Standfest gegen autoritäres Unrecht: Der Roman The Glass Box von J. Michael Straczynski

Buchkritik Mit The Glass Box hat der v.a. für Science Fiction-Serien und Comics bekannte US-Autor J. Michael Straczynski nach Together We Will Go (2021) erneut einen realistischen Roman vorgelegt.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Im Zentrum von The Glass Box steht Riley Diaz, eine junge politische Aktivistin, die während einer Demo gegen eine immer repressiver werdende US-Regierung verhaftet wird und zur 'Therapie' in eine von der Regierung übernommene psychiatrische Klinik kommt.

Straczynski schildert also kein Science-Fiction-Szenario, wie er es in seiner bekannten Serie Babylon 5 (1993-1998) und als Co-Autor der Serie Sense8 (2015-2018, mit den Wachowskis) gezeigt hat. Es handelt sich auch nicht um eine Superhelden-Fantasie wie in den Comics des Autoren. Und ebensowenig ist The Glass Box eine Dystopie wie George Orwells 1984. Nein, das Buch spielt nur wenige Jahre in der Zukunft in den USA, nach der Wahl des nächsten oder vielleicht übernächsten Präsidenten und zeigt damit eine sehr realistisch wirkende, aber sehr beunruhigende 'Normalität'.

Normalisierte Repression

Der neu gewählte Präsident kommt angesichts ständiger Demonstrationen zahlreicher Menschen auf die Idee, dass in der US-Verfassung zum Punkt Versammlungsfreiheit ja gar nichts über die maximale Anzahl der Versammelten gesagt wird. Rückwirkend wird festgestellt, dass zur Gründungszeit der USA wohl nicht mehr als 10 Personen gemeint waren, denn damals hätten die Leute ja gar nicht so einfach reisen und sich treffen können.

Eine absurde Argumentation, aber der mit Anhängern des Präsidenten besetzte Oberste Gerichtshof stimmt der neuen Interpretation der Verfassung mit einer Mehrheit von 5 zu 4 Stimmen zu. Um das Bundesstaaten-übergreifend durchzusetzen, wird eine neue Polizeieinheit gegründet, die National Police Force. Die steht fortan den Demonstrant*innen gegenüber und ist mit dem Einsatz von Schlagstöcken, Tränengas und Gummigeschossen nicht zimperlich.

Riley Diaz ist eine erfahrene Demonstrantin, der ihr Aktivismus schon durch das irländisch-kubanische Elternhaus in die Wiege gelegt wurde. Von ihrer Mutter hat sie eine Reihe von Rules of Engagement (Einsatzregeln) mitbekommen. Die Wichtigste: friedlich bleiben und nie den Kampf gegen die Polizei beginnen, denn sonst könnte der Staat das als Begründung für genau die Zwangsmaßnahmen heranziehen, gegen die ja protestiert wird. Regel Nummer zwei: Nie den ersten Schritt zur direkten Konfrontation machen, sondern darauf warten, dass die Polizei das tut. Und Regel Nummer drei: nicht weglaufen, einander beschützen und niemanden zurücklassen.

"Boots on the Ground, Bodies in the Way"

Nie einen Kampf beginnen, aber ihn immer beenden - das war schon das Motto, das Straczynski vor Jahren seiner Figur John Sheridan verpasst hat, der in Babylon 5 gegen einen (ebenfalls demokratisch an die Macht gelangten) Diktator kämpfte. Doch während Sheridan als Captain einer Raumstation über militärische Strukturen und Ressourcen verfügte, ist Riley Diaz eine einfache Aktivistin. Nach dem Motto "die Stiefel fest auf dem Boden, die Körper in den Weg" stellt sie sich mit anderen Demonstrant*innen der NPF, friedlich, standhaft und trotz der Angst, durch Tränengas und Schlagstöcke verletzt zu werden.

Den Aktivist*innen geht es darum, Sand ins Getriebe der anonymen staatlichen Maschinerie zu streuen, um Zeit zu gewinnen - Zeit für all diejenigen, die auf juristischer, politischer oder journalistischer Ebene gegen das sich immer mehr verfestigende autoritäre System vorgehen (immerhin, wenigstens gibt es in The Glas Box noch unabhängigen Journalismus, und Twitter heißt, by the way, noch Twitter).

Es kommt, wie es kommen muss: Riley wird verhaftet. Statt ins Gefängnis kommt sie für sechs Monate in ein sogenanntes American Renewal Center (ARC) - ein Pilotprogramm, in dem der Staat die aus seiner Sicht widerspenstigen Menschen wieder zu 'produktiven' Mitgliedern der Gesellschaft machen will. In anderen Worten: ein Umerziehungsprogramm. Riley kommt ins ARC Nummer 14 in Seattle, das an eine psychiatrische Klinik angegliedert ist, in der auch andere Patient*innen leben.

