Als Neil Armstrong am 20. Juli 1969 den Mond betrat, sagte er: „Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein riesiger Sprung für die Menschheit.“ Das wurde oft zitiert, wie überhaupt sehr viele Aspekte und Hintergründe des Apollo-Projekts durch die Erinnerung an den Jubiläumstagen ins öffentliche Bewusstsein eingingen. Am meisten wohl, dass Präsident Kennedy 1961 einen Wettlauf mit der Sowjetunion ausgerufen hatte: Die erste Mondlandung sollte einem Amerikaner gelingen, um die Überlegenheit des Westens zu demonstrieren. Der Glaube hieran hatte nach dem sowjetischen Erfolg der Sputnik-Mission und mit Juri Gagarin als erstem Menschen im All (1961) arg gelitten – in Teilen der Medienwelt jedenfalls.
Längst weiß man, dass die US-Regierungsapparate intern eher gelassen reagierten. Da sie nicht anthropologisch, sondern militärisch über das Ereignis nachdachten, begrüßten sie im Grunde den Präzedenzfall, der geschaffen worden war: Die Sowjets erlaubten es sich, eine auch spionagefähige Sonde über die USA fliegen zu lassen, also durfte niemand protestieren, sollten Amerikaner dasselbe mit der UdSSR tun. Dass der Sputnik vier Monate vor dem US-Satelliten Explorer einsatzbereit war, konnte nicht überraschen. Es illustrierte den größeren Leidensdruck der Sowjets: Um die USA mit Atombomben zu erreichen, brauchten sie Interkontinentalraketen, die dann auch Sputniks aussetzen konnten. Dieses Problem hatten die Amerikaner nicht. Sie waren in Westdeutschland, die Sowjets aber nicht in Kuba militärisch präsent.
Doch war es der sowjetischen Raumfahrt nicht vergönnt, die technischen Probleme der Mondlandung rechtzeitig zu lösen. Eigentlich war sie auch verfrüht, als nächster Schritt in der Raumfahrtentwicklung jedenfalls. Sergej Koroljow, der Leiter des sowjetischen Raumfahrtprogramms, hatte von den Orbitalflügen Gagarins und German Titows zum Bau einer Weltraumstation fortschreiten wollen, das wäre sinnvoll gewesen. Nikita Chruschtschow, bis 1964 KPdSU-Generalsekretär, wollte sich dagegen auf den Wettlauf mit dem Apollo-Projekt einlassen.
Es wäre trotzdem ganz falsch, in diesem eine bloße Propagandashow zu sehen. 20.000 Firmen waren an dem Vorhaben beteiligt. Die Mondindustrie wurde nach der Stahl- und der Automobilindustrie zur drittstärksten Branche der USA. Eine Propagandashow war die Mondlandung aber auch, und gerade deshalb ist es interessant, ihre unbeabsichtigten ideologischen Effekte zu untersuchen. Seltsame Wortmeldungen gab es, die einen erstaunlichen Zusammenhang nahelegen: von Raumfahrt und Ökologie. Vom Mond aus wird die Erde auffällig. „Wie eine große, blaue Pupille“ sehe sie aus, sagte Armstrong, und ein anderer Astronaut ergänzte, wenn man auf dem Mond sei, verschwinde die Erde hinter dem Daumen. In einem noch im Jahr der Mondlandung veröffentlichten Buch kommentierte der amerikanische Romanautor Norman Mailer: „Wie mit dem Auge eines gerade ermordeten Opfers starrte die Erde Armstrong ins Gesicht.“
Das ist die Sprache des unmittelbar erlebten Schocks, der heute längst vergessen ist. Seine ökologische Variante ist aber noch in aller Munde. Schon Ende 1968 war die Erde, wie sie „über dem unwirtlichen Mondhorizont“ auftaucht, fotografiert worden, von einer Rakete aus, die den Mond nur erst umkreiste. Der Tagesspiegel, der das 1994 in Erinnerung ruft, urteilt verallgemeinernd, die Raumfahrt habe „entscheidend zum ökologischen Gedankengut der Gegenwart“ beigetragen. Dem musste allerdings noch der Bericht des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“ vorausgehen. Als Ende 1972 das berühmteste Erdbild, die „blue marble“, aufgenommen wurde, war er gerade veröffentlicht worden, am Anfang desselben Jahres. Nun kam es zu der Assoziation, die blaue Biosphäre sei doch „nur eine dünne, verletzliche Hülle“ um die Erde herum. Viele einflussreiche Autoren von Ökologiebüchern bezogen sich später darauf, so der Politiker Al Gore von der Partei der Demokraten und der Biophysiker James Lovelock. Al Gore fügte erschrocken hinzu, dass die Erde „in der Dunkelheit schwebt“, während Lovelook sich fragte, ob die Erde nicht „eine heilige Zeremonie zelebriert“ – etwa die des Opfers? Schlechtes Gewissen scheint beide zu quälen. Al Gore hatte als US-Vizepräsident (1993 – 2001) die NASA beaufsichtigt, Lovelock für sie gearbeitet.
