Die Ausgrenzungskeule

Parteien Die AfD so zu behandeln, als dürfte es sie nicht geben, ist die falsche Strategie. Wie wär's denn mal mit Argumenten?

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Zwischen Europawahl und nächster innerdeutscher Wahl, am 31. August in Sachsen, setzt die „Alternative für Deutschland“ (AfD) zum Höhenflug an. Zwar war ihr Erfolg bei der Europawahl ein scheinbarer. Sie hat mehr Prozentpunkte, aber nicht mehr Stimmen erhalten als bei der Bundestagswahl im letzten Jahr. Aber die stolzen sieben Prozent, die sie sich auf die Fahne schreiben kann, haben dennoch als Fanal gewirkt und steigern nun auch ihre Umfragewerte. Mit ihrem Einzug in den sächsischen Landtag kann ziemlich sicher gerechnet werden. Darauf regieren Union und FDP mit Sorge, und als wäre es selbstverständlich, heißt das: mit Ausgrenzung. Wie in den 1990er Jahren die PDS als Partei der „roten Socken“, sprich der SED-Nachfolge dämonisiert wurde - mit dem Erfolg, dass die SPD auf Landesebene nur zögernd, im Bund gar nicht mit ihr koalierte -, so wird jetzt die AfD als Partei behandelt, die es gar nicht geben dürfte. Weil sie aus Protest gegen den Euro entstand? Ist das ein Verbrechen? Das wagt niemand zu behaupten, man sagt aber, sie sei rechtspopulistisch.

SPD, Linke und Grüne unterstützen offenbar diesen Kurs. Die Frage ist, ob sie gut beraten sind. Sie selbst haben unter der Ausgrenzungsstrategie der 90er Jahre gelitten. Die SPD hat erst vor einem halben Jahr erklärt, sie betrachte die Linkspartei nun auch auf Bundesebene als möglichen Koalitionspartner. Sieht sie es mit Schadenfreude, dass auch mal die Union in Ausgrenzungsnöte kommt? Aber deren Pose verdient keine Unterstützung. Eben noch hat sich CSU-Chef Seehofer bei den Wählern der AfD mit einem selber rechtspopulistischen Europawahlkampf angebiedert und wurde dafür mit Stimmenverlust bestraft. Armin Laschet, der stellvertretende Vorsitzende des Landesverbands NRW, hat es kritisiert. Durch Attacken gegen die AfD und einen offensiven europafreundlichen Kurs sei es in seinem Bundesland gelungen, die neue Partei kleinzuhalten. Aber gerade aus Sachsen, wo der nächste Härtetest bevorsteht, kommt jetzt die Botschaft, dass die AfD „in kein Parlament“ gehöre, weil sie die Gesellschaft spalte und verletze. So tönt Michael Kretschmer, der sächsische Generalsekretär, ohne auch nur ein einziges Argument zur Eurofrage vorzubringen. Das ist Ausgrenzung. Und die FDP gar - deren sächsischer Chef Holger Zastrow fordert die CDU auf, sich schärfer zu distanzieren, weil die AfD Parallelen zur NPD aufweise.

"Macht die Grenzen dicht? Das fordert die NPD auch“, sagt er. Man kann das für ein Argument ansehen, aber es ist doch recht schwach, weil die AfD-Forderungen sich in diesem Punkt von der Unionspolitik kaum unterscheiden. Wurde nicht eben erst das Asylrecht noch weiter abgebaut? Die AfD will es ausbauen, so behauptet sie jedenfalls, dafür aber die Einwanderung stärker behindern als es schon geschieht. Wenn wir uns da auf NPD-Boden befinden, dann ist es ein Boden, auf dem NPD und Union gemeinsam siedeln. Aber wozu überhaupt argumentieren, mag Zastrow sich sagen, wo er doch „fast nur verbitterte, pessimistische Leute“ sieht, „Bodensatz“ und „Berufsmeckerer“, mit denen sich auseinanderzusetzen Zeitverschwendung wäre.

