Von Schäfchen und Karnickeln

Gesellschaft. Die katholische Kirche komme endlich in der Realität an, heißt es, nachdem ihr Oberhaupt dekretierte, gute Katholiken müssten sich nicht wie die Karnickel vermehren

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Wie umstandslos naiv bis devot sich auch die aufgeklärt wähnende westliche Öffentlichkeit gegenüber religiösen Autoritäten noch erweist, konnte am Tag eins nach der päpstlichen Aussage, „gute Katholiken“ müssten sich nicht „wie die Karnickel verhalten“ ungläubig studiert werden. Statt den verächtlichen Duktus kritisch auseinanderzunehmen, ergehen sich konservative bis liberale Kommentare in beflissener Anerkennung der Vernunft und Fortschrittsfähigkeit der katholischen Kirche. Vom vorsichtigen Reformator bis zum radikalen Tabubruch ist alles dabei. „Saftig“ sei er, der „rustikale Kaninchenvergleich“ (Wolfgang Thielmann/DieZeit 21.01.2015), andernorts ist bloß von einer „flapsigen Wortwahl“ (Arne Perras/SZ 21.01.2015) die Rede. Nein, der Papst meine das sicher nicht abwertend, sondern beweise im Gegenteil mit seiner einfachen Sprache vielmehr Volksnähe, doziert Perras weiter. So kann man denn auch noch die hässlichste Entgleisung und verbale Dehumanisierung von Menschen in prekären Lebensverhältnissen zum postmodernen Pragmatismus des Katholizismus positiv umdeuten.

Der zitierte Satz fiel am vergangenen Montag vor Journalist_innen auf dem Rückflug von Manila. Auf seiner Asienrundreise durch Sri Lanka und auf den Philippinen wurde Franziskus bei seinen öffentlichen Auftritten nicht nur von den Massen Tiefgläubiger als „Vater des Volkes“ verehrt, sondern unter anderem mit dem sozialen und wirtschaftlichen Elend vieler seiner Anhänger_innen in erdrückender Armut und Kinderprostitution konfrontiert. Man hätte erwarten können, dass der seit Amtsantritt vielgelobte „Papst der Armen“ die Prunk- und Protzsucht seines eigenen Religionskonzerns selbstkritisch der bitteren Armut gegenüberstellt, einmal mehr den globalisierten Kapitalismus geißelt oder zumindest den Allgemeinplatz vom Kampf der Kirche gegen soziale Ungleichheit zum Besten gibt. Im Kontext seiner „Asien-Tour“, in dem der Papst sich zu ungeregelter Fortpflanzung äußert, und die sozial marginalisierte Bevölkerungsgruppe, an die die Botschaft des Maßhaltens in Sachen Kinderzahl augenscheinlich adressiert ist, entlarvt sich der Zitierte mit der Rede von den Karnickeln stattdessen als anschlussfähig an einen rassistisch und wohlstandschauvinistisch konnotierten Diskurs, der sonst eher am rechten Rand angesiedelt ist und mitunter in den Blätterwald des Boulevards ausstrahlt. Das scheint in der allgemeinen Aufgeregtheit in den Kommentarspalten über ein vermeintliches Erdbeben in der katholischen Sexual- und Familienmoral untergegangen zu sein. Nicht etwa die christliche Sexualethik, die den Gebrauch von Kondomen dämonisiert, sei für die hohe HIV-Infektionsrate in Teilen Afrikas mitverantwortlich, sondern die Tatsache, dass „der Schwarze halt gerne schnackselt“, wusste schon 2001 Vatikanfan Gloria von Thurn und Taxis die Probleme des globalen Südens zu erklären. Immerhin war damals die kolonialrassistische Projektion vom promiskuitiven ‚Wilden‘ als solche erkannt und zum Skandal erklärt worden.

Weißer Papst und philippinische Verhältnisse

Nun schlägt Papst Franziskus in die gleiche Kerbe und erklärt nach Kolonialherrenart die in Augenschein genommene Persistenz der Armut kinderreicher philippinischer Familien quasi zum selbstverschuldeten Problem ihrer sexuellen Zügellosigkeit. Und erntet damit noch Anerkennung ob der weisen Worte und Einsichtsfähigkeit. Ob der weiße Papst die Wortwahl von den Karnickeln auch mit Blick auf ein weißes europäisches Publikum getroffen hätte, steht zu bezweifeln; insbesondere als letzteres aus Sicht der Kirche ohnehin zu wenig christlichen Nachwuchssegen zustande bringt. Genau vor einem Jahr erklärte Kardinal Meisner von der Kanzel herab noch jeder christlichen kinderreichen Familie den Vorzug gegenüber „drei muslimischen“. Unbeschränkte Fortpflanzung geht also schon klar – solange es ‚die Richtigen‘ tun. Und da gehören die Heerscharen an Armen nicht länger dazu. Meisner mag als Hardliner gelten, doch sprach er bloß unverblümt aus, was Papst Franziskus mit dem populistischen Zoologie-Vergleich andeutet. Das hat nichts mit Fortschritt oder aufgeklärtem Pragmatismus zu tun, sondern mit Rassismus.

