Schleswig-Holstein und NRW - zwischen zwei Wahlen

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Dass in Schleswig-Holstein die Zeichen auf "Dänen-Ampel" stehen - Regierungsübernahme durch SPD, Grüne und die dänische Minderheitspartei SSW -, entspricht zwar dem, was diese Parteien schon vor der Wahl angekündigt haben. Es hätte aber trotzdem anders kommen können, denn bei nur einer Stimme Mehrheit im Kieler Landtag hätte die SPD sagen können, das sei zu unsicher und nun sei man leider zur Großen Koalition gezwungen. Doch die SPD Schleswig-Holsteins bleibt auf ihrem Kurs und der Bundesvorsitzende Gabriel unterstützt ihn deutlich. Es verstand sich nicht von selbst, dass es nicht anders kam. Allzu viel hat in den letzten Monaten darauf hingedeutet, dass eine Große Koalition im Bund bevorsteht und in Landtagswahlen ihren Schatten vorauswirft. Letztes Indiz war der Verzicht der SPD-Führung auf ein zunächst ausgesprochenes Junktim gewesen: dass sie dem von der Bundesregierung angestrebten europäischen "Fiskalpakt" nur zustimme, wenn diese ihrerseits sich auf die Herbeiführung der Transaktionssteuer im Euro-Raum verpflichte.

Von der Schleswig-Holsteiner Wahl aus rückwärts gesehen nimmt sich dieser Verzicht etwas anders aus. Es ist nun wahrscheinlicher geworden, dass die Strategie des rot-grünen Machtwechsels im Bund eine vom SPD-Vorsitzenden wirklich ernst gemeinte Option ist und immer gewesen ist. Das war mehr als zweifelhaft geworden, als er den empörenden Schwenk des Berliner Regierenden Bürgermeisters Wowereit gelobt hatte: Der kreidete vor der Berliner Senatswahl den Grünen, um ihren Stimmenanteil herabzudrücken, die prinzipielle Offenheit auch für schwarz-grüne Koalitionen an, um gleich nach der Wahl selber eine einzugehen, obwohl Rot-grün auch möglich gewesen wäre. Sei's drum, und gehen wir einmal versuchsweise davon aus, dass Gabriel trotz dieses irritierenden Lobs für Wowereit den Machtwechsel im Bund will. Wenn oder soweit wir davon ausgehen können, dürfen wir auch annehmen, dass der Eindruck getäuscht hat, "die" SPD strebe im Grunde die Große Koalition im Bund an. Der Eindruck wäre nur dem Übergewicht von Gabriels Konkurrenten in der SPD-Führung geschuldet - Steinmeier, Steinbrück -, ein Übergewicht, das seinerseits vielleicht gar nicht besteht, sondern von den großen Medien der Bundesrepublik nur suggeriert wird.

Richtig wäre vielmehr, dass die Frage, worauf die SPD politisch hinauswill - und nicht nur die für sich genommen immer langweilige Kanzlerkandidatenfrage -, bisher noch gar nicht geklärt war und es auch heute noch nicht ist.

Und nun will es der Zufall, dass am gleichen Tag wie in Schleswig-Holstein auch in Frankreich und Griechenland gewählt wurde. Diese beiden Wahlen stellen schallende Ohrfeigen für Gabriels Konkurrenten dar. Es war Steinmeier gewesen, der Gabriels Wahlkampfunterstützung Hollandes in die Quere kam und fast der Lächerlichkeit preisgab, indem er das Junktim von Fiskalpakt und Transaktionssteuer widerrief, das Gabriel ins Spiel gebracht hatte und das Wasser auf den Mühlen von Hollande gewesen war. Es war Steinbrück gewesen, der Hollandes Absicht als "naiv" abkanzelte, den Fiskalpakt, diese pure Austerity-Politik, die Angela Merkel der EU aufzwingen will, neu zu verhandeln. Nun ist dieser angeblich naive Mann Frankreichs Präsident geworden. Und die Frage stellt sich, ob Gabriel das als Steilvorlage begreift, den Machtkampf in der "Troika" doch noch für sich zu entscheiden.