Es ist gewiss nicht per se falsch, Parteien auszugrenzen. Die NPD muss wirklich ausgegrenzt werden. Mit Parteien, die zu Neonazis und ihrem Gedankengut Kontakt halten, soll man nicht anbändeln. Ob das über Parteienverbote oder über Stoppschilder und Kommunikationsverweigerung versucht wird, ist eine taktische Frage, über die man verschiedener Meinung sein kann. Da entscheidet letztlich der größere Nutzen. Nur ist es eben der Nachteil der Ausgrenzungsmethode durch Stoppschilder, dass sie missbraucht werden kann wie in den 90er Jahren. Die PDS hat die Ausgrenzung von Anfang an niemals verdient. Sie war eine Partei mit radikalen linken Positionen, sah sich aber durchaus nicht in der politischen Nachfolge ihrer Vorgängerpartei, der SED, sondern war entstanden, weil sie mit deren Politik grundsätzlich brach. Gerade von der undemokratischen Wirtschafts- und Staatspolitik der SED hatte sie sich mit aller Klarheit distanziert. In einem politischen Betrieb, der nicht zum Verdrossensein wäre, würde ein solcher Neuanfang von allen Seiten als wichtiger Fortschritt begrüßt und nicht, wie es geschah, völlig grundlos als Lüge verleumdet werden. Aber es war der Union ja nützlich, rot-rote Koalitionen wo immer möglich zu verhindern.

Eine Partei, die im „Verfassungsbogen“ steht, wie das einst in Italien genannt wurde, hat man nicht auszugrenzen. Die PDS stand darin, und so wenig die AfD mit ihr vergleichbar ist, steht sie ebenfalls darin. Zu diesem Ergebnis kommen Politologen und wissenschaftliche Untersuchungen. Als eine „national-konservative, europa-skeptische“, aber „nicht mal anti-europäische“ Partei wird die AfD von Richard Stöss bezeichnet, einem seit drei Jahrzehnten namhaften linken Parteienforscher, der ein großes zweibändiges Parteienhandbuch herausgegeben hat. Sie wolle, dass Deutschland weniger Macht an die EU abtritt, habe aber „nichts gemeinsam“ mit den weitergehenden Vorstellungen von Parteiführern wie Geert Wilders oder Marine Le Pen. Tatsächlich will sie ja nicht mit denen zusammen in einer Fraktion des Europaparlaments sitzen, sondern bewirbt sich um Aufnahme in die Fraktion „der Konservativen und Reformisten“, die vom britischen Premierminister David Cameron dominiert wird. Angela Merkel hintertreibt das und Cameron kann kaum anders, als sich ihrem Druck zu beugen.

Eine von der Heinrich-Böll-Stiftung, die den Grünen nahesteht, bei der Forschungseinrichtung FORENA bestellte Expertise kommt zu dem Schluss, dass es keine Gemeinsamkeiten der AfD mit dem verfassungsfeindlichen Neonazismus, wohl aber mit dem Rechtspopulismus gebe. So zeigten sich „wohlstandschauvinistische, marktradikale, nationalistische und kulturalisierende“ Tendenzen. Eindeutig stehe die AfD rechts von der Union, sei daher für Wähler rechts von ihr attraktiv und habe tatsächlich Zulauf von früheren Mitgliedern rechtskonservativer und rechtspopulistischer Parteien wie der Republikaner und der dezidiert antiislamischen Partei Die Freiheit. Tatsächlich hat diese nach der Bundestagswahl erklärt, sie werde zugunsten der AfD an weiteren Wahlen nicht teilnehmen. Allerdings führte gerade diese Erklärung zur Forderung des AfD-Sprechers Bernd Lucke, der in Hamburg Makroökonomie lehrt, ein bundesweiter Aufnahmestopp für Mitglieder rechter Splitterparteien müsse verhängt werden. Ihm zufolge ist eine Mitgliedschaft in der AfD unvereinbar mit ausländerfeindlichen, rassistischen, antisemitischen, islamfeindlichen, rechts- und linksextremen Gesinnungen.

Zwar bleibt die Frage in der neuen Partei umstritten. Mehrere ostdeutsche Landesverbände sind weiterhin bereit, Aufnahmeanträge von Freiheit-Überläufern zu prüfen. Denen ist es ohnehin schon gelungen, einige Spitzenpositionen in der AfD zu besetzen. Zudem sagen nicht wenige, die AfD solle sich zwar gegen rechts abgrenzen, für ehemals rechte Parteigänger jedoch offen sein. In Sachsen, wo die NPD noch im Landtag vertreten ist, umwirbt man offen deren Wähler. Wie der Streit aber ausgeht, lässt sich noch nicht sagen, das hebt auch die FORENA-Expertise hervor. Die AfD ist eine Gründung früherer Unionsmitglieder wie Lucke, Alexander Gauland und Konrad Adam, dem ehemaligen FAZ-Kommentator, die jetzt versuchen, das Heft in der Hand zu behalten. Es gibt einen marktradikalen Flügel um Lucke, einen nationalkonservativen um Gauland und drittens den rechtspopulistischen, der mit konservativen Netzwerken organisatorisch und personell verflochten ist. Zwischen den Flügeln wird ein Richtungsstreit ausgefochten, wie er ausgeht, muss man abwarten. War nicht die Lage bei der Entstehung der Grünen vergleichbar? Auch da gab es Kernforderungen, um die herum sich eine neue Partei konstituierte – keine AKWs, kein Rüstungswettlauf – und von denen auch Rechtskonservative angezogen wurden, die freilich bald aus der Parteiführung herausflogen. Das könnte bei der AfD, deren Kernforderung die Abschaffung oder Reduzierung des Euroraums ist, anders ausgehen. Hinzukommt aber, dass Union und FDP das Interesse haben, es herbeizureden, um ihren Ausgrenzungskurs zu rechtfertigen.

Besonders die FDP hat das Interesse. Denn die Existenz der AfD macht es unwahrscheinlich, dass sie noch jemals wieder die Fünfprozenthürde übersteigt. Von den Wählern, die ihr bei der Bundestagswahl 2009 fast 15 Prozent bescherten, weil sie auf die Eurokrise egoistisch mit einem Steuersenkungsprogramm zum Beispiel für Hotelbesitzer reagierten, dürfte sich heute die AfD speisen, nach einer Zwischenzeit, in der sich diese Wähler dem rechten Rand der Union einverleibt hatten. Die Union selbst hat das Interesse auch, aber aus anderen Gründen. Man könnte sich ja vorstellen, dass sie die AfD in Koalitionen zu „entzaubern“ versucht, wie es ihr mit der FDP gelungen ist, deren Steuersenkungsradikalismus mit ihrer Linie genauso unvereinbar war, wie es jetzt die Euro-Position der AfD ist. Dem steht aber entgegen, dass die CDU-Führung eine Bundesregierung mit Beteiligung der Grünen anstrebt. Zwischen den Grünen und der AfD muss sie sich entscheiden. Es ist die Folge davon, dass die grüne Partei links steht und nicht rechts.

Warum geht es nur mit verlogener Ausgrenzung, die zu noch mehr Politikverdrossenheit führt? Warum kann die AfD nicht mit Argumenten bekämpft werden? Nun, die Antwort liegt auf der Hand: Die von der Union betriebene Euro-Politik ist zwar anders, aber nicht besser als die der AfD, und darum auch nicht überzeugender. Der Hauptunterschied besteht darin, dass die AfD es offen, die Union versteckt an Solidarität mit der südeuropäischen Krisenregion fehlen lässt. Wir wissen, wozu es in Frankreich geführt hat, dass die Union ihre Entsolidarisierung mit hohlen europafreundlichen Phrasen garniert. Sie glaubt aber weiter, sie brauche nicht zu argumentieren und könne in Deutschland die Ausgrenzungskeule schwingen. Linke, Grüne und SPD sollten der AfD anders antworten: mit echter Europafreundlichkeit durch andere, bessere Euro-Mechanismen.

Erschienen in der Freitag Nr. 24 vom 12. Juni 2014.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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