Das Mosaik der Linken

Crossover Tom Strohschneider denkt in seinem Buch über die Möglichkeit von Rot-Rot-Grün nach und zeigt viele Widersprüche auf. Das war noch vor der Zuspitzung der Ukraine-Krise

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Wer erfahren will, welche Anstrengungen unternommen wurden, um eine rot-rot-grüne Bundesregierung vorzubereiten - in den 90er Jahren durch "Crossover"-Tagungen, heute etwa durch die Arbeit des "Instituts Solidarische Moderne" -, ist mit Tom Strohschneiders Flugschrift gut bedient. Sie ist aber vor allem deshalb wertvoll, weil sie die inneren Widersprüche des Projekts auflistet. Das fängt mit der Frage an, warum man es überhaupt wollen soll. Wie kann "das linke Lager" ein "Pflänzchen gesellschaftsverändernder Hoffnung" sein, wenn man auch liest, es könne "nie und nimmer" ein Projekt daraus werden "in dem Sinne, der heutzutage darunter noch verstanden wird"? Nur eine Gemeinsamkeit bei "durchaus unterschiedlichen Zielsetzungen" könne herauskommen, meint der Chefredakteur des Neuen Deutschland. Auf der letzten Seite schreibt er aber, ohne "Konfrontation mit mächtigen Kapitalfraktionen" und "eine weitgehende sozial-ökologische Transformation" seien nicht einmal die heutigen Wahlprogramme der Partner realisierbar. Das wird schwierig mit einer SPD zusammen, deren "unterschiedliche Zielsetzung" gerade darin besteht, dass sie keine "weitgehende Transformation" will.

Man müsste sich vielleicht zwischen zwei strategischen Begriffen entscheiden, die Strohschneider nebeneinanderstellt. Da gibt es zum einen das von dem Gewerkschafter Hans-Jürgen Urban aufgebrachte Selbstbild einer "Mosaiklinken". Es suggeriert, dass jede linke Kraft mit allen anderen vorlieb nehmen kann, wie sie nun einmal sind. Schnittmengen werde man schon entdecken. Da gibt es aber auch den Philosophen und Aktivisten Thomas Seibert; der sagt, Rot-Rot-Grün brauche "einen antikapitalistischen Pol". Ob ein solcher Magnet sich mit der bloßen Zusammenfügung von Mosaiksteinen vertrüge - nehmen wir an, sie sind eisenhaltig -, ist fraglich.

Ein weiterer Widerspruch liegt in der unterschiedlichen Sicht der Linkspartei auf SPD und Grüne, wenn beide dasselbe tun. Wenn die Grünen "sogar mit der Union sondieren", ist Strohschneider ganz anders betroffen, als wenn die SPD nicht nur sondiert, sondern das wirkliche Bündnis folgen lässt; nicht davon, dass die SPD keine rot-rot-grüne Bundesregierung gebildet hat, was möglich gewesen wäre, sondern vom Bündnis der Grünen mit der CDU in Hessen sagt er, es sei ein "Menetekel" und werde "Spuren", ja "rot-rot-grüne Narben" hinterlassen. Die Grünen, behauptet er, seien "auf der Suche nach einem Platz als Scharnierpartei". Wenn das richtig wäre, bestünde ihre Rolle darin, mal der SPD, mal der Union zur Macht zu verhelfen, damit jedenfalls irgendeine Regierung mit stabiler Mehrheit herauskommt. Ein analoger Vorwurf gegen die SPD würde lauten, ihre politische Entwicklung mache es immer gleichgültiger, ob sie selbst oder die CDU/CSU regiere. Den lesen wir aber nicht.

Die Grünen sind offenbar das verwirrendste Phänomen im "linken Lager". Das zeigt sich auch in der Diskussion über Inhalte. Wenn etwas als "Grüner Kapitalismus" erscheint, wird es zurückgewiesen, weil in ihm "die Herrschaftsstrukturen erhalten bleiben". Strohschneider hätte aussprechen können, dass der Begriff das Programm der grünen Partei bezeichnet. Dafür ist er zu höflich. Das Problem ist aber, dass die "Herrschaftsstrukturen" auch sonst "erhalten bleiben", wenn dem rot-rot-grünen Projekt von welcher Seite auch immer ein Programm zugeschrieben wird. Es wird nur nicht jedem zum Vorwurf gemacht. Vom programmatischen Angebot der SPD, von Sahra Wagenknechts Ordoliberalismus lesen wir nicht, das sei "Roter Kapitalismus".

Ralf Krämer von der Linkspartei sagt sehr richtig: "Es geht um einen Wechsel gegenüber einer Politik, die von zwei der drei beteiligten Parteien selbst betrieben wurde." Das heißt, sie wurde von der rot-grünen Regierung unter Führung des Sozialdemokraten Gerhard Schröder betrieben. Nach Schröder stellte die SPD dessen Gesinnungsgenossen als Kanzlerkandidaten auf: erst Steinmeier, dann Steinbrück. Man konnte die SPD lange beobachten. Weit entfernt, sich von "Herrschaftsstrukturen" abzuwenden, stellt sie selbst eine solche dar. Strohschneider zitiert aus der Zeitschrift der Jusos, dass die Große Koalition den "wirklichen sozial-ökologischen Kurswechsel angesichts der Stärke der Unionsparteien weitgehend blockiert". Könnte es aber nicht sein, dass SPD und CDU/CSU von jeher ein Dual gebildet haben, das als solches die Blockade bewirkt? Diese Frage wird nicht gestellt, obwohl sie so naheliegt. Deshalb vielleicht drehen sich viele strategische Überlegungen im Kreis.

tom strohschneider, linke mehrheit? über rot-rot-grün, politische bündnisse und hegemonie, VSA, Hamburg 2014, 96 S., 9,80 €

Die Rezension erschien vor einigen Wochen im Freitag.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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