Gras drüber

Schafstage Bauer Sheridan lebt an der Grenze zwischen Nordirland und Irland. Er hat den IRA-Terror und den Bürokratie-Irrsinn der EU erlebt, er wird auch mit dem Brexit klarkommen
Ausgabe 15/2018

Irlands grüne Grenze sieht man 20 Jahre nach dem Karfreitagsabkommen nicht mehr. Robert Sheridan sitzt in seinem alten Geländewagen, er fährt über die Brücke zwischen der nordirischen Grafschaft Fermanagh und dem irischen County Cavan, seine Schafe grasen im britischen Norden und in der irischen Republik.

„Hier ist die Grenze“, sagt der Bauer beiläufig und legt den dritten Gang ein. Das Dorf Blacklion direkt hinter der Grenze wirkt verlassen. Die Pubs sind geschlossen, viele der Geschäfte mussten den Betrieb aufgeben, eine Tankstelle ebenfalls. Langsam rollt Sheridans Geländewagen durch die Geisterstadt. Hier ist der Bauer geboren, hier ist er zur Schule gegangen bis er 14 war, eine staatliche Schule, wo sowohl Protestanten als auch Katholiken hingingen. In Nordirland ist das selten. Sheridans Eltern sind Protestanten. Als er sechs ist, ziehen sie die wenigen Meter auf die andere Seite der Grenze: nach Nordirland. Großbritannien bot der Familie damals großzügige Unterstützung für ihren Betrieb an. „Und sie wollten der Diskriminierung der Katholiken entkommen“, erklärt der heute 72-Jährige.

Über Koppeln hoppeln

Die Grenze zwischen Nordirland und Irland ist 500 Kilometer lang. Sie verläuft durch Seen, Flüsse, Felder und Straßen. 20 Jahre nach dem Karfreitagsabkommen, das den Frieden zwischen protestantischen Unionisten und katholischen Nationalisten sicherte, ist sie unsichtbar geworden. Niemand patrouilliert hier mehr, die Grenze ist längst kein Anschlagsziel mehr für die nationalistischen Paramilitärs. Doch mit dem Brexit wird sie zur Trennlinie zwischen Großbritannien und der EU und damit wieder zum Problem, egal ob die Politiker in Brüssel sich für eine harte oder weiche Grenze entscheiden. Robert Sheridan hat deshalb für den Verbleib Großbritanniens in der EU gestimmt, wie die Mehrheit der Nordiren.

Sein Sohn David, der gemeinsam mit seinem Vater die 100 Hektar Land Familienbesitz beackert, will dagegen die EU verlassen. Doch Land auf beiden Seiten zu haben, stimmt auch den Vater zuversichtlich. „Wenn es schlecht auf der einen Seite ist, ist es besser auf der anderen!“

Sheridan verlässt Blacklion und fährt hoch zu seinem Besitz. Sein Geländewagen hoppelt über die steinigen Koppeln auf der irischen Seite seiner Felder. Der Bauer kneift die Augen zusammen und schaut auf die tiefgrünen Wiesen. Seine rauen Hände liegen locker auf dem Lenkrad. Die Schönheit der irischen Heide, Sheridan sieht sie gar nicht mehr. Er fährt die Strecke jeden Tag. Vorbei an seinem Elternhaus, das heute ein Steinbruch ist, in dem Schafe weiden.

Die Luft ist feucht. Etwa alle dreißig Minuten regnet es, dann scheint wieder die Sonne. Sheridan ist von der Arbeit braun gebrannt. Alle paar Meter hält er an, springt aus seinem Geländewagen und sinkt mit seinen Stiefeln einige Zentimeter im feuchten Boden ein. Er öffnet ein Tor, das seine Koppeln voneinander trennt, fährt das Auto hindurch, hält an und schließt das Tor erneut.

Die Schafe laufen ihm erwartungsvoll entgegen. Sie tragen pinke Streifen auf ihren wollenen Rücken. Eine EU-Regel. „Sie sind gescannt. So kann sie niemand stehlen“, erklärt der Bauer. Ihre Lämmer wiegen jetzt sieben Pfund, an Weihnachten sind sie geboren worden, zu Ostern hätte man sie essen können. Irische Supermärkte interessiert das nicht. Sie beziehen ihr Fleisch aus Neuseeland. Sheridans Schafe gehen zur Zerlegung in die irische Republik. Dort sind die Preise im vergangenen Jahr zwar um 70 Cent pro Kilo gefallen, doch sie verkaufen sich immer noch besser als in Großbritannien, rund sieben Pfund mehr pro Stück. Von Irland gehen die Produkte dann weiter nach Frankreich. „Wir versorgen die EU mit Schafen!“, sagt Sheridan stolz und hupt die seinen aus dem Weg.

