Vom Eigensinn der Konsonanten

MaerzMusik 2014 Mela Meierhans hat ihre "Jenseitstrilogie" abgeschlossen. Teil III stellt ein jüdisches Trauerritual dar und ist ein Requiem für die englische Lyrikerin Anne Blonstein
Vom Eigensinn der Konsonanten

Foto: Diane Eaton

Im diesjährigen Berliner MaerzMusik-Festival, das am Freitag voriger Woche begonnen hat, wird die deutsche Hauptstadt als "globalisierter Ort innovativer Musikausübung" vorgestellt. Denn wie ein Magnet wirkt sie auf junge musikalische "Immigranten", deren Arbeiten während der Festival-Woche zu hören sind. Am ersten Wochenende teilten sich aber bewährte Kräfte die Höhepunkte, Enno Poppe und Mela Meierhans.

Dass die Schweizer Komponistin jetzt auch den dritten Teil ihrer Jenseitstrilogie in Berlin uraufführen ließ, lag nahe, denn schon Teil II war 2010 in die MaerzMusik eingegangen. "Arabische Trauergesänge und Klagerituale" war seinerzeit ihr Thema, und wie es zu ihren Zielen gehört, für die Verständigung der Völker und Religionsgruppen zu werben, sollten diesmal jüdische Trauerrituale vorgestellt werden. Dann starb aber ihre jüdische Freundin Anne Blonstein, die das Libretto hatte schreiben sollen. Sie galt als größte lebende englische Lyrikerin. So wurde Jenseitstrilogie III zum Requiem für sie. Der ursprünglichen Absicht entsprechend deutet es an, wie man bei Einhaltung des Rituals eine ganze Woche hindurch nur trauern würde und die Trauer im vielleicht auch kontroversen Rückblick auf die gestorbene Person bestünde.

Vier Sängerinnen und vier Sänger, begleitet nur von zwei Schlagzeuggruppen, setzten sich vor allem mit Blonsteins hermetischen Gedichten auseinander. Das machte die Komposition spannend, denn wie das Verhältnis von Text und Musik gestaltet wird, ist eine zentrale Frage der letzten Jahrzehnte gewesen. Bei Meierhans teilt sich der Chor meistens in Sänger und Sprecher auf, so dass man sich zunächst der wogenden Gottesrede am Beginn der Oper Moses und Aron von Arnold Schönberg erinnert. Es ist aber doch ganz anders, denn in der Auseinandersetzung mit Blonstein diente das Sprechen dazu, den Klang der Wortsilben hörbar zu machen. Keine einzige kann ja nebensächlich sein, da es sich um Lyrik handelt. Entsprechend stark wurden sie voneinander abgesetzt. Der Gesang dagegen, der auf strengen Tonreihen basiert und dabei aufs hebräische Alphabet bezugnimmt, äußerte sich in langen polyphonen Linien. Man hatte den Eindruck, dass er, wenn er allein stünde, über die Wiedergabe der Vokale nicht hinauskommen würde: Deshalb blieb es Aufgabe der Silbensprecher, die Konsonanten ins Spiel zu bringen, wie sie mit den Vokalen verbunden sind. Hört man in solchem Kontext Schlagzeuger, wird klar, dass sie einzig und allein konsonantisch klingen.

In IQ, der "Testbatterie in zwölf Akten" (2011/12), setzt sich Enno Poppe mit einem Intelligenzbegriff auseinander, der nicht ahnen lässt, in welcher Weise musikalische Intelligenz kreativ sein kann. Im Testraum auf der Bühne werden die Probanden einmal aufgefordert, eine Tonfolge "ohne Aussetzer nachzuspielen". Sie tun das nicht so, wie man beim Ohrenarzt ein geflüstertes Wort nachspricht, sondern indem sie die Tonfolge mit passenden anderen Tonfolgen überlagern, das heißt beantworten. Thema verfehlt, würde man in der Schule sagen. Poppes Musiksprache, vorgetragen von wenigen traditionellen Instrumenten wie Streichern, Trompete und Akkordeon, ist vollkommen avantgardistisch, doch wie durch einen Schleier sind Andeutungen älterer Musik, von Jazz und Schlager zu hören. Das passt zum Auftreten der „Testleiterin“, die zum Beispiel erzählt, sie habe auf die Frage, „ob Testen glücklich macht“, „spontan“ „Aber ja doch“ geantwortet.

Berichte über die Berliner Festivals "MaerzMusik" und "Musikfest" ab 2010 finden Sie hier.

Dieser Artikel erscheint in der Ausgabe 12/2014 vom 20. März

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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