Er war denkwürdig, dieser zweitlängste EU-Gipfel aller Zeiten. Fast fünf Tage lang wurde mühsam verhandelt, oft vehement gestritten. Scheitern oder Vertagen galt als verhängnisvolle Option, jedenfalls für Kanzlerin Merkel, die seit dem 1. Juli auf dem Stuhl des EU-Ratspräsidenten sitzt und wieder mehr im Tandem mit Frankreichs Präsident Macron unterwegs ist, nicht zuletzt bei ihrer Kehrtwende in der Schuldenfrage. Und dank des Ausscheidens der Briten fehlte den Bremsern und Blockierern das stärkste Bataillon.
In den kommenden Jahren nun kann die EU mit einem Haushaltsvolumen von 1,8 Billionen Euro – doppelt so viel wie bisher – die Muskeln spielen lassen, ein wenig zumindest. Auch der Wiederaufbaufonds für die von der Corona-Krise am schwersten getroffenen Mitgliedsländer ist besiegelt, auch wenn die Gelder nun anders verteilt werden als zunächst gedacht. Statt 500 Milliarden Euro gibt es nur 390 Milliarden als nicht rückzahlbare Zuschüsse, statt 250 werden 360 Milliarden als Kredite vergeben. Das können sich die Niederlande, Schweden, Dänemark, Österreich und Finnland auf die Fahnen schreiben, aber letztlich nicht viel mehr als das. Um diesen Nothilfefonds zu finanzieren, werden erstmals in der EU-Geschichte Verbindlichkeiten eingegangen, für die alle Mitglieder gemeinsam haften. Das heißt, diese Staatenunion kann ihr volles Gewicht in die Waagschale der Finanzmärkte werfen. Die Liga der „fünf Geizigen“ musste dem folgen. Möglich wird ein wichtiger Schritt auf dem langen Weg vom Währungsverbund zu einer funktionsfähigen Wirtschafts- und Finanzunion, obwohl jetzt bekundet wird, es handele sich um eine Ausnahme, nicht die neue Regel.
Rabattjäger im Pulk
Andererseits ist nichts erfolgreicher als der Erfolg, das gilt auch in der Finanzpolitik. Sollten sich die EU-Anleihen rasch durchsetzen, gäbe es erstmals eine Alternative zu den US-Schatzwechseln (Treasury Bonds). Die Herren der Finanzmärkte, die nicht wissen, wohin mit dem Geld, sollten dann wissen, was zu tun ist. Leider hat man sich in Brüssel ohne Not und gegen jede ökonomische Klugheit darauf festgelegt, die Gemeinschaftsanleihen in gut 20 Jahren zurückzuzahlen. Das tut ein intelligenter Schuldner nicht, wenn er ohne Weiteres Kredite mit Laufzeiten von 30, 50 oder 80 Jahren bekommen kann – und das zu Zinsen auf Minimalniveau.
Die „geizigen Fünf“ haben sich und die EU mit allem Möglichen bekleckert, nur nicht mit Ruhm. Es ging ihnen um Rabatte, um Geld, das sie nicht zahlen, und um Kontrolle über die Vergabe von Finanzen, die nicht aus ihren Staatsbudgets kommen, sondern aus Krediten, die von der EU zu erheblich günstigeren Konditionen aufgenommen werden können, als das jedem einzelnen Mitglied möglich wäre – Deutschland ausgenommen. Und es geht um Steuern, die Brüssel künftig auf eigene Rechnung erheben wird: eine Kohlendioxidsteuer, Mittel aus dem Emissionshandel und womöglich eine Digitalsteuer, sofern die Mitglieder eine intelligente Finanzpolitik gestatten.
Auf Kosten anderer den „Sparsamen“ zu spielen, ist leicht. Die Niederlande etwa sind eine der größten Steueroasen in der EU. Spanische, portugiesische, italienische und natürlich multinationale Konzerne haben sich dorthin bewegt, um Abgaben zu sparen. Was der niederländischen Ökonomie und dem niederländischen Fiskus kaum nützt, aber allen in der EU schadet. Beim Verhandlungsmarathon von Brüssel haben sich die sparsamen Heuchler ihren Widerstand abkaufen lassen. Mit 125 Millionen Euro Rabatt war die dänische Regierungschefin Frederiksen zufrieden, mit 345 Millionen Rabatt fuhr der niederländische Premier Rutte nach Hause.

Grafik: der Freitag, Quelle: EU Kommission
Hat ein unwürdiges Feilschen wieder einmal offengelegt, wie reformbedürftig Institutionen und Politikmuster in der EU sind? Das Kernproblem liegt woanders. Die Union ist nur handlungsfähig, wenn die Regierungen von 27 Mitgliedsländern an einem Strang ziehen. Jeder einzelne dieser Kleinstaaten – und in der heutigen Welt sind sie alle Kleinstaaten – will große Politik betreiben, solange der Zwang zum Konsens das zulässt. Inwieweit das auf Kosten der Gemeinschaft geht, erscheint sekundär, EU- ist Innenpolitik, sie entscheidet über Wahlkämpfe und fragile Koalitionsregierungen.
