Die Klimakatastrophe demokratisch zu stoppen, ist unmöglich! Liegt das nicht auf der Hand? Jahrzehntelang haben wir sie kommen sehen, Wissenschaftler und auch Parteien haben unablässig vor ihr gewarnt, die Regierungen rühren sich aber nicht vom Fleck. Wenn sie überhaupt etwas tun, dann postulieren sie Ziele.
Nun ist es noch niemandem gelungen, ein Ziel zu erreichen ohne den Einsatz wirksamer Mittel – von denen ist aber keine Rede! Wohl werden auch Mittel eingesetzt, deren Wirksamkeit die Regierungen behaupten. Auch das aber schon seit Jahrzehnten. Zum Beispiel soll die Energieeffizienz steigen und tut es auch wirklich ununterbrochen. Und der CO2-Anstieg geht immer weiter … Lösungsorientierte Menschen würden sich nun eigentlich sagen, „wir haben unsere Mittel überschätzt, setzen wir nun andere ein, die wirksamer sind“. Das geschieht nicht. Man hat den Eindruck, dass die Regierungen nur so tun, als seien sie an einer Lösung interessiert. Ihr Interesse ist nur, im Amt zu bleiben. Und es gelingt ihnen! Sie werden gewählt! Was nützt uns so eine Demokratie?
Die Regierungen trauen sich nicht, die Leute vom Konsum gewisser Güter abzuhalten, deren Produktion und Gebrauch das Klima belastet, oder sie ihnen gar zu verbieten. Denn dann würden sie nicht gewählt. Der Versuch, solche Güter den Leuten derart zu entziehen, dass sie es für Schicksal halten, scheitert Mal für Mal. Denn sie sind ja nicht blöd. Wenn sie sich kein Auto mehr leisten können, weil es zu teuer geworden ist, haben sie in der Zeitung den Grund gelesen: Die Regierung hat die Erhöhung des Preises erzwungen.
Nun treten Linke auf den Plan und sagen, das Kapital solle die Kosten allein tragen, denn die Leute seien gar nicht schuld. Gut, aber wie ist das gemeint? Soll ein Unternehmer für den Schadstoff zahlen, der bei der Produktion anfällt, und es nicht auf den Endkonsumpreis aufschlagen? Das wäre ökonomisch absurd. Auch „gesellschaftliche Kosten“ sind „Gemeinkosten“ und solche schlägt man auf, andernfalls müsste defizitär und das heißt, würde gar nicht produziert werden. In Paris wäre der Café crème nicht mehr teuer, weil es gar keine Bars mehr gäbe.
Die Klimakatastrophe gibt es deshalb, weil zu viele schadstoffintensive Waren verkauft werden, darunter zu viele Autos. „Zu viel“ nicht nur unter dem Aspekt der puren physikalischen Folgen, sondern auch unter dem des Nutzens. Die Autoindustrie gibt Studien in Auftrag, um herauszufinden, wie man noch Senioren welche aufschwatzt, die kaum mehr das Steuer halten können.
Und die Leute kaufen gern. Wenn nicht Autos, dann anderen nutzlosen Konsum. Das nennt man den Konsumismus. Am Konsumismus ist in der Tat das Kapital schuld. Den Mechanismus beschreibt der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger in seinem neuesten Buch Der Wachstumszwang: „Immer weniger sind es ungesättigte Bedürfnisse, welche das Wachstum in entwickelten Volkswirtschaften antreiben, sondern das Bemühen der Unternehmer, stets neue Wachstumspotenziale zu schaffen. Rein technologisch ist dies kein Problem. Der Engpass liegt bei den Konsumenten, die von Treibern zu Getriebenen des Wachstums geworden sind, indem man ständig versucht, sie zu weiterem Konsum zu animieren.“
Konsumismus statt Religion
Das Kapital will Profit machen, es maßt sich an, zu entscheiden, was produziert wird – es ist schuld. Das Problem ist nur, dass es ihm auch gelingt, die Leute zu begeisterten Käuferinnen seiner Waren zu machen. Wenn der Staat den Autopreis erhöht, rebellieren sie an der Seite des Kapitals. Deshalb tut der Staat lieber gar nichts. Das ist unsere Demokratie.
