Nur männliche Diakone, nur sexuell enthaltsame Männer als Priester. Mit seinem „nachsynodalen Schreiben“ hat der Papst sich geoutet. Er galt doch als der große Reformer, manchen gar als Revolutionär, auch wegen seiner klaren Kritik am Kapitalismus. Aber nun stellt sich heraus, dass er ganz in der Tradition der konservativen Päpste schon seit dem Ersten Vatikanischen Konzil steht.
Das war 1869 von Papst Pius IX. einberufen worden, der wie Franziskus als progressiv gegolten hatte, nun aber seine Unfehlbarkeit beschließen ließ, ein Rückfall noch hinter das Mittelalter. Sein Ziel, erklärte er, sei die Abwehr moderner Irrtümer. Er wies etwa das Ansinnen zurück, er als Papst müsse sich mit dem Fortschritt, dem Liberalismus und der europäischen Zivilisation im 19. Jahrhundert versöhnen. Von heute aus gesehen war schon das eine Weigerung, sich auf den Kapitalismus einzulassen. Die kapitalistische Industrialisierung stand ja erst seit etwa 1850 auf eigenen Füßen.
Wenn der heutige Papst den Kapitalismus ausdrücklich kritisiert, können wir nicht umhin, ihm gute Gründe zu bescheinigen. Kapitalistische Praktiken, die er in seinem Schreiben anprangert, etwa dass „kolonisatorische Interessen“ die indigenen Völker Amazoniens „vertrieben oder umringt“ haben, werden auch von nicht religiösen Linken bekämpft. Andererseits hält er das Zölibat aufrecht, das im Mittelalter überhaupt erst entstanden ist. Dazu ist längst alles gesagt! Man lese das knappe Buch Zölibat: 16 Thesen von Hubert Wolf (C. H. Beck 2019), das die reaktionäre Institution in allen Details seziert. Wie kann eine Kirche, die so geführt wird, noch immer so viel Einfluss auf so viele Menschen haben – in Südamerika, wo jene Synode stattfand, deren Kritik am Zölibat Franziskus nicht aufnimmt, aber auch in Europa, in Bayern? Man sollte die Frage doch einmal ernsthaft stellen. Franziskus erklärt, es gehe gar nicht darum, Frauen und verheiratete Männer von der religiösen Mitarbeit abzuhalten. Nur die heiligen Handlungen, wie die Spendung des Abendmahls, blieben den zölibatären Priestern vorbehalten. Auf diese Position fällt Licht von einem anderen Buch her, dem allermodernsten sozusagen.
Moral war das Gebot Gottes
Auch eine Geschichte der Philosophie von Jürgen Habermas (Suhrkamp 2019) zeigt, wie die Philosophie damit ringt, das Sakrale ersetzen zu können. Es ist nicht so einfach. Das Sakrale hat einst den Zusammenhalt der Gesellschaften gestützt, indem es sich zum Fundament moralischer Gebote machte. „Du sollst nicht töten, nicht stehlen“ wurde als Befehl eines Gottes oder als logische Folge einer Weltordnung hingestellt. Zur Veranschaulichung dieser Autorität war das Sakrale unverzichtbar. Außerdem wurde es in Ritualen, ständigen Wiederholungen buchstäblich „gelebt“. Die moralischen Handlungen sollten Gewohnheit werden. Habermas zeigt, dass von all dem nur die Moral selber übrig geblieben ist. Sie wird jetzt durch den Parlamentarismus begründet. Durch Gesetzgebung. Wir erleben nur gerade, dass diese Demokratie zerfällt, fügt Habermas hinzu.
Was man bei ihm nicht liest: Ins Sakrale, als es die frühen Gesellschaften beherrschte, war auch die gesellschaftliche Ökonomie einbezogen. Noch der Kapitalismus wird von Walter Benjamin „als Religion“, als Kult beschrieben. Der aber gerade treibt die Menschen auseinander, statt sie zu integrieren. So gesehen gehören der Antikapitalismus des Papstes und seine sture Verteidigung des Sakralen zusammen. Denn eine integrale Ökonomie ist noch nicht vom Himmel gefallen.
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