Robert Sheridan züchtet Schafe, wie es seine Eltern und Großeltern vor ihm getan haben. Doch mit der Freiheit, die seine Vorfahren hatten, der Freiheit, im Rhythmus der Tiere zu leben und sein Land zu bearbeiten, wie man es für richtig hält, habe das Landleben heute nichts mehr zu tun. Sheridan klopft auf ein neues Tor, das zwei Weiden voneinander trennt. „Das hat die EU bezahlt!“ Nordirische Bauern haben viel von den Subventionen der EU, dem „Single Farm Payment“ profitiert. Doch mit der Unterstützung kamen auch viele Regeln, die für den Bauern nicht nachvollziehbar sind.

„Heute musst du so arbeiten, wie es die EU vorsieht, nicht so, wie es geschäftlich am meisten Sinn macht, sonst wirst du bestraft. Niemand kennt sein Land besser als der Mann, der es bestellt. Aber versuch das mal einem EU-Bürokraten zu erklären.“

Die Vorschriften der EU, erklärt Sheridan, haben die Bauern zu falschen Entscheidungen angeregt. Das räche sich jetzt mit überwucherten Feldern: „Lange Zeit war es in Nordirland schwer, überhaupt Finanzierung von der EU zu bekommen. Eine Bedingung war die Viehhaltung.“ Immer mehr Bauern schafften sich also Vieh an, das auf den Feldern graste. Seit 2003 sind die Subventionen der EU nicht mehr an die Produkte gebunden. Daraufhin ging die Viehproduktion zurück. Auf den Feldern wurde also weniger geweidet, sie überwucherten. „So ist es, wenn dir jemand sagt, was du tun sollst“, schließt Bauer Robert Sheridan. Auch wenn er gerne in der EU geblieben wäre, er fühlt sich hier draußen allein gelassen: „Vertraue niemals einem Politiker.“

In der lokalen Bauernzeitung lächeln Robert und sein Sohn David Sheridan von der Titelseite. Sie stehen an einem ihrer Zäune. Auf der einen Seite liegt Irland, auf der anderen Großbritannien. Die Journalisten, die inzwischen wöchentlich herkommen, lieben dieses Bild. Robert Sheridan steht heute wieder an diesem Zaun, er stellt sich an die Grenze und lacht.

Auf einmal wollen alle wissen, was die Bauern an der Grenze von der Zukunft halten, dabei haben sie in den letzten Jahren das meiste untereinander ausgemacht. Wer Katholik und wer Protestant ist, spielt dabei schon längst keine Rolle mehr. Jeder weiß, welche Höfe in der Nachbarschaft katholisch sind, doch daran stört sich niemand. Irgendwo sitzen noch Zellen der IRA, doch die beschäftigen sich eher mit Drogen, sagt Sheridan, denn mit Gewalt gegen Protestanten.

In Sheridans Küche steht das Bild von Vater und Sohn an der Grenze noch mal, eingerahmt in einem Goldrahmen. Daneben das Foto der Zwillingslämmer, links davon laufen auf einem Splitscreen die Bilder der Überwachungskamera. Sheridans Frau schenkt Tee ein, neben der Spüle überträgt der Fernseher die Beerdigung eines bekannten britischen Komikers. Sheridans Frau und seine Schwester verfolgen die Bilder. Der 72-Jährige schaut auf die Bilder seines Hofes.

Panzerglas im Fenster

Auch wenn Robert Sheridan längst keine Angst mehr hat vor den Katholiken, muss er heute immer noch vorsichtig sein. Denn Sheridan hat wie alle Nordiren in seinem Alter eine Vergangenheit – und als Protestant eine Rolle im Konflikt. Als er 25 ist, wird der Bauer zum Teilzeitsoldaten. Das war es, sagt er, was man in dem Alter so machte. Andere Möglichkeiten gab es nicht. Er stand Wache in den Abendstunden bis halb drei Uhr morgens, dann legte er sich für drei Stunden ins Bett und stand auf, um die Schafe zu füttern. 29 Jahre lang, sieben Tage die Woche. Zehn Mal wurde sein Leben bedroht, passiert ist dem 72-Jährigen nie etwas. Die Soldaten des Königreiches wurden zu Beginn als Friedensstifter begrüßt. Es gibt zahlreiche Bilder, auf denen Katholiken den protestantischen Soldaten an ihren Haustüren Sandwiches reichen. Doch nach einer Weile, erzählt Sheridan, versteckten sie in den Sandwiches Glassplitter.

Schließlich beendete das Karfreitagsabkommen 1998 den Zwist zwischen Katholiken und Protestanten. Heute sind Sheridans Fenster immer noch mit Panzerglas ausgestattet. Und in Stormont, dem Regierungssitz der Nordiren in Belfast, in dem laut Abkommen Protestanten und Katholiken zu gleichen Teilen regieren sollen, ist ein Vakuum entstanden: Seit 14 Monaten gibt es keine Regierung.

Sheridan hält das für einen Witz: „Wir haben immer noch verurteilte IRA-Mitglieder in der Regierung, wie Gerry Kelly oder Martina Anderson im Europäischen Parlament. Durch das Karfreitagsabkommen haben sie einen Freifahrtschein aus dem Gefängnis bekommen. Doch es gibt keinen Frieden und auch keine Regierung. Was bringt das Karfreitagsabkommen also heute noch?“

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