meint als ein Handy, um noch mal ein Beispiel zu nehmen, das offenbar leichter zu verstehen ist.
Ersetzen, nachdenken, kann man ja mal ausprobieren, mag die aufgeschlossene Leserin nun erwägen. Was aber machen wir dann mit Axel Hacke? Der SZ-Kolumnist hatte ja bereits 2004 ein, laut Untertitel, Kleines Handbuch des Verhörens herausgegeben – und zwar unter dem Titel Der weiße Neger Wumbaba. Wie soll man da was ersetzen? Ohne das N-Wort (das ich hier so nenne aus Unlust, diesen unsäglichen Begriff selbst in kritischer Absicht zu reproduzieren) funktioniert der Verhörer doch gar nicht („der weiße Nebel wunderbar“)? Hacke weiß auch keinen Rat, wie er in provozierender Schlichtheit Anfang 2013 bekannte – in einem auf seine Weise legendären Zeit-Dossier, in dem Generalfeldmarschall Ulrich Greiner anlässlich der Neuauflage eines Kinderbuchs eine der letzten großen Schlachten für die Meinungsfreiheit befehligte; sie hat auch das überlebt.
Man könnte sich mit Hackes Selbsterklärversuchen beschäftigen, was aber zu nichts führt, weil deren Modus das Lippenbekenntnis ist („Auch halte ich den Kampf gegen Rassismus für wichtig, aber welcher anständige Mensch täte das nicht?”). Interessant an dem Buchtitel samt adäquater Illustration von Michael Sowa und Hackes Ignoranz ist etwas anderes – etwas, das im Englischen elephant in the room heißt. Der „Elefant im Zimmer“ meint einen Umstand, der nicht zu leugnen ist, über den aber, weil er alle Anwesenden peinlich berührt, keiner redet. Anders gesagt: Hackes Buchcover ist ein Monument des deutschen Rassismusdiskurses.
Versöhnung im Niedlichen
Denn die entscheidende Frage lautet nicht, wie man das N-Wort auf dem Titel ersetzen kann, sondern wie das N-Wort und das sich quasi selbst zeichnende Bild auf einem Buch landen im Jahre 2004, als Rassismen gesellschaftlich durchaus problematisiert wurden.
Zur Antwort verhilft ein kleines Gedankenspiel. Hackes Buch handelt von Zuschriften, in denen Leser ihre kindlichen Fehlleistungen beim Hören von Liedtexten mitteilen. Stellen wir uns einmal vor, einer der Einsender hätte sich so verhört, dass dabei – bei welchem Lied auch immer – „der ewige Jude Jägermann“ herausgekommen wäre. Wäre das der Titel des Buches geworden? Hätte Zeichner Sowa einen „ewigen Juden“ gemalt mit Hakennase, fiesem Grinsen, münzenschwingend, der einen putzigen Jägerhut trägt und das Gewehr über der Schulter? Hätte es diese Verhörung überhaupt in das Buch geschafft? Hätte der Mensch, der sich als Kind so verhört hätte, diese Fehlleistung eingesandt? Hätte er sich überhaupt derart verhört?
Wir alle würden diese Fragen mit Nein beantworten, und keiner riefe deshalb Zensur oder Sprachpolizei. So schwierig Vergleiche sein mögen – dieser zeigt, dass wir nichtjüdischen Deutschen begriffen haben, was wir weißen Deutschen nicht verstehen wollen: Man kann aus besserem Wissen und eigener Überzeugung auf die Reproduktion von Bildern der Abwertung verzichten, selbst wenn sie „nur“ durch kindliches Verhören aufgerufen werden. Und das bessere Wissen, dass Antisemitismus ein Problem ist und sich in kulturellem Nebenher zeigen kann, hätte hier wohl nicht erst bei der Redaktion des Buches eingesetzt: Der Einsender hätte sich gar nicht mehr in der von mir vorgestellten Hinsicht verhört haben können, weil er die Bilder und Begriffe nicht mehr im Kopf gehabt hätte.
Im Falle von Hackes Buch aber ist die Traditionslinie der diskriminierenden Bilder nicht unterbrochen, mangelt es an einem Moment der Reflexion. Also landet die rassistische Karikatur (Lendenschurz, Knochen im Haar, tumbes Grinsen) sogar auf dem Titel – N-Wort inklusive, das jahrhundertelang Ticket für Erniedrigung, Ausbeutung, Versklavung und Ermordung von Menschen gewesen ist. Das wissen wir weißen Deutschen irgendwie, glauben aber damit nichts zu tun haben zu können; Kolonien hatten wir ja nur für kurze Zeit, und Alliierte, die uns Re-education verschrieben hätten, gab’s in dieser Sache nicht. Deshalb glaubt Hacke, dass es kein Problem sei, solch ein Cover zu machen.
Mit viel Abstand könnte man freilich sagen: Hacke musste dieses Cover machen. Es bildet nämlich den verzagt-verzögerten Stand des deutschen Rassismusdiskurses präzise ab (der immer auch nach Gelegenheiten sucht, scheinbar unschuldig das N-Wort sagen zu können). Es ist der Elefant im Zimmer, über den wir nicht reden, den wir nur ausmalen können. Die Geister unserer Geschichte lassen sich nicht verdrängen, und dann kehren sie zurück als scheinbar harmloses Bild von Michael Sowa.
Das Cover will schon auch noch das N-Wort sagen, es sucht sonst aber nach Versöhnung im Niedlichen. Der Schwarze ist „weiß“ wie wir und die Verhörung betrifft ein Lied, das Kindern zum Einschlafen vorgesungen wird: „Der Mond ist aufgegangen“. Dass die Fehlleistung ausgerechnet in Matthias Claudius’ Abendlied von 1778 projiziert wird und nicht in einen Hit aus den 1980er Jahren, ist, unfreiwillig, die tiefste Wahrheit des Buchs: In unserer Kultur steckt der Alp des Rassismus seit Langem, und lässt sich nicht in den Schlaf wiegen.
In Buchläden findet man Hackes Buch übrigens unter Humor. Eigentlich müsste es unter Horror stehen.
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