Dass in Krisenzeiten der Missbrauch von Vetomacht floriert, hat viel mit buchhalterischen Denkmustern und einem neoliberalen Zeitgeist zu tun. Alle starren auf Kosten und Beiträge. Was zahlen wir ein, was bekommen wir heraus? Mit Gewinn oder Verlust? Die Nettozahler, leider auch die Deutschen, sehen sich in der Opferrolle und betrachten die Nettoempfänger als fragwürdige Profiteure, die auf Kosten anderer leben. Und das Publikum glaubt diesen Unsinn, weil er ständig medial nachgebetet wird. Tatsächlich gehören Deutsche wie Niederländer und Österreicher zu den größten Profiteuren der EU wie der Währungsunion überhaupt. Was man freilich in der völlig verzerrten Perspektive eines Nullsummen-Haushaltsspiels augenscheinlich nicht wahrnimmt.
Also gilt die Parole: Wer zahlt, schafft an. Daher der erbitterte Widerstand gegen nicht rückzahlbare Zuschüsse. Geld für die Südländer nur unter Auflagen geben, sonst verprassen die alles, so das auch in Deutschland beliebte Narrativ. Und Auflagen beschließen, heißt „Reformen“ verlangen und läuft nach Mark Ruttes Auftritten in Brüssel offenbar auf die Vorstellung hinaus: Kontrolle der Arbeit von Parlament und Regierung in Rom durch Parlament und Regierung in Den Haag. Wie sich hier Unverschämtheit Geltung verschafft, ist atemberaubend, als läge ein Vetorecht in der Luft. Woraus glücklicherweise nichts geworden ist, eine Notbremse jedoch blieb. Das heißt, Rutte, Kurz oder Frederiksen dürfen sich immer noch einmischen, wenn ihnen in Südeuropa irgendetwas nicht passt. Damit ist permanenter Streit garantiert.
Sparkommissare unerwünscht
Einige Auflagen, die jetzt vereinbart wurden, sind sinnvoll, weil für alle Beteiligten mehr als angebracht. So die Verpflichtung, sämtliche mit EU-Geldern finanzierten Wiederaufbaumaßnahmen an einer europäischen Klimapolitik auszurichten. Nur braucht es dazu keine Sparkommissare aus den Niederlanden oder Österreich. Unerledigte Gemeinschaftsaufgaben kennt die EU weiß Gott genug. Wer die angehen will, muss mehr in petto haben als eine sattsam bekannte Buchhalterlogik. Die Gipfelrunde hat es sogar geschafft, den Konflikt mit Polen und Ungarn zu entschärfen, vorerst jedenfalls. Das Rechtsstaatsprinzip ist nicht ausgehebelt, nur muss man den üblichen Verdächtigen in Budapest, Warschau oder Prag detailliert nachweisen, dass sie dagegen verstoßen haben.
Nach dem überstandenen Verhandlungsmarathon beginnt die Arbeit. Wie rasch die EU als Ganzes, wie beschädigt oder nicht ihre Mitgliedsländer die wirtschaftliche Talfahrt überstehen, entscheidet sich in den nächsten Monaten. Spät, vermutlich zu spät hat man sich zur weit ausholenden Anti-Krisen-Reaktion durchgerungen, mit Mühe und im Dissens, ohne die gebotene Größe und Großzügigkeit. Kanzlerin Merkel bleiben noch fast sechs Monate, um nachzuarbeiten. Schließlich muss auch das EU-Parlament erst einmal zustimmen.
Kommentare 14
Die Höhe des nunmehr vereinbarten Hilfspakets ist eine Sache. Eine andere ist, bei wem das Geld ankommt. Laut tagesschau.de landen EU-Hilfsgelder für Ungarn notorisch in den Taschen von Orban und seinen Vertrauten. Doch auch bei den in Deutschland auf den Weg gebrachten Corona-Hilfen fehlt jegliche Transparenz, wo genau das Geld am Ende landet. Ein Beispiel – siehe dazu auch »Hilfe für Freiberufler und Künstler während des Corona-Shutdowns« bei openpetition.org – sind die an praktisch unerfüllbare Bedindungen geknüpften Hürden bei der Vergabe von Überbrückungsgeldern an kleine Selbstständige. Den Bestimmungen von Bund und Ländern zufolge sind Mittel aus den Corona-Soforthilfefonds keine echten Überbrückungshilfen, sondern vielmehr rückzahlbare Darlehen. Vorgesehen sind sie darüber hinaus ausschließlich für laufende Betriebskosten wie zum Beispiel Mieten für Büros. Explizit nicht abdecken sollen sie hingegen Umsatzausfälle durch entgangene Aufträge.
Mißmut und Verdruss speziell aus der Klientel kleiner Selbständiger und Freiberufler(innen) sind bereits seit dem Frühjahr zu vernehmen. Klagen richten sich darüber hinaus immer wieder gegen die hohen bürokratischen Hürden. In der Praxis ist es also keinesfalls so, dass »niemand im Regen stehen gelassen wird«. Flankierend hinzu kommt, dass über die konkrete Verteilung der bewilligten Mittel in den großen Medien entweder gar nicht oder äußerst schmallippig beziehungsweise in stark allgemeiner Form berichtet wird. Der Verdacht ist so sicher nicht verkehrt, dass die bewilligten Gelder großteils in Industriesubventionen fließen oder aber – indirekt oder direkt – in den Behördenapparaten von Bund und Ländern versickern. Von daher gