Die politischen Bewegungen, von denen die USA der 1960er Jahre erschüttert wurden, können in allem Ernst revolutionär genannt werden, obwohl sie niemals anstrebten – aber ist das überhaupt ein Gegensatz? –, das System der politischen Institutionen zu zerstören. Sie scheiterten zwar zuletzt, aber wenn man bedenkt, was gegen sie aufgeboten werden musste, erkennt man auch, wie gefährlich sie für die Herrschenden wurden. Drei Bewegungen waren verflochten, eine gegen den Vietnamkrieg, dann die Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner, drittens die ökologische Bewegung.
Ihre Verflechtung wird augenfällig in der prominentesten oppositionellen Figur dieser Jahre, dem schwarzen Pastor Martin Luther King. Während er hauptsächlich die Bürgerrechtsbewegung anführte, verurteilte er auch den Krieg in Indochina und sprach Sätze, die sich aufs ökologische Anliegen beziehen ließen: „Aber irgendwann müssen wir einsehen“, sagte er in einer Rede am 16. August 1967, „dass eine Gesellschaft, die Bettler erzeugt, umgebaut werden muss. Das heißt, es müssen Fragen gestellt werden. Wem gehört das Öl? Wem gehört das Eisenerz?“ Der Linguist und Regimekritiker Noam Chomsky, der das vor zwei Jahren in Erinnerung rief, hat die ökologische Dimension solcher Sätze begriffen: „Warum“, fragt er, „treffen Manager die Entscheidungen? Warum nicht diejenigen, die direkt davon betroffen sind, die Arbeitnehmer und die Gemeinschaft? Warum sollten nicht sie bestimmen, was mit der Stahlindustrie geschieht?“ Oder, fragt er weiter, mit der Autoindustrie? Die Gemeinschaft würde wohl dafür stimmen, „zu produzieren, was das Land unbedingt braucht, nämlich nicht noch mehr Autos auf den Straßen, sondern effiziente öffentliche Verkehrsmittel zu unser aller Nutzen und dem unser Enkel“.
Die Ökologen bildeten nicht die stärkste der drei Bewegungen, doch auch wenn man nur sie allein betrachtet, ist man über ihre Stoßkraft verblüfft. Nachdem sich Konsumismus-Kritik schon in den 1950er Jahren geregt hatte – Vance Packarts Klassiker über Werbung, Die geheimen Verführer, erschien 1957 –, machte 1962 die Biologin Rachel Carsons mit The Silent Spring, der stumme Frühling, auf die Verseuchung der Böden, der Seen, der Nahrungskette mit DDT aufmerksam. Ein anderer Biologe, Barry Commoner, hatte zunächst ein Komitee gegen die Atombombe organisiert. Nach dem Erscheinen von Carsons’ Buch machte er daraus ein „Umwelt“-Komitee. 1965 erfolgte Ralph Naders Kriegserklärung gegen Ford und General Motors, Unsafe at any Speed, worin er zeigt, wie die Autokonzerne Profit über die Sicherheit stellen. Weil bekannt wurde, dass General Motors Privatdetektive auf ihn ansetzte, wurde er zur nationalen Figur. 1967 erschien Ezra Mishans The Costs of Economic Growth, einer der ersten Angriffe auf das Wirtschaftswachstum, verbunden mit heftigen Ausfällen gegen Auto und Flugzeug, die der „größte Albtraum der modernen Gesellschaft“ seien. Die Zahl von Texten über Umweltprobleme in der New York Times stieg zwischen 1960 und 1970 von 150 auf 1.700 pro Jahr.
Warum waren es gerade die 1960er – in denen Petra Kelly in den USA lebte, die dann nach Deutschland zurückkehrte und Ende der 1970er die Grünen mitgründete? Wahrscheinlich weil in diesem Jahrzehnt die Mondlandung der USA vorbereitet wurde. „In jedem Ökologen steckte im Grunde ein Raumfahrtskeptiker“, urteilt 1972 rückblickend der Sachbuchautor Donald Fleming. Nach seinem Bericht hatten sich alle Ökologen in Lewis Mumfords 1970 erschienener Polemik The Pentagon of Power wiedererkannt, das später als Mythos der Maschine ins Deutsche übersetzt werden und Rudolf Bahros Industrialismuskritik inspirieren sollte. Mumford kritisierte das Raumfahrtprogramm, weil es die Menschheit von der Aufgabe ablenke, sich um ihre einzige Heimat, die Erde, zu kümmern.
