Wiener Busreise

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Am Karl-Renner-Ring setze ich mich in den Bus der Linie 48a, um den Ort zu verlassen, an dem Wien so wienerisch ist, dass einem die Lust auf Kaffee und Torte vergeht und man zum Türken-Fan werden möchte und fahre in das Wien, in dem die Wiener wohnen. Ob die echten Wiener das auch so sehen, weiß ich nicht, denn ich kann mir vorstellen, dass im VII. Bezirk, den der Bus durchfährt nachdem er den I. Verlassen hat, eher die Zugezogenen wohnen.

Diesen Bezirk konnten die Grünen bei Kommunalwahlen als erstes für sich gewinnen. Hier ist beim Zielpunkt (PLUS) das Fach mit der vegetarischen Pizza und die Palette mit der Bio-Milch am schnellsten leer, das Straßenbild sehr bunt und die Menschen sehr jung.

Der Bus schiebt sich durch die Einbahnstraße und ich wundere mich, dass nicht ohne Unterlass Blech knirscht und Passanten dem Verkehr zum Opfer fallen, so eng ist hier alles beieinander.

Jenseits der parkenden Autos und dem mit Mustern von vertrocknetem Hundeurin geschmückten Gehsteigen gibt es Haushalts- und Designerläden, Supermärkte und Gemüsehändler, Imbissbuden und Restaurants in allen Stilen und Preisklassen. Irgendwo verkündet ein Schild „Eso-Laden“, hier wird Wien erleuchtet.

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Wenn man den Neubaugürtel kreuzt, liegt linker Hand die „Lugner-City, eine als Einkaufsparadies geplante Mall, aus der Niemand vertrieben wird, so er genug Äpfel kauft. Ein Großteil der dargebotenen Ware wird, in die Tüte gesteckt als Trophäe, im trüben Licht der heimischen Küche schnell als der Ramsch erscheinen der sie ist. Reduzierte Ware ist vom Umtausch ausgeschlossen.

Der hinter der Lugner-City beginnende IVI. Bezirk zeigt sich grau. Weit weg von den Touristenströmen gibt es niemanden, dem auffällt wie der Putz langsam schmutzig wird. Die Gemeindebauten Wiens sind langfristig geplant und bekommen häufig von vornherein grauen Putz. In diesen meist von außen als Gemeindebauten gekennzeichneten Gebäuden wohnt ein Viertel der Wiener Bevölkerung und Wien ist mit 220 000 Wohnungen der größte Wohnungsbesitzer in Europa.

Wenn man davon absieht, wie sich der Bus seit einigen Kilometern bergauf arbeitet, könnte Wien auch Berlin sein, zumindest wenn man ebenfalls Kopfhörer auf dem Kopf trägt und die Menschen nicht sprechen hört.

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Als der Bus die U3 überquert lichtet sich die Bebauung, zwischen den Häusern zeigen sich Rasenflächen. Das Spielen auf ihnen ist meist untersagt, oft „behördlich“ -eines der Lieblingsworte der wiener Schildermacher- aber auch kaum möglich, da sie von Hundekot übersät sind. Da Scheiße leiser ist als Kinder, hält sich der Widerstand gegen diesen Zustand in Grenzen.

Plötzlich biegt der Bus auf eine lange, breite Straße mit zwei Spuren in jede Richtung, die Hügel der wiener Umgebung zeigen hier und da ihre Kuppen. Links und rechts der Straße stehen auf winzigen Grundstücken, winzige Häuser, denen man ihre Vergangenheit als Schrebergartenhütte noch ansieht. Ich steige aus und gehe den Rest meines Weges zu Fuß durch diese Mischung aus Kleingartenanlage, Campingplatz, Neubaugebiet und Gewerbepark.

Nachdem ich die große Straße wieder verlassen habe sehe ich in einer kleineren Straße in einer Gegend mit vielen Grasflächen und Bäumen das Tor zum Gelände des Otto-Wagner-Spitals. Gebaut 1903-1907 in Pavillonbauweise auf der Fläche so groß wie der XVIII. Gemeindebezirk, findet man hier heute Psychiatrie, Neurologie, Geriatrie und Pulmologie.

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Ich muss nicht lange suchen, um auf diesem wunderbar weitläufigen Gelände, das zum Urlaub machen einlädt, das Mahnmal zu finden, welches an die 772 getöteten Kinder erinnert, denen hier während der nationalsozialistischen Herrschaft ihr Leben genommen wurde.

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Auf dem ganzen Gelände liegt dieser Schatten und ich bin froh, dass die Sonne scheint. Doch es geht bergauf, immer wieder vorbei an Pavillons, viele von ihnen leer, weil die Menschen heute in den Gesundheitsfabriken in der Stadt gerettet werden, es geht meinem Ziel entgegen.

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Die Otto Wagner Kirche am Steinhof ist eine Kirche im Jungenstil, eines der größten Jugendstil-Gebäude Wiens und auf der Welt die größte Jugendstil-Kirche. Es ist die schönste Kirche die ich je gesehen habe, zumindest von außen, denn von innen kann man sie nur Samstags besuchen. Die goldene Kuppel kann man auch erkennen, wenn man sich im Kern der Stadt aufhält, den ich von hier oben nur erahnen kann.

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Wenn in Gotham City, die Sonne schiene, am Tag an dem Batman gewonnen hat, würden die Menschen vor dieser Kirche feiern.

Bei Flickr las ich in einem Kommentar, es sei nicht möglich ein gutes Foto von der Kirche zu machen, weil sie so versteckt läge, ich habe es trotzdem versucht, lege allerdings jedem einen Besuch ans Herz: Mit der 48a vom Karl-Renner-Ring durch Wien bis zur Station „Psychiatrische Klinik/ Otto Wagner Spital“.

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Geschrieben von

merdeister

Ein guter Charakter erzieht sich selbst. - Indigokind - Blogtherapeut

merdeister

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