Schelte vom Oberhirten

Der Abgeschmacktheit des Karnickel-Ausfalls fügte der Oberhirte im Gespräch mit den Journalist_innen obendrein noch eine Anekdote aus persönlichen Begegnungen mit den Schäfchen seiner Kirche an, die die vorgebliche Sorge um deren Wohl illustrieren soll:

>>"Ich habe vor ein paar Monaten (…) eine Frau gescholten, die mit dem achten Kind schwanger war. Sie hatte schon sieben, die per Kaiserschnitt geboren waren." Er habe die Frau gefragt, ob sie sieben Kinder zu Waisen machen wolle. "Das heißt, Gott herauszufordern. Das ist unverantwortlich", so Franziskus. "Nein", habe die Frau erwidert, sie vertraue auf Gott. Und der Papst erwiderte nach eigenen Angaben: "Schau, Gott gibt Dir die Mittel, aber Du musst verantwortlich sein." << (tagesschau, 19.01.2015)

Die devote Haltung, dem Schicksal im blinden Gottvertrauen zu trotzen, mag in der Postmoderne befremdlich wirken. Verwunderlich ist sie insofern nicht, als gerade strenggläubige Frauen in allen Teilen der Welt unter katholischem Einfluss nur konsequent leben, was sie verinnerlicht haben: Sich selbst bei drohenden Konsequenzen für Leib und Leben dem durch die Jahrhunderte der dogmatischen Kirchenlehre auferlegten weiblichen „Schicksal“ bereitwillig zu fügen. Das Wirken einer verqueren Geschlechter- und Sexualitätslehre manifestiert sich just in diesem Beispiel gelebter Unterwerfungs- und Aufopferungsbereitschaft. Bizarr wirkt dagegen der strengväterliche Duktus, mit dem sich der Kirchenmann von den Früchten seiner Kirchenlehre distanziert. Entgegen der Tradition, die eingeforderte Selbsthingabe mit der Gratifikation der Anerkennung als „guter“ (je mehr Kinder, desto besser) Mutter zu adeln, wendet sich der oberste Patriarch Roms degoutiert ab. Mit einer besonders perfiden Form der Bigotterie verkehrt sich die erwartbare Anerkennung in Verachtung: Weib, was bist du einfältig und dumm. Die Leugnung der negativen Konsequenzen einer dogmatischen Familien- und Sexuallehre wendet der Papst schlicht in den Vorwurf der Verantwortungslosigkeit an den Einzelnen, die gerade der prototypischen Vorzeige-Katholikin noch zur „Schelte“ gereicht: Als Gebär-Mutter bei einer Risikoschwangerschaft draufzugehen und so der übrigen Kinderschar nicht mehr als Versorge-Mutter dienstbar zu sein ist an starrsinniger Verantwortungslosigkeit eben nicht zu überbieten.

Kehrtwende und neues Feindbild

Galt gemäß katholischer Lehre bislang die Doktrin, Verhütung sei per se Versündigung am göttlichen Fortpflanzungsauftrag („Gehet hin und mehret euch“) und jede Schwangerschaft und jedes weitere Kind als Geschenk Gottes demütig in Empfang zu nehmen, scheint fortan der Eigenverantwortung gegenüber lethargischer Frömmelei der Vorzug gegeben zu werden. Der Aufruf zu einer „verantwortungsbewussten Elternschaft“, die die Zahl ihrer Kinder – „drei“ seien doch „ideal“ – plane, sei mit „vielen von der Kirche erlaubten Methoden“ zu bewerkstelligen, meint der Papst. Mehret euch in Maßen. Was so salopp daherkommt ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel im Menschenbild der katholischen Kirche.

Wenn man von katholischer Seite gönnerhaft die „natürlichen“ Verhütungsmethoden freigibt, hat man sich bereits ein Stück weit vom Dogma der Kopplung von legitimer Sexualität an den göttlichen Fortpflanzungsauftrag gelöst. In der Konsequenz gibt es dann allerdings keinen Grund mehr, das Konstrukt der Trennung von "natürlichen" und "künstlichen" Methoden der Empfängnisverhütung aufrechtzuerhalten. Beide sind geeignet, heterosexuellen Geschlechtsverkehr vom Automatismus der Reproduktion zu befreien, die einen nur mit mehr, die anderen mit weniger Risiko. Nun ist der Altherrenverein in Rom aber nicht weltfremd genug, um die traditionssprengende Kraft zu verkennen, die dieser ideologischen Freigabe innewohnt im Hinblick auf die Emanzipation auch der gläubigen Menschen, insbesondere derjenigen der Frau aus der fixen Rollenzuweisung innerhalb der patriarchalen Familie und Gesellschaftsordnung. Insbesondere dort, wo die religiösen ewigen Weisheiten ob ihrer sedierenden Wirkung immer noch eine breite Anhängerschaft halten, weil Armut und Perspektivlosigkeit so drückend sind.

Scheinbar um von den inneren Widersprüchen der Kehrtwende abzulenken und sich langfristig die Einflusssphäre der traditionellen Familien- und Gesellschaftsstrukturen zu erhalten, hat Papst Franziskus den Journalist_innen im Gespräch en passant einmal mehr die eigentliche, neue Gefahr für die Gefolgschaft seiner Schäfchen auseinandergesetzt, die es zu bannen gelte: die „ideologische Kolonisation“ der Welt durch die Gendertheorie. Der Mann muss wissen wovon er spricht, gehört die geistig-ideologische Kolonisierung der Köpfe in allen Teilen der Welt doch seit Jahrhunderten zum Kerngeschäft seiner Institution.

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