Die Mondlandung als Hintergrund zeigt uns, wie die drei Bewegungen überhaupt zusammenhingen. Sie ist ein Projekt im Kontext des Kalten Krieges. Dass sie unter Gesichtspunkten einer Raumfahrtstrategie verfrüht war, hat man oft betont. Aber die USA wollten zeigen, dass sie der Sowjetunion technisch voraus waren. Zum selben Kontext gehörten auch der Vietnamkrieg und überhaupt die von der UdSSR unterstützten Befreiungskriege der kolonialisierten Völker, in denen sich auch die Afroamerikaner wiedererkannten.
So wurde die globale Auseinandersetzung, in der sich diese größte Weltmacht befand, in ihr selber kritisch reflektiert und hätte ihr, wenn das immer so weitergegangen wäre, zur Fußangel werden können. Was den Vietnamkrieg betraf, er wurde das tatsächlich. Der innere Widerstand gegen ihn gilt seit jeher als ein Hauptfaktor der Kriegsniederlage. Dafür aber, dass sogar die kapitalistische Produktionsweise gefährdet war, gibt es einen hochkarätigen Zeugen – den 1972 von Präsident Richard Nixon zum Richter am Supreme Court berufenen Rechtsanwalt Lewis F. Powell.
Ein Jahr zuvor – die zeitliche Nähe dürfte kein Zufall sein – hatte der im Auftrag der US-Handelskammer ein Memorandum geschrieben. Darin bezog er sich vor allem auf Ralph Nader, den Feind von General Motors, der „längst eine Legende und ein Idol für Millionen Amerikaner geworden“ sei. Er habe das Vertrauen der Amerikaner in die Unternehmen unterminiert und den Weg zum Sozialismus geebnet. „Die beunruhigendsten Stimmen, die sich dem Chor der Kritik anschlossen“, schrieb Powell, „stammten von durchaus respektablen Elementen der Gesellschaft: von Universitäten, den Kanzeln der Kirchen, den Medien, den intellektuellen und literarischen Zeitschriften, den Künsten und Wissenschaften und von Politikern“. Dagegen müssten sich amerikanische Konzerne aggressiver zur Wehr setzen.
Das geschah auch, Powells Warnung verhallte nicht ungehört. Die Anzahl konservativer Organisationen, die Geld in Think-Tanks steckten, nahm infolge des Memorandums stark zu. Die bourgeoise Lobby- und Medienarbeit wurden in der Folge verbessert, und es wurden Wissenschaftler gefördert, die in populären Büchern und wissenschaftlichen Zeitschriften das ökonomische System feierten. Powell war nur ein Einzelner, man kann allgemein sagen, dass die US-Bourgeoisie sich politisierte. Und es geschah noch mehr. Noam Chomsky meint, die Architektur der Hochschulen habe sich verändert: Bei Neubauten seien keine Versammlungsgelegenheiten für Studierende mehr geschaffen worden.
Dass der Neoliberalismus als Neuausrichtung der Wirtschaft nicht nur auf ökonomische Probleme geantwortet hat, sondern ein politisches Rollback war, haben viele beschrieben. Schließlich lesen wir im Bericht an die Trilaterale Kommission aus dem Jahr 1975, dass ein „Übermaß an Demokratie“ zu Problemen der Regierbarkeit führe: „Was stattdessen nottut, ist eine maßvollere Demokratie.“ Hier ist es auf den Punkt gebracht: Nicht durch irgendeine Rote-Armee-Fraktion, sondern durch die Demokratie sah sich der Kapitalismus in Gefahr gebracht.
Selbst die politischen Morde, denen Martin Luther King und Robert Kennedy zum Opfer gefallen waren, hatten diese Bewegungen nicht aufhalten können. Die Bourgeoisie wusste, dass sie nicht gegen die politischen Institutionen, sondern nur mit ihnen siegen konnte. Jedenfalls solange die Bewegungen nicht zur Gewalt griffen, wo es dann leicht gewesen wäre, einen neuen Faschismus gegen sie zu mobilisieren, war das der Fall. Gewalt hatten die Bewegungen aber gar nicht nötig, es genügte vollkommen, hier und da „den konzessionierten Rahmen zu überschreiten“, wie Rudi Dutschke das zeitgleich in Deutschland propagierte. In den 1970er Jahren allerdings liefen sie auseinander. Warum? Wohl weil es Teilerfolge gegeben hatte wie 1972/73 den erzwungenen Rückzug aus Vietnam. Vor allem aber deshalb, weil nach einem klaren Entwurf, wie eine nachkapitalistische Gesellschaft hätte aussehen können, nicht einmal gesucht worden war.
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