Dieser Machtkampf ist ja nichts weiter als der Fortgang der Auseinandersetzung um Gerhard Schröders Erbschaft. Steinbrück hat zur Mannschaft des Altkanzlers gehört, Steinmeier war Schröders vielleicht wichtigster Ideengeber. Als Gabriel den SPD-Vorsitz übernahm, sah es zunächst so aus, als wolle er wirklich aus Schröders Schatten heraustreten. Der wurde dann aber wieder länger. Daran wirkten, wen wundert's, die großen Medien gewaltig mit. Sie erzählen uns tagaus tagein, dass namentlich Steinmeier in der Bevölkerung viel mehr Zustimmung erhalte als Gabriel. Ja, und ebenso viel Zustimmung oder noch mehr erhält Angela Merkel - das ist dann wohl, in der Logik der großen Medien, ein Grund, ihr zur nächsten Kanzlerschaft und Steinmeier zur nächsten Vizekanzlerschaft zu verhelfen, also eben die Große Koalition vorzubereiten. Wenn Gabriel sich vom Bleigewicht der "Troika" befreien wollte, würde misstönende Begleitmusik der Medien nicht ausbleiben. Er müsste also den Mut haben, sie zu überhören.

Ist es nicht sogar wahrscheinlich, dass seine Partei ihm mit deutlicher Mehrheit gern folgen, ja dass sie ausgerüttelt sein würde? Auch die sich abzeichnende Wende der FDP-Politik käme Gabriels Mut, wenn er ihn denn hätte, entgegen. Denn wie es bei der Gauck-Wahl gelaufen ist, könnte es wieder laufen: Bevor es der Union gelingt, die FDP abzustoßen, um sich mit der SPD verbünden zu können, gelingt es vielleicht der FDP, die Union abzustoßen.

Nach der Wahl am kommenden Wochenende in NRW wird die Lage noch etwas überschaubarer sein als heute. Nehmen wir an, Rot-grün wird wieder stärkster Block ohne eigene Mehrheit: Bisher las man, ja, dann könne Frau Kraft nicht anders, als zur Großen Koalition überzulaufen. Aber das hat natürlich nie gestimmt. Eine Fortsetzung der rot-grünen Minderheitsregierung wäre ebenso möglich. Sie hätte sogar einen großen politischen Reiz, weil sie diesmal Gelegenheit gäbe, mit der vielleicht neuen FDP und vor allem auch mit den Piraten nähere Bekanntschaft zu machen, als bisher möglich war. Wie ernst ist es der FDP mit ihrer Wende, die sich mit Namen wie Kubicki und Lindner verbindet? Und wie stehen die Piraten zur ganzen Vielfalt der politischen Themen? In NRW ständen sie dumm da, wenn sie sich bei auch nur einem einzigen Thema geschlossen der Stimme enthielten. Denn da hängt von ihren Stimmen im Fall einer neuen rot-grünen Minderheitsregierung immer etwas ab. Wenn wir davon ausgehen, dass Leute über 20, zumal wenn sie Abgeordnete haben werden wollen, sich zu allen denkbaren Fragen eine politische Meinung gebildet haben, dann können wir auch erwarten, dass ihre Rede zu jeglicher Regierungsvorlage ein deutliches Ja, ja, nein, nein sein wird. Will sagen, statt sich geschlossen zu enthalten, werden sie es bei interner Uneinigkeit immer vorziehen, den einen Teil der Fraktion so, den andern anders abstimmen zu lassen. Oder? Es ist anders gar nicht denkbar bei einer Partei mit so hohen demokratischen Ansprüchen.

Als politisches Verfahren hat das Regieren mit wechselnden Mehrheiten in NRW schon bisher vorzüglich funktioniert. Es ist übrigens zuletzt nicht am Haushalt gescheitert, wie manche glauben, sondern an einem Irrtum oder einer Finte der Haushaltsjuristen. Nein, das hat funktioniert, und nichts spricht dagegen, dass es in Zukunft sogar noch besser funktionieren könnte. Kurzum: Wenn Gabriel den rot-grünen Machtwechsel im Bund wirklich will, dann greift er jetzt zum Telefonhörer und überzeugt Hannelore Kraft davon, dass sie am besten schon vor der NRW-Wahl eine Große Koalition in Düsseldorf ausschließt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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