Die 600 Millionen bloßer Zuschauer der Mondlandung – damals ein Fünftel der Menschheit – hatten andere Gründe zum Erschrockensein. Was sie sahen, war in der Tat „unwirtlich“. Dabei war es immer so vergnüglich gewesen, Science-Fiction zu lesen. Von vielem, was die Astronauten durchmachten, wurden die Fernsehzeugen ja gar nicht behelligt. Etwa wie sie die Nacht auf dem Mond zubrachten, in einem engen Landegerät ohne Schlafplätze. Oder wie sie ihre Notdurft in der Schwerelosigkeit des Raumschiffs verrichteten. Einzelheiten kann man in Norman Mailers Buch nachlesen. Der deutsche Dichter Arno Schmidt hatte es schon 1960 satirisch ausgemalt: In seinem Roman KAFF auch Mare Crisium wird die „Lankweilichkeit“ der Wälder Niedersachsens mit dem Leben auf dem Mond konfrontiert, wo man sich den Hintern mit Schiefer abwischen muss, weil das Papier ausgegangen ist. Nun kann man auch bei Karl May die Bemerkung finden, man solle sich die Reisen Old Shatterhands oder Kara Ben Nemsis nicht allzu idyllisch vorstellen, da sie doch auch ihre schmutzigen Seiten hätten – das wird die Abenteuerlust des Lesers kaum beeinträchtigt haben. Schließlich werden ihm illustre Völker und atemberaubende Landschaften vorgestellt, während die Fernsehübertragung vom Mond nur eine hässliche und vollkommen belanglose Geröllwüste zeigte.
Dass das Mondprogramm 1972 eingestellt wurde (Verzicht auf die letzten drei der geplanten acht Landungen), hat mit dem Bericht des Club of Rome natürlich gar nichts zu tun. Es wurde eingestellt, weil Präsident Nixon glaubte, das Geld besser nutzen zu müssen: zur Behebung wirtschaftlicher Schwierigkeiten und für den Vietnamkrieg. Man liest allerdings auch, dass das Interesse der Öffentlichkeit erlahmte. Vielleicht hat also doch der eine oder die andere zu ahnen begonnen, dass die Aussicht, eine solche Wüste zu werden, der Erde selbst „blühen“ könnte. Zumal schon 1970 The Pentagon of Power erschienen war, die Neuausgabe des zweiten Teils von Lewis Mumfords Myth of the Machine. Dieses Buch war ein Generalangriff auf die Raumfahrt. Sie verhöhne die dem Menschen zugewiesene Lebenswelt, schrieb Mumford. Die Lebensqualität auch nur eines Quadratkilometers Erde nehme es mit allen Planeten des Sonnensystems auf. Die Raumfahrt lenke die Menschheit von der Aufgabe ab, sich um ihre einzige Heimat zu kümmern, die Erde.
Viele empfanden Mumfords „Industrialismus“-Kritik als eine Art Zusammenfassung all der ökologischen Proteste, die in den 1960er Jahren laut geworden waren, angefangen mit Rachel Carsons The Silent Spring (1962), einer Abrechnung mit der Verseuchung der Nahrungskette durch DDT. Im Jahrzehnt des Apollo-Projekts stieg die Zahl von Artikeln über Umweltprobleme in der New York Times von 150 auf 1.700 pro Jahr. „In jedem Ökologen steckte im Grunde ein Raumfahrtskeptiker“, urteilte damals ein Autor, und tatsächlich wird Gaylord Nelson, Senator von Wisconsin und Anführer der Ökologen im US-Kongress, 1970 mit dem Satz zitiert, „der Kampf für eine gesunde Umwelt sei wichtiger als die Raumfahrt, die Entwicklung neuer Waffen oder der Vietnamkrieg“.
Ebenfalls 1970 erschien Sputiamo su Hegel (Wir pfeifen auf Hegel) der italienischen Feministin Carla Lonzi. Daraus zitiert Elena Ferrante in ihrem Roman Storia di chi fugge e di chi resta (erschienen 2013, deutsch 2017 unter dem Titel Die Geschichte der getrennten Wege): „Während die Männer fleißig zum Mond fliegen, muss das Leben für die Frauen auf diesem Planeten erst noch beginnen.“ Der folgende Satz gilt auch für fast alle Männer: „Sich von der Unterwürfigkeit befreien, hier, jetzt, in dieser Gegenwart.“
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