"Ich bin fest davon überzeugt, dass Joachim Gauck die Politik und die Deutschen überraschen wird", sagt sein Biograf Norbert Robers. Auch Edmund Stoiber sprach sich für Gauck aus, weil man von diesem Mann noch überrascht werde, und die Zeit orakelte auf der Titelseite, dass sich so mancher „Unterstützer“ noch „wundern“ werde.
Zu diesen Unterstützern gehört Jürgen Trittin, der in einem Interview mit dem Spiegel früh gewarnt hatte, Gauck werde „unbequem“ sein. Unbequem sein, das gehört spätestens seit Horst Köhler zum Bewerbungsprofil eines Bundespräsidenten („offen will ich sein und notfalls unbequem“), aber Trittins Spiegel-Interview war an die eigenen Leute gerichtet und meinte: Freunde, es könnte eine böse Überraschung geben!
Nun waren es in der Vergangenheit eher die Kandidaten der Konservativen, die bei ihrer Klientel für unliebsame Überraschungen sorgten. Man denke an Richard von Weizsäcker, der das Ende der Naziherrschaft unmissverständlich eine Befreiung nannte, oder an Christian Wulff, der sich in seiner Antrittsrede zur multikulturellen Gesellschaft bekannte. Auch Horst Köhler verblüffte mit seinem Hinweis, dass Kriegseinsätze der Bundeswehr ökonomische Ursachen haben können. Zwar ist bis heute nicht klar, ob das kritisch oder zustimmend gemeint war, unbestritten bleibt, dass ein Bundespräsident kaum mehr als die Macht des Wortes hat - eines Wortes, das nicht nur mahnen, aufrütteln, quasi ruckartige Bewegungen im Volk erzeugen soll, sondern eben auch überraschen.
Die Rede vom 18. März
Nicht nur die Medien und die politischen Akteure wissen um die Notwendigkeit dieses Moments, es ist vermutlich auch im Bewusstsein des Kandidaten fest verankert. Fast könnte man von einem Zwang zur Überraschung sprechen. Da freilich alle Welt mit einer Überraschung rechnet, muss er versuchen, auch jene zu überraschen, die eben mit einer Überraschung rechnen. Keine leichte Sache, so eine Überraschung zweiten Grades, vieles, was wirklich überraschte, wäre kaum vermittelbar: Deutschland auf den Tag vorbereiten, an dem die Außerirdischen kommen, das Recht auf ein Grundeinkommen fordern, das ausreichenden Drogenkonsum einschließt etc. etc.
Im Fall von Gauck wird eine solche Überraschung zweiten Grades zusätzlich durch eine gewisse Fixierung auf den Freiheitsbegriff limitiert. Zwar dürfte auch ihm nicht entgangen sein, dass er damit so langsam auch den Wohlmeinenden auf die Nerven geht, andererseits ist er ohne diesen Freiheitsbegriff einfach gar nicht mehr zu denken. Gauck bleibt also nur übrig, den Begriff für sich neu zu definieren, beispielsweise ihn mit der sozialen Frage zu verknüpfen. Das wäre dann der Linksruck, den ihm ja tatsächlich keiner zutraut, am allerwenigsten seine ursprünglichen Unterstützer.
Zwar hatte er sich bei der ersten Wahl selbst als einen „linken, liberalen Konservativen“ bezeichnet, um seinen Ruf als Querdenker zu festigen und es sich zugleich mit keinem zu verderben (guter Trick!), aber im Überraschungs-Diskurs hilft ihm dieser Weltanschauungsbastard nicht. Eine Seite wird er zwangsläufig enttäuschen, und überhaupt nicht überraschend wäre es, wenn er SPD und Grüne vor den Kopf stieße. Da er aber eben unter dem ungleich stärkeren Überraschungszwang steht, wird Joachim Gauck, das lässt sich nun glasklar voraussagen, kurz nach dem 18. März eine Rede halten, in der er sich zum Reformkommunismus bekennt und das Wort Freiheit genau ein Mal auftaucht (in einem Zitat von Rosa Luxemburg).
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