Zähne ziehen.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es folgt ein Bericht über die Entfernung meiner Weisheitszähne auf der linken Seite. Aktuell stehe ich unter dem Einfluss von einigen Tabletten Ibuprofen Dosis 600 mg. Meine Backe tut weh, und es nervt mich mit einer Hand zu schreiben, da ich mit der anderen Hand einen feuchten Waschlappen gegen die Backe drücke; ich versuche durch die Kühlung der massiven Schwellung entgegenzuwirken, was relativ erfolglos ist.

http://melancholieunduebermut.files.wordpress.com/2010/11/dscn0036.jpg?w=300&h=224

Im Sommer sagte mein Zahnarzt, wiedermal, dass die Zähne unbedingt raus müssten. Sie machten mir zwar keinerlei Probleme, aber schenkte ich meinem Arzt Glauben, dann könnten in Zukunft, unter Umständen, vielleicht, Komplikationen auftreten. Er erzählte mir noch einige Schauergeschichte, von Zähnen, die sich schmerzhaft versuchen, herauszubohren und mit dem Zahnfleisch verwachsen, es können Entzündungen auftreten und was weiß ich noch, ich mag keine Schmerzen haben, also raus damit. Der Praxis meines Arztes sei die Einahmequelle gegönnt. Die Zähne müssen also raus, und ich, in panischer Angst vor einer Operation, machte einen weit entfernten Termin aus, den ich jetzt wahrnehmen muss.

Wie üblich muss ich unnötigerweise lange im unwirtlichen Behandlungszimmer warten. Ich betrachte die seltsamen Instrumente, in denen die Ampullen mit dem Betäubungsmittel eingespannt sind. Die Injektionsnadeln sind beunruhigend lange. Ich starre an die Wand. Ein Kalender mit Brücken darauf. Nichtssagend, semiprofessioneller künstlerischer Anspruch, denke ich mir kritisch. Sei leise, Kopf, versuch an was schönes zu denken. Leider fallen mir nur Bilder von malmenden Kiefern ein, von hebelnden Zangen und spitzen Nadeln. Ich unterschreibe die Einverständniserklärung, die mir die eine Zahnarzthelferin in die Hand drückt. Der Stift ist von einer Firma „Maul“, was in einer Zahnarztpraxis einer gewissen Ironie nicht entbehrt, ich lache kurz.

Aufgrund ihrer Frisur und ihres Augenmake-up ähnelt die Zahnarzthelferin einer Friseuse. Die andere Assistentin wirkt wie ein brasilianisches Supermodell, das leider 20 cm zu kurz geraten ist und deswegen eine solidere Ausbildung begonnen hat. Der Zahnarzt ähnelt niemandem bestimmtes.

Die Betäubungsspritzen, von denen ich vier bekomme, in den Gaumen und in verschiedene Stellen meines Mundes, sind nicht so schlimm wie ich es erwartet hatte. Es schmeckt bitter und ich bemerke, wie meine linke Mundhäflte jegliches Gefühl verliert, sie wird zu einem pelzigen Fremdkörper. Ich überlege ob man an seiner eigenen Zunge ersticken kann, wenn man sie ihm betäubten Zustand unglücklicherweise in Richtung Rachen fallen lässt. In meinem Mund, so fühlt es sich an, ist verdickte Luft die ich nicht verdrängen kann, obgleich ist dies aus irrationalen Gründen ambitioniert versuche. Ich mache einige Grimassen vor dem Spiegel, um mein neues Mundgefühl zu testen, und warte, dass das Operationsteam wieder kommt, die kleine Brasilianerin, die Friseuse, und der Arzt.

Da sind sie, bedecken mich mit einem Tuch und umwickeln die Zahnarztlampe mit Alufolie, wahrscheinlich um alles vor Blutverschmierungen zu schützen. Dann muss ich meinen Mund aufmachen, meinen Unterkiefer in alle möglichen Richtungen bewegen, während der Arzt alle möglichen schmerzhaft aussehenden Instrumente in meinen Kiefer rammt, zwischendurch einen blutigen Zahn heraushebelt, mir wird schlecht, weil ich mir die Schmerzen, die ich haben müsste, vorstellen muss. Ob ich einen Spiegel haben möchte, damit ich alles beobachten kann? Lieber nicht. Bei diesem Eingriff wird erst das Zahnfleisch über dem Weisheitszahn aufgeschnitten, anschließend wird der Zahn herausgehebelt. Als mein Arzt in meinem Kieferknochen bohrt, um an den Weisheitszahn zu kommen, dass das Knochenmehl nur so staubt, dreht sich mir der Magen um. Mein Knochen ist ausgepackt, entblößt worden, und schutzlos wie er ist, wird er brutal angebohrt, „Knochen abtragen“, nennt es der Zahnarzt.

Zwischendurch bemerke ich immer wie verkrampft ich daliege unter meinem blauen Leichentuch. Zwar spüre ich keine Schmerzen, aber unwohl fühle ich mich trotzdem. Ich denke an den antiken Philosophen Epikur und seine Erkenntnisse: Schmerzen lassen sich nicht ins Unermessliche steigern, irgendwann fällt man in Ohnmacht und wenn es noch schlimmer wird, dann stirbt man. Nur für den Fall, dass die Wirkung der Betäubung irgendwann nachlässt, ist das gut zu wissen. Eigentlich hab ich gerade zwar auch nicht so unglaubliche Lust zu sterben. Aber trotzdem.

D er zweite Weisheitszahn im Unterkiefer lässt sich schlussendlich auch mit einiger medizinischer Gewalt herausbrechen, endlich sind die Zähne herausgenommen, ich möchte sie bitte mitnehmen, packen sie sie mir ein, Danke. Der Zahnarzt näht die Wunden zu, stopft mir einen Wattebausch in den Mund, drückt mir einen Eisbeutel auf die Backe und ich kann endlich gehen. Ich betäube mich weiterhin mit Ibuprofen, missachte seine Vorschriften weitesgehend, bis auf die, wenig zu sprechen und zu lachen, und hoffe darauf, dass meine Backe schnell wieder abschwillt. Tatsächlich kann ich meine Selbstmedikamentation erst nach vier Tagen wieder absetzen, und bis dahin ist auch noch ziemlich geschwollen.

Die Weisheitszähne auf der rechten Seite – bleiben erstmal drinnen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden