Wir treffen uns in einem Kaffee irgendwo in Berlin-Mitte, wo die in Israel geborene Regisseurin seit einiger Zeit wohnt. Ihr neuer Dokumentarfilm porträtiert eine Generation von jüdischen Israelis um die 40 aus der Mittelklasse, über die man hierzulande wenig weiß, auch wenn man viel über Israel spricht …
der Freitag: Frau Reuveny, nehmen wir Avi, den Sie in einer Bar in Petach Tikwa treffen. Was arbeitet er eigentlich?
Yael Reuveny: Er arbeitet irgendwas im Hightech-Bereich. Wie die meisten meiner alten Klassenkameraden, die im Film zu Wort kommen.
Er bezeichnet sich selbst als „sehr patriotisch“. Ich nehme an, er würde Likud wählen.
Das weiß ich nicht. Er könnte genauso gut Mitte-Links wählen ... Die Gegend, in der wir aufgewachsen sind, ist geprägt vom Zionismus unserer Eltern. Sie waren in der Arbeiterpartei. Also soft-links, aber nationalistisch. In Israel ist die Linke genauso nationalistisch wie die Rechte.
Er war lange bei der Armee. Sie scheint schon sehr wichtig in Israel. Die Familie und die Armee.
Und das Essen. Die Familie, die Armee und das Essen. Meinen deutschen Partner macht die Bedeutung der Armee verrückt, wenn wir in Israel sind. Ich war auch im Militär. Ich habe es nicht gemocht. Aber in Israel bedeutet es etwas anderes, beim Militär zu sein, als in anderen Ländern, weil man die unmittelbare Bedrohung permanent spürt. Man weiß, warum man da ist. Das ist die eine Sache. Die andere ist, dass sie auch ein demokratischer Gleichmacher ist, denn dort trifft sich die israelische Gesellschaft, die jüdische israelische Gesellschaft und ein paar Drusen, genauer gesagt ...
Gab es Schwierigkeiten beim Drehen des Films?
Nur pragmatische. Israelis aus meiner Generation haben echt viele Kinder. Sich mit einer Mutter von vier Kindern zu verabreden ist schwieriger, als den Stabschef zu treffen. Ich musste einige geradezu jagen. Ich traf sie dann müde im Wohnzimmer. Das Gespräch klappte dann auch ohne Recherche. Es hat etwas Komisches, Leute zu treffen, die du bereits als Kind kanntest, weil es sofort diese Intimität gibt, selbst wenn du sie dreißig Jahre nicht mehr gesehen hast.
Es gibt auch den Ort Ihrer Kindheit eigentlich nicht mehr. Petach Tikwa war ein beschaulicher Flecken, scheint es. Heute ist es eine anonyme Vorstadt von Tel Aviv. Vermissen Sie eigentlich die Orangenhaine?
Die sind Teil der Nostalgie. Für den Film kehrte ich ja an meine alte Schule zurück. Die Kinder haben die Orangen an die Wand gemalt, sie sind nun Teil der Mythologie.
Zur Person
Yael Reuveny wurde 1980 in Petach Tikwa geboren. Seit 2005 lebt sie in Berlin. Sie produziert Dokumentarfilme für das Jüdische Museum. 2014 erschien ihr Film Schnee von gestern über die Spurensuche ihrer Familiengeschichte in Polen. „Ein Meisterwerk“, urteilte die FAZ
Der Ort könnte fast überall sein, man merkt das an der Maklerin im Film. Sie verkauft an Leute aus aller Welt. Nur der Schutzraum in der Wohnung unterscheidet sich von anderen Weltgegenden.
Aber da ist noch etwas anderes. Ja, ihre Kunden kommen aus England, den USA, Südafrika. Sie würden aber nicht Petach Tikwa wählen, wenn sie nicht jüdische Menschen wären. Es ist ein Lebensstil/Ideologie, der sie an die israelische Küste bringt. Es gibtimmer mehr Franzosen, die nach Israel kommen, um in der Sonne ihre Rente zu verleben. Aber wenn sie nicht Juden wären, würden sie wohl nach Spanien gehen.
„Ich lebe in einer Blase“, sagt einer Ihrer alten Mitschüler, ein Arzt, der wegen der Kinder, wie er sagt, in Petach Tikwa geblieben ist.
Sie verwenden oft das Wort Blase und das Wort Weg. Man weiß genug über sich selbst, um sich der Situation bewusst zu sein, aber man geht dennoch denselben Weg.
„Ich bin ein Klischee“, sagt eine der Frauen ...
Ja, das ist interessant. Ich glaube, meine Generation ist zwischen zwei Ideologien gefangen. Dem Zionismus, aus dem unsere Eltern kamen, und dem Neoliberalismus, dem westliche Streben nach Glück, zu psychologisieren, zu sagen, dass man es verdient ...
Das ist anstregend. Ihre Protagonisten wirken müde. Vor allem natürlich die Frauen, die sich primär als Mütter definieren.
Das Leben in Israel ist sehr anstrengend.
Vielleicht gerade deswegen ist es so still in Ihrem Film. Selbst wenn eine Baustelle ins Bild rückt, wird es nicht wirklich laut. Und auch der Krieg verhält sich gewissermaßen still in den verrosteten Panzern oder der Trauer um den gefallenen Sohn.
Es ist heute ein „sichererer“ Krieg. Aber auch hier ist es eine Blase, bis die Blase explodiert. Und ich denke, das Ende des Films zeigt, was passiert, wenn sie explodiert. Unsere Generation ist ambivalent. Nach den großen Kriegen der sechziger und siebziger Jahre kam die große Hoffung, kam der Friedensprozess, der mit dem Attentat auf Yitzhak Rabin am 4. November 1995 endete. Danach kamen diese vielen kleinen Kriege, die weit genug entfernt waren, um sich in Sicherheit zu wiegen. Jedenfalls, wenn man im Zentrum Israels lebt und nicht im Süden …
Es ist auch heute anscheinend noch viel von Hoffnung und Frieden die Rede, man sieht es in einer Unterrichtsszene an Ihrer alten Schule. Aber es ist ein abstrakter Frieden. Der Feind wird nicht genannt.
Das ist filmisch so beabsichtigt.
Es gibt überhaupt nur eine Szene, in der die Araber genannt werden. Eine Ihrer Gesprächspartnerinnen, die ihr Leben besonders stark im Familienbund führt, sagte, eigentlich seien sie wie eine arabische Familie.
Und sie entschuldigt sich! Sie sagt, es sei nicht nett, das zu sagen. Ich denke, die Existenz der Araber im Film ist ein bisschen wie der Elefant im Raum. Während wir den Film drehten, haben wir diese kleinen Hinweise auf die Existenz der Anderen bewusst eingebaut.
Die Maklerin spricht durchs Handy mit einem Mitarbeiter, Chaled. Muss ein Araber sein.
Natürlich. Das ist der McGuffin im Film. Ich möchte wirklich, dass ein israelisches Publikum anfängt, über sich selbst nachzudenken. Aber nicht in der Weise, wer liegt richtig oder falsch, wer hat mehr gelitten oder wer hat angefangen.
Haben Sie ein gutes Gefühl? Wird es klappen?
Beim israelischen Publikum wird man sehen. Beim internationalen? Nun ja, es ist immer das gleiche Problem, wenn man versucht, über Israel zu sprechen. Das ist dann wie bei einem Fußballspiel, bei dem man sich für ein Team entscheiden muss. Muss man? Ich denke nicht. Das ist der Grund, warum es so lange gedauert hat, den Film zu machen. Es ist sehr klar, welchen Preis die Araber zahlen, aber welchen Preis zahlen wir in unserem Leben dafür? Die Generation meiner Eltern sagt uns, dass alles in Ordnung ist. Ihr habt ein sicheres Zuhause. Ihr habt einen Flachbildfernseher. Vier Kinder, einen Job. Worüber beschwert ihr euch eigentlich? Ich habe den Film gerade in Israel gezeigt und meine Eltern und ihre Freunde kamen zur Vorführung. Und sie hatten wirklich keine Ahnung, was das Problem dieser Menschen ist. Es ist doch alles super, sagen sie.
Wird er in Israel in die Kinos kommen?
In die Kinos ja, ins Fernsehen nicht. Es gibt in Israel eine Arthouse-Kino-Szene. Und ein großes Netz von Kinematheken.
Sie waren damals 32 Kinder in der Klasse. Ein Dutzend von ihnen, die nun erwachsen sind, kommen im Film vor. Fehlen wichtige Stimmen?
Es gab eine Person, die ich nicht sprechen konnte – weil sie beim Geheimdienst ist. Aber viele kommen im Film nicht vor, weil sich die Geschichten wiederholen. Wir können nicht noch eine müde Mutter zeigen, sagten wir dann. Und einer wurde orthodox. Auch mit ihm konnte ich nicht drehen.
Und nur eine – außer Ihnen – ging weg aus Israel, diese kam aber nach einem Jahr wieder. Warum?
Ihrem damaligen Ehemann wurde in Deutschland ein Job angeboten, sie ging mit ihm und kam nach der Scheidung zurück. Sie liebte Deutschland. Es gibt keinen Staub in Deutschland, sagte sie, man muss nicht so viel putzen. Aber wissen Sie, unser Verhältnis zu Europa ist immer eines mit zwei Seiten, eine Hassliebe. Es ist besser als Israel, aber auch schlechter.
Der Film erzählt auch von Ihnen und davon, dass Sie nach Deutschland gegangen sind. Warum sind Sie von einem so schönen Ort weggegangen?
In gewisser Weise bin ich doch gar nicht gegangen, physisch ja. Aber geistig bin ich immer noch sehr mit diesem Ort beschäftigt, aus der Ferne.
Kinder der Hoffnung Yael Reuveny Deutschland 2021, 84 Minuten
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