Anno 1405, als sie für das damalige französische Lese-Publikum schon eine bekannte Schriftstellerin ist, legt eine Frau ihr Hauptwerk vor: Das Buch von der Stadt der Frauen, mit dem sie ihre vorausgegangenen Erfolge noch übertrifft. Christine de Pizan (1364 bis um 1430) lebt zur Zeit des Hundertjährigen Krieges zwischen Frankreich und England – kurz vor ihrem Tod wird sie Jeanne d’Arc in einem Gedicht feiern. Vor dem Buch über die Frauen hat sie schon über den Frieden, das Waffenhandwerk und das von ihr selbst erlebte Rad der Fortuna geschrieben; sie war ja von großer Höhe herabgestürzt, fand sich in Armut und Bedrängnis und stand schreibend wieder auf.
In Venedig geboren, war sie wie die ganze Familie dem Vater, einem namhaften
r, einem namhaften Arzt, an den Hof des französischen Königs Charles V. gefolgt. Als der aber starb, waren sie Italiener in der Fremde, die ihren Gönner verloren hatten, und als bald danach auch der Vater und ihr Ehemann starben, stand die Mutter von drei Kindern, mit 25 Jahren Witwe geworden, vor dem Nichts. Doch sie war immer wissensdurstig gewesen, schlug sich zuerst als Kopistin durch und errang dann literarischen Ruhm.Was da an Lehm weggeschafft wird, ist männliche DummheitUnd das als Feministin! Denn von der ersten Seite an ist ihr Buch eine Abrechnung mit den bösen Behauptungen über den Charakter und die angebliche Unfähigkeit von Frauen zu diesem und jenem, wie sie seit der Antike und bis in de Pizans Zeit hinein immer wieder auch von literarisch berühmten Männern erhoben worden waren. Alle „Argumente“, die diese Männer vorgebracht hatten, wie dass man Frauen keine Geheimnisse anvertrauen könne, dass sie untreu seien, kraftlos, dumm und was nicht noch alles, werden nacheinander zerpflückt. Herrlich zum Beispiel, wie de Pizan Eva rehabilitiert, die böse Eva: Gott, „der allerhöchste Arbeiter“, hat ihren Körper erschaffen. „Und die Natur sollte sich dessen schämen?“ Adam wurde bloß aus Lehm erschaffen, doch wohl um mehr zu sein als Lehm, sie aber immerhin schon aus diesem Mann Adam (aus dessen Rippe). Sie sei also bestimmt nicht erschaffen worden, um „als Sklavin zu seinen Füßen zu liegen“.Überhaupt ist das Buch so verfasst, so die Romanistin Margarete Zimmermann in ihrem umfassenden Nachwort, dass „intellektuelle Prozesse in die Begrifflichkeit von körperlicher Arbeit übersetzt werden“. Die Stadt der Frauen wird nämlich nicht nur mit all den vorbildlichen Frauen bevölkert, mythischen und historisch realen, die de Pizan aus der griechischen, jüdischen und römischen Antike wie auch aus dem Mittelalter und ihrer eigenen Zeit herbeizitiert und ausführlich würdigt, sondern wird auch buchstäblich erbaut unter Anleitung der allegorischen Frauen Vernunft, Redlichkeit und Gerechtigkeit: „Nimm die Spitzhacke deines Verstandes, grabe tief und hebe überall dort einen tiefen Graben aus, wo es dir mein Lot anzeigt, und ich werde dir mit meinen eigenen Schultern helfen, die Erde fortzuschaffen.“ Was da fortgeschafft wird, ist männliche Dummheit, der Lehm gleichsam, in den viele zurücksinken.Trotz de Pizans allegorischer Konstruktion ist das „Aufklärung“ lange vor derjenigen der Männer in der Neuzeit. Als diese Bürger entdeckten, dass sie „Subjekte“ waren, waren die Frauen nicht mitgemeint. Auch Frauen, die schreiben wollten, ließen sich nun einreden – die feministische Literaturwissenschaftlerin Elke Brüns hat es herausgearbeitet –, sie seien Menschen, in denen alles zerfalle, und glaubten dann auch selbst, sie könnten es nicht. Noch im 20. Jahrhundert „bricht“ eine Sylvia Plath „in Stücke“, bringt eine Virginia Woolf sich um, weil sie Stimmen hört, sich nicht konzentrieren kann, und spricht Ingeborg Bachmann von den „vielen Tönen, die mich überschwemmen“. De Pizan, du hattest es besser.Placeholder infobox-1