Wenn Menschen friedlich demonstrieren, machen sie das ja nicht zum Spaß. Sondern aus einer Not heraus, weil sie Angst um ihre Zukunft haben“ sagte die Greenpeace-Aktivistin Marion Tiemann bei Anne Will. Not macht Menschen allerdings nicht nur kämpferisch, sie macht sie auch unempfänglich für die Mühlen der Demokratie. Die Zeit drängt! Wer so fühlt, agiert im Bewusstsein einer drohenden Apokalypse und hat radikale Forderungen an die Politik. Oder wie der Politikwissenschaftler Peter Graf Kielmansegg in der FAZ schreibt: „Der Politik wächst in diesem apokalyptischen Szenario eine Schlüsselrolle zu. Sie soll, sie muss ‚den Planeten retten‘“.
Möglicherweise hat die Politik aber gar nicht die Mittel, den enormen Erwartungen der Generation Greta gerecht zu werden. Wohlgemerkt, es geht hier nicht darum, die Sorge um die Zukunft des Planeten klein zu reden, vielmehr möchte ich verstehen, mit welchen Folgen aktivistische Erwartung und politischer Handlungsspielraum gerade auseinanderdriften. „Apokalyptiker“ und „Integrierte“ (so eine alte Unterscheidung von Umberto Eco) verstehen sich einfach nicht. So kann der Integrierte nicht verstehen, welches Gewese um den SUV gemacht wird, da ja der Trend weg vom Diesel zum Elektromotor geht, wogegen der Apokalyptiker nicht nur darauf hinweist, dass auch ein Tesla den Strom einstweilen aus klimaschädlichen Quellen bezieht, sondern im SUV ein Symbol für den Irrweg schlechthin sieht.
Je größer die Not, desto geringer das Vertrauen in die Politik. „Wenn Politiker schwächeln“, schrie Herbert Grönemeyer ins Publikum, „dann liegt es an uns, zu diktieren, wie eine Gesellschaft auszusehen hat“. Man fühlt sich an den rechten Staatsrechtler Carl Schmitt erinnert: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“. Vermutlich wird es nicht zu einem Staatsstreich durch Anhänger des Sängers kommen. Aber diese und andere aggressive Wünsche, etwa der nach einer Expertokratie, produzieren einen semantischen Überschuss, der vielfach kommuniziert, als „Druck“ auf die Politik einwirkt.
Das ist ja nicht schlecht: das „Klimakabinett“, das diesen Freitag tagt, ist die Folge eines solchen Drucks. Aber schon ein Blick auf die Besetzungsliste trübt für viele die Erwartungen: Die Kanzlerin, die Umweltministerin, der Verkehrsminister und der Wirtschaftsminister wollen die „Klimawende“ einleiten? Deren Ziel ist es ja, die international vereinbarte Klimaschutzziele für 2030 doch noch zu erfüllen, was nur gelingt, wenn der C02 Ausstoß in Deutschland mehr als halbiert wird.
Klingt nach einer gewaltigen Anstrengung, aber Klimaschutz – so Merkel – ist nun mal eine „Menschheitsaufgabe“. Damit meint sie dasselbe wie Noam Chomsky, wenn der sagt, dass das „menschliche Überleben auf dem Spiel steht“. Im Ton unterscheiden sich Intellektueller und Kanzlerin radikal: Aus dem Gefühl der großen Not heraus lassen sich leicht Appelle formulieren (und früher: Revolutionen machen), aber nur schwer Politik gestalten. Oder wie Herfried und Marina Münkler in ihrem gerade erschienenen Buch Abschied vom Abstieg formulieren: „Durch das Ausmalen apokalyptischer Untergangsszenarien lassen sich weder Massenorganisationen zusammenhalten noch nachhaltige politische Projekte steuern.“ Für die Opposition heißt das: Sie muss kritisch sein, darf aber nicht depressiv agieren. Eine Sonderrolle nimmt die AfD ein, die sich aus der Debatte raushält, weil sie ja nicht glauben will, „dass es gegen den Klimawandel irgendetwas gibt, was wir Menschen machen können.“ (Alexander Gauland) Auf Dauer bringt ihr dieser Kynismus nichts. Erfolgsversprechender agieren da schon die Grünen, die es geschafft haben, den Binnenkonflikt ‚Apokalyptiker vs. Integrierter‘ (respektive Fundi vs. Realo) stillzulegen, indem ihr Führungspersonal eine dritte Option verkörpert. „Den Schritt, in die Systeme reinzugehen, geht die Koalition nicht. Sie lassen im Grunde alles beim Gleichen. Kippen nur noch Subventionen drauf – gut für einige, aber nicht wirksam fürs Klima“, benotete Robert Habeck das Klimakabinett. „In die Systeme reingehen“, das klingt radikal und technologisch, macht kaum Angst, und Verzicht und Verbot, die beiden Tabuwörter für einen künftigen Bundeskanzler, sind auch vermieden. Was in die „Systeme reingehen“ konkret meint? Vermutlich das gleiche, was auch das Klimakabinett will: also den ÖPNV ausbauen und verbilligen und solche Sachen. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass Habeck den Überschuss an Erwartungen halbwegs produktiv machen kann (vor dem Hintergrund, dass man ihm doch nicht ganz traut, Stichwort: „Dann muss er liefern“).
Einen anderen Weg geht die Linkspartei. „Das Klimapaket darf nicht von kleinen und mittleren Einkommen bezahlt werden. (...) Wir brauchen eine Klimareichensteuer, um das Klimapaket zu bezahlen“, meint Dietmar Bartsch. Profitieren sollten kleine und mittlere Einkommen, etwa über Preissenkungen bei der Bahn und im ÖPNV. „Den Arbeitsweg für Pendler teurer zu machen, die auf das Auto angewiesen sind, ist dagegen falsch und unsozial.“
Es ist diese eine sozial-pragmatische Haltung, die sich auch in unserem aktuellen Wochenthema spiegelt. Dass sie nicht jeden Leser zufrieden stellen wird, mag damit zusammenhängen, dass der Riss, der Apokalyptiker und Integrierte trennt, durch uns selbst geht.
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