Böse Mienen, böses Spiel

Großbritannien Boris Johnson glaubt, dass er die EU nach dem Brexit in den Schwitzkasten nehmen kann – ein Fall von Selbstüberschätzung
Ausgabe 07/2020

Bis zum Jahresende muss eine Einigung her, wohl oder übel. Dann sollten die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien vertraglich geregelt sein. So will es die britische Regierung und hat eine Verlängerung per Gesetz ausgeschlossen. Die EU sieht das entspannter, eine prolongierte Übergangsfrist wäre leicht zu haben und sinnvoll. Chefunterhändler Michel Barnier sagt das auch unter Verweis auf seine Verhandlungsstrategie. Danach ist ein umfassendes Freihandelsabkommen ohne Zölle und Quoten möglich, wenn die Briten einwilligen, EU-Standards beim Umwelt- und Verbraucherschutz, bei den Arbeitnehmerrechten, bei Subventionen, beim Daten- und Markenschutz zu respektieren. Wenn sie sich verpflichten, auf Dumpingpraktiken zu verzichten und faire, annähernd gleiche Konkurrenzbedingungen zu garantieren, werden britische Firmen weiter Zugang zum EU-Markt haben. Nur Zollkontrollen, die werden unvermeidlich sein.

Großbritannien lebt seit Jahrhunderten vom Handel, gut 50 Prozent seines Außenhandels werden derzeit mit den EU-Nachbarn abgewickelt. Man importiert weit mehr aus der EU, als dorthin exportiert wird, sodass es Ende 2018 ein Handelsdefizit von mehr als 107 Milliarden Euro gab, weniger als in den Jahren zuvor, aber immer noch deutlich mehr als das Doppelte des Defizits von 51 Milliarden Euro, das 2018 im Handel mit sämtlichen Nicht-EU-Ländern zustande kam. Nur in Bezug auf Dienstleistungen, besonders Finanzdienstleistungen, erzielen die Briten einen Überschuss, der beim Handel mit dem Rest der Welt mehr als das Doppelte dessen ausmacht, was gegenüber der EU geltend gemacht werden kann.

Fest steht: Ohne Konsens über die Fischereirechte wird es keinen Handelsvertrag geben. Zwar spielt die Fischerei für die britische Ökonomie kaum noch eine Rolle, aber der von den Brexiteers eifrig genährte Traum, alle Ausländer aus den britischen Fanggründen hinauszuwerfen, ist eine Illusion. Der Fang der britischen Kutter geht zumeist sofort in die EU-Nachbarschaft. Das heißt, ohne Abkommen büßen die Fischer ihren Absatzmarkt ein. Ebenso wichtig ist eine Vereinbarung über Datenschutz, die unausweichlich ist, wenn Großbritannien weiterhin Zugang zu europäischen Datenbanken haben will.

Drohung mit Importzöllen

Noch berauscht sich Boris Johnson an einer Rhetorik des Krawalls und glaubt, dem Kontinent keinerlei Konzessionen machen zu müssen. Sich an EU-Regeln halten, Handel ohne Dumping betreiben? Kommt nicht in Frage. Das war ja gerade Sinn und Zweck des Brexits, sich von allen fremdländischen Regularien abzukoppeln. Stattdessen sollten sich „die Kontinentalen“ britischen Standards unterwerfen, die seien ohnehin besser als die in der EU gebräuchlichen, was in einigen Fällen sogar stimmt. Die Briten könnten das bei fairen Verhandlungen sehr wohl auskosten, um die EU zu verbesserten Umwelt- und Klimaschutznormen zu drängen.

Boris Johnson scheint bei alldem nicht vollends begreifen zu wollen, dass internationale Verträge beide Partner binden. Selbstverständlich enthielte auch ein Freihandelsvertrag mit der EU nach dem Muster des CETA-Abkommens mit Kanada – von dem der britische Premier schwärmt – Regeln, über die „Ausländer“ mitentschieden haben. Aber die Brexiteers pfeifen auf Verluste, es geht um eine symbolische Politik, genährt von der Illusion, immer noch Weltmacht zu sein. Umso mehr soll das in Aussicht stehende Freihandelsabkommen mit den USA dazu dienen, Druck auf die EU auszuüben. Denn was dann aus Nordamerika auf den britischen Markt gelangen wird, dürfte den Europäern kaum gefallen.

Geht es nach Johnsons Agenda, entfallen ab 1. Januar 2021 die hohen Außenzölle der EU für Großbritannien, sodass Importe aus Nicht-EU-Ländern billiger werden, zum Teil erheblich. Zugleich fällt das Vereinigte Königreich aus den über 60 Handelsabkommen der EU mit Drittländern heraus, in die es noch bis Ende 2020 eingebunden ist, darunter Verträge mit Kernstaaten des Welthandels wie Japan, Kanada und Australien.

Unbeeindruckt von Johnsons Kampfansagen verhandelt die EU weiter, um die nächsten Freihandelsabkommen zu schließen, mit Indien etwa, das auf lange Sicht für Kontinentaleuropa weit wichtiger als die Briten sein dürfte. Was die Regierung in Delhi übrigens genauso sieht.

Boris Johnson kann momentan den starken Mann spielen, weil er im Windschatten der Handelskriege segelt, die sein großer Bruder Trump gegen China und die EU vom Zaun gebrochen hat. Er kann der EU damit drohen, im Fall einer Nicht-Einigung die Exporteure, allen voran den deutsche Automobilbau, selektiv mit exorbitanten Importzöllen zu bedenken. Nur hat die EU im Konfliktfall weit mehr Spielraum für Vergeltungsmaßnahmen. Es reicht schon, bei den für London überaus wichtigen Finanzdienstleistungen böse Miene zum bösen Spiel zu machen. Ohnehin müssen der Handel mit Euro-Devisen wie das Euro-Clearing auf den Kontinent verlagert werden, womit London wichtiger internationaler Zahlungsverkehr entgeht. Nach wie vor ist völlig offen, unter welchen Bedingungen britische Anwaltskanzleien, Architekturbüros oder Buchhalter künftig in der EU tätig sein können – da gibt es viel zu verlieren und große Chancen für die EU, Druck auszuüben.

Für die EU-Exportindustrien wäre es angebracht, mit dem knallharten Brexit zu rechnen – sich andere Zulieferer, andere Produktionsstandorte und Absatzmärkte zu suchen. Es kann sein, dass die Regierung Johnson im Laufe des Sommers merkt, dass sie mehr als ein bloßes Rahmenabkommen mit ihrem wichtigsten Handelspartner braucht. Nicht auszuschließen, dass die Briten 2021 um die gleiche Zeit noch in der Übergangsphase stecken und nur der Ärmelkanal breiter wirkt.

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