"Nein!"

Ziel der 'Therapie': Die Aktivist*innen sollen einsehen, dass ihre Wut eigentlich aus persönlichen Ursachen komme und sie sie nur fehlgeleitet gegen den Staat gerichtet hätten, manipuliert durch irgendwelche Aufwiegler von außen, die der Nation schaden wollen. Der Großteil des recht kurzen Buches zeigt nun, wie sich Riley an das Leben in dieser ungewöhnlichen Gemeinschaft gewöhnt, sich mit anderen Bewohner*innen anfreundet (was nicht immer ohne Konflikte auskommt) und wie sie sich gegen missbräuchliches Personal zur Wehr setzt.

Das Leben als ewige Querulantin ist freilich nicht einfach. Jedem "Nein!", das Riley ihren 'Therapeut*innen' entgegenwirft, folgen negative Folgen oder Sanktionen. Doch wie auf der Straße, bleibt Riley auch in der Einrichtung standfest, teilweise unterstützt durch wohlwollendes Klinikpersonal. Nach und nach erfährt Riley, worum es bei ARC wirklich geht - wie es überhaupt möglich ist, dass so etwas legal existieren kann, und welche Schritte die Regierung als nächstes geplant hat. Wieder entlassen zu werden, ist am Ende nur ein Zwischenschritt.

Das Marketing des Verlags vergleicht das Buch mit "Einer flog übers Kuckucksnest". Das liegt aufgrund des Settings und bestimmter Strukturen des Klinikbetriebs (etwa die Abhängigkeit der Entscheidung zur Entlassung von der Meinung eines einzelnen Arztes) vielleicht nahe, aber der Fokus von The Glass Box ist doch etwas anders. Das Buch kritisiert vor allem, wie politisch unliebsame Menschen ungerechtfertigt für psychisch krank und therapiebedürftig erklärt werden können, um ihre politischen Einstellungen anzugleichen, und wie ein System, das eigentlich zur Heilung tatsächlich leidender Menschen gedacht ist, dafür missbraucht werden kann.

Fazit

The Glass Box ist vermutlich kein Buch, für das sich die 'gehobenere' Literaturkritik interessieren wird. Dafür ist alles zu unverblümt. Es ist keine Allegorie, keine abstrahierte Dystopie, es geht um genau das, was geschildert wird. Doch die klare politische Botschaft des Buches ist gerade jetzt besonders wichtig - es ist nicht die Zeit für subtile Kommentare, sondern für klare Linien.

Dass eine eben noch funktionierende Demokratie plötzlich in einen gewalttätigen Polizeistaat abgleitet, oder dass Menschenrechte willkürlich eingeschränkt werden, natürlich immer formal legalisiert, damit es auf dem Papier der Bürokratie seine Ordnung hat - das ist eine reale Gefahr. In den USA, wo das Buch erschienen ist, mag man zurzeit an Donald Trump, dessen "Diktator für einen Tag"-Fantasien und die immer radikaleren Republikaner denken. Bei uns sind es derzeit AfD & Co., die zuletzt mit Mitgliedern der Identitären Bewegung, mit Unternehmern und auch mit CDU-Mitgliedern (Werteunion) die Deportation von Millionen von Menschen geplant haben.

Solchen Plänen muss man sich entgegenstellen - jetzt, vor den Wahlen, und auch danach, sollte eine AfD oder eine andere Partei mit ähnlichen Zielen eines Tages direkte oder indirekte (durch Duldung einer Minderheitenregierung) Regierungspolitik betreiben. Ein bisschen Motivation durch einen gut lesbaren, spannenden Roman (Straczynski-typisch hoffnungsvoll, mitunter humorvoll und mit sympathischen Charakteren) mit einer positiven und doch glaubhaft gezeichneten Heldin-Figur tut da richtig gut.

The Glass Box von J. Michael Straczysnki erschien am 09.01.2024 in den USA bei Blackstone Publishing. Eine deutsche Fassung gibt es bislang nicht. Das englische Hardcover kostet bei Amazon.de 26,70 EUR. Eine eBook-Ausgabe (epub) gibt es z.B. bei Google Play Bücher für 9,77 EUR. Das englische Hörbuch (sehr ansprechend und lebendig gelesen von Stacy Gonzalez) kostet 23,58 EUR bei Amazon/Audible. Eine Kindle-Ausgabe erscheint am 14.03.2024 für 8,99 EUR.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Website des Autors.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Mario Donick

Autor und Teilzeit-Kommunikationsforscher

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden