Die verschleierte Frau auf dem gelben Schild lächelt. Jemand hat ein Smiley in die leere Fläche ihres Gesichts gemalt. Denn hier gilt: Women only. Hinter der gelben Linie haben sich derweil die Frauen schon an der Bahnkante aufgestellt. In der Öffentlichkeit sind Berührungen eher selten. Geht es aber darum, in die Metro einzusteigen, verlieren die Frauen untereinander jegliche Distanz. Nur jene, die die Freiheit der iranischen Frau jenseits der gelben Linie verteidigen, haben sich zwischen den Männern eingereiht.
Lala und ihre Mutter sind zwei von ihnen. Vorher haben sie in einem Hinterhof Fleisch mit Bohnen gegessen, obwohl Ramadan ist. Das sind die ersten Dinge, die man von ihnen erfährt. Das und den Namen von Lalas 2.000 Follower starkem Instagram-Account, auf dem sie ohne Kopftuch zu sehen ist. „Der Feind wird es lieben“, sie zeigt eine Bildunterschrift auf ihrem Smartphone und gluckst vor Stolz. Mutter und Tochter verschwinden daraufhin zwischen den drängenden Männern.
Mark Twain hat einmal gesagt, wenn man eine Stadt kennenlernen will, soll man nicht ins Museum, sondern in eine Kneipe gehen. Wenn man Teheran kennenlernen will, steigt man am besten in die U-Bahn. Der Blick auf das andere Geschlecht hat hier plötzlich wieder etwas Verbotenes, wenn die Männer ihn über das Metallgitter im Zug werfen.
Stringtangas am Tschador
Die Frauen konspirieren bereits über den Kauf ihrer Unterwäsche. Sobald die Türen schließen, wird die Metro zum mobilen Basar. Die Preise für Waren in Teheran sind niedrig, die Mieten hoch. Da ist es günstiger, sein Angebot in einen Plastiksack zu stecken. In den schicken Malls im Norden der Stadt wird Unterwäsche hinter verdunkelten Fenstern und schweren Vorhängen verkauft, in der Bahn baumelt sie zum Beispiel an den Armen einer jungen Afghanin. Es ist fast schon ein Klischee: Je verschleierter, desto provokativer die Unterwäsche. Eine Frau zieht an einem pinken Stringtanga, der am Arm der Verkäuferin hängt, und überprüft die Dehnbarkeit des hauchdünnen Stoffs. Dann greift sie nach einem BH im Leopardenlook. Ihre Nachbarin nickt anerkennend über die gute Wahl.
Anschließend guckt sie erwartungsvoll zur einzigen Europäerin im Abteil. Eine junge Frau im Tschador übersetzt für eine ganze Sitzreihe. „Was denkst du über den Iran?“ ist die beliebteste Frage, „ein schönes Land“ die unpolitischste Antwort. Man gibt sie am Tag mindestens drei Mal. Die Frau im Tschador, die Emane heißt, lächelt das Lächeln der Unangreifbaren. Sie ist Sunnitin in einem Land, in dem der schiitische Glaube Staatsreligion ist. Wenn sie betet, dann macht sie das heimlich. „So ist es sicherer“, sagt ihr Mann Javed. Und Javed muss es wissen. Auch er ist Sunnit, musste Sunnit sein, so hatten es die Eltern gewollt. Dass sie sich verliebt habe, sagt Emane, sei ein Glück gewesen, aber die Wahrheit.
Im Mittelgang überzeugt sich die Verkäuferin mit den schönen Tüchern von der Tauglichkeit der mechanischen Fensterputzhilfe, die selbstständig Reinigungslösung zur Demonstration auf den Spiegel spritzt, den eine andere Verkäuferin in der Hand hält. „Das ist doch wirklich ein tolles Angebot“, sagt Emane und fragt, welche Farbe man in Europa bevorzugen würde, Grün oder Gelb. Die Tuchhändlerin nimmt ein grünes, Emane ein gelbes Putzgerät. Sie dreht es zwischen den Händen, die aus dem schwarzen Stoff herausschauen.
Parallelräume
In einem Jahr, wenn sie ihren Doktor in Psychologie geschafft hat, wird sie es schwer haben, einen Job zu finden, wie viele andere der gut ausgebildeten Frauen, die jedes Jahr von den Universitäten abgehen. Als Sunnitin wird es für sie noch schwerer sein. Das weiß sie, und doch will sie Teheran nicht aufgeben. Noch nicht. Unter dem Tschador wippt sie mit den Füßen. Beim Thema Auswandern müsse man realistisch sein. Sie sei ja noch nicht mal als Touristin in ein anderes Land gereist. Viele junge Frauen träumen vom Westen. Dabei ist der Westen mitten in Teheran, und das nicht nur in Form neuer deutscher Autos. Wer US-amerikanischen Rap hören möchte, lädt ihn sich einfach runter. Wer einen deutschen Krimi gucken will, stellt sein Satellitenfernsehen an. Und wenn man Sex haben will, tja, dann hat man eben Sex. Die Doppelmoral des iranischen Rechtssystems schafft Parallelräume, in denen verboten und erlaubt sich gegenseitig aufheben. Auch die Teheraner Metro ist so ein Ort.
Die 23-jährige Mariam setzt ihre Brille auf, um das Etikett des blauen Kopftuchs mit dem gefälschten Louis-Vuitton-Print besser lesen zu können: 90 Prozent Polyester. Sie stretcht es prüfend mit ihren Händen. Die Verkäuferin, die das neue Putzgerät unter dem Arm trägt, demonstriert den guten Halt mittels Gummiband am eigenen Kopf. Die Modernität der iranischen Frau misst sich stets am Sitz ihres Kopftuchs. Mariam trägt ihres auf der Hälfte ihrer üppigen Locken. Routiniert greift sie alle paar Minuten danach, damit es ihr nicht ganz vom Kopf rutscht. Mit Europäern spricht sie gern, um ihr Englisch zu trainieren. Nächstes Jahr will sie nach Kanada gehen. Das dortige Punktesystem für die Einwanderung kennt Mariam schon, seit sie 18 ist.
Den teuren Englischunterricht haben ihre Eltern finanziert. Um den Doktor in Kanada machen zu können, haben sie und ihr Freund Chemie studiert. Danach wollen sie dort Jobs finden. „Heiraten müssen wir vorher noch“, sagt Mariam, als wäre es nur ein Punkt auf der Checkliste. Ihr Leben ist eine einzige Vorbereitung auf das Fortgehen. Die Frage nach Gründen wirkt auf sie schnell beleidigend. „Wir haben auch das Recht auf eine Zukunft“, antwortet sie. „Und hier werde ich die nicht haben.“ Der Zug kommt zum Halten an der Station, die nach dem Gründer der Islamischen Republik, Ayatollah Khomeini, benannt ist. Mariam schnaubt verächtlich. Dann zieht sie ihr Kopftuch tiefer in Richtung Stirn und steigt aus.
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