Doch auch eine Diktatur würde nicht helfen. Was sollte denn ihr ökologisches Ziel sein? Die Erzwingung der wahren Preise unter Einbezug der gesellschaftlichen Kosten? Das ginge allerdings nur diktatorisch. „Gelbwesten“ oder ähnliche Bewegungen, die sich irgendwo auf die Straße trauen, würden militärisch niedergeworfen. Aber solche Diktaturen brechen zusammen. Die Leute würden ja sehen, dass der ökoschädliche Konsum ganz einfach fortgesetzt würde, mit dem Unterschied nur, dass nur noch die Reichen ihn sich erlauben könnten. Sie stünden am Straßenrand, sähen Autos vorbeifahren und wüssten, da sitzen die Reichen drin. Das funktioniert nicht. Nur eine Diktatur, die lediglich den Unternehmern die Hände bindet, könnte helfen, wenn nämlich die Menge der Autos, die produziert werden dürfen, und auch anderer schädlicher Waren begrenzt würde. Auch das führt aber nur weiter, wenn mit der Menge zugleich auch der freiwillige Bedarf zurückgeht. Denn sonst käme wieder nur heraus, dass die Preise steigen und nur die Reichen kaufen. Wo aber der Bedarf freiwillig zurückgeht, ist es keine Diktatur mehr.
Es hilft also weder die Diktatur noch die Demokratie, die wir haben. Die Demokratie, die wir haben, erstreckt sich nicht auf „die Wirtschaft“ – das ist das Problem. Wobei zur „Wirtschaft“ aber eben auch die Konsumentinnen gehören, die dem vom Kapital herbeigeführten Konsumismus freiwillig folgen. Eine ökologische Lösung kann nur darin bestehen, dass die Konsumenten mit dem Konsumismus brechen. Also nicht, dass man ihn verbietet, sondern dass sie es freiwillig tun. Wie wäre es möglich? Wohl nur indem die Bürgerinnen sich überzeugen: Ohne Konsumismus ginge es uns besser. Die Unternehmen freilich stünden unter Zwang. Sie müssten dem Willen der Bürgerinnen folgen. Während sie heute um den Erhalt jedes Kohlekraftwerks kämpfen dürfen.
Diese Demokratie wäre neu in einem unmittelbar praktischen und auch in einem mehr menschheitsgeschichtlichen Sinn. Der unmittelbar praktische Aspekt liegt darin, dass die Sache koordiniert und geradezu verfassungsmäßig ablaufen müsste. Man müsste sagen können, soundsoviele Leute haben sich jetzt entschieden, vom Auto auf öffentlichen Verkehr umzusteigen. Es müsste dann garantiert sein, dass der öffentliche Verkehr entsprechend ausgeweitet wird und die Autoproduktion entsprechend abnimmt. Wahrscheinlich funktioniert das nicht ohne einen förmlichen Wahlakt der Konsumentinnen, die auf diesem Umweg die gesellschaftliche Produktion wählen würden.
Die Menschheitsgeschichte hat insofern etwas damit zu tun, als einige Forscherinnen auf eine Ursache des Konsumismus hinweisen, die mit dem Kapital fast gar nicht zusammenhängt. Das ist der Umstand, dass die Religion ihren gesellschaftlichen Einfluss verloren hat. Konkreter gesprochen, glauben die meisten Leute nicht mehr an ein Leben nach dem Tod, wo sie im Himmel für ihr irdisches Leid entschädigt werden. Sie versuchen infolgedessen, sich schon auf Erden schadlos zu halten – nicht erst „im Paradies“, das es gar nicht gibt, sondern hier und jetzt glücklich zu sein.
Diese geschichtlich neue Haltung kann man ja nur begrüßen! Marx hat sie zu seiner Zeit noch fordern müssen, sprach von der Religion als dem „Opium des Volkes“. Aber nun hat sich das Volk einreden lassen, der Konsumismus würde den Verlust des Himmels kompensieren. Je mehr Autos, desto glücklicher. Es ist ein Trugschluss und tatsächlich ist das Kapital an ihm schuld.
In dieser menschheitlichen Perspektive sehen wir auch, dass es nicht reicht, bloß über Einzelprodukte nachzudenken. Wir müssen anspruchsvoller sein, indem wir uns und die anderen Konsumentinnen fragen, wodurch wir glücklich sind oder es wären. „Ich bin im siebten Himmel“, wann kann ich das sagen? Ist es denn schwer, zu antworten? Liebe, Freundschaft, Hilfsbereitschaft und -empfang, Schaffensfreude, Wissen, Forschen, Anerkennung, Abenteuer, Ekstase – das ist die Antwort! Wo dieses Glück gelingt, spielt Konsum nur die bescheidene Rolle, es abzustützen. Er kann dann wesentlich geringer ausfallen als heute. So gering, dass Gefahren für die Ökologie von ihm nicht mehr ausgehen.
Dafür, dass es gelingt, kann die Gesellschaft durchaus Bedingungen schaffen. Sogar fürs Abenteuer. Wer weit weg in den Urlaub fahren will, bräuchte es nicht mit dem Flugzeug zu tun, wenn die Urlaubszeit verlängert würde. Ja sogar die Liebe kann gefördert werden, weil sie auch etwas mit Kommunikationsfähigkeit zu tun hat. Viele Untersuchungen zeigen, dass Frauen im Durchschnitt viel kommunikationsfähiger sind als Männer, aber da es diese Fähigkeit jedenfalls gibt, ließe sie sich auch unterrichten.
Marx besser lesen
Unsere Überlegung läuft auf Selbstbefreiung der Menschen und strikte Grenzen fürs Kapital hinaus. Diese Formulierung muss ich aber sogleich zurücknehmen, denn „Grenzen fürs Kapital“, grundsätzliche jedenfalls, und um die geht es, ist ein Oxymoron. „Das Kapital als solches“, lesen wir bei Marx, „setzt nur einen bestimmten Mehrwert, weil es den unendlichen nicht at once setzen kann; aber es ist die beständige Bewegung, mehr davon zu schaffen.“ Wenn er recht hat, ist die Begrenzung der kapitalistischen Produktion gleichbedeutend mit ihrer Abschaffung.
Das heißt, ich habe hier eigentlich von der Notwendigkeit einer Revolution gesprochen. Da stehen wir aber vor der nächsten Frage: Die Revolutionäre müssten Demokratinnen sein, denn es soll ja eine (auch ökonomische) Demokratie erkämpft werden. Was wäre eine demokratische Revolution? Marx hielt sie für möglich: „Wir wissen“, sagt er auf einer Kundgebung in Amsterdam 1872, „dass man die Institutionen, die Sitten und die Traditionen der verschiedenen Länder berücksichtigen muss, und wir leugnen nicht, dass es Länder gibt, wie Amerika, England, und wenn mir eure Institutionen besser bekannt wären, würde ich vielleicht noch Holland hinzufügen, wo die Arbeiter auf friedlichem Wege zu ihrem Ziel gelangen können.“
Die sowjetrussische Propaganda hat unablässig einzuschärfen versucht, dass nur der bolschewistische Weg revolutionär genannt werden könne. Dieser Weg war aber niemals erfolgreich, wenn er in einem parlamentarisch verfassten Land beschritten wurde. Und das hätte man von Marx lernen können, wäre er nur verständig gelesen worden. Steht denn im eben zitierten Satz weiter nichts drin, als dass ein „friedlicher“ revolutionärer Weg möglich sei? Nein, Marx empfiehlt vor allem, die Institutionen, Sitten und Traditionen zu berücksichtigen. Das ist ja wohl ein vernünftiger Ratschlag.
Die Institutionen im heutigen Westen sind dermaßen anders als im zaristischen Russland von 1917, dass es sich einfach verbietet, sie zu behandeln, als wären sie auch irgendwie zaristisch. Sie haben ihre Mängel, verdienen aber keine Verachtung. Nur zwei Institutionen müssen fallen, das Kapital und das Patriarchat. Deshalb hat nicht nur unser revolutionäres Ziel, sondern auch die Revolution selber demokratisch statt diktatorisch zu sein. Und das bedeutet in der Tat, dass sie viel friedlicher sein wird, als es die bolschewistische war. In Russland hat es zwischen 1917 und 1923 um die elf Millionen Todesopfer gegeben. Man vergleiche damit die Revolution von 1968, soweit sie im Westen stattfand. Sie hat den friedlichen Weg gewählt, bestimmt ist sie nicht deshalb gescheitert. Obwohl es eine Reihe politischer Morde in ihr gab. Gescheitert ist sie eher, weil dann manche meinten, sie müssten zum Bolschewismus zurück. Und natürlich auch, weil viele wegen der Morde mutlos wurden.
Aber wer waren die Opfer der Attentate? Martin Luther King und Robert Kennedy, Rudi Dutschke und Aldo Moro – sehr verschiedene Gestalten, darin aber einig, dass sie alle demokratisch dachten und handelten. Nicht die Diktatur, die Demokratie bedrohte das Kapital – und das wurde von ihm erkannt. Es ist auch heute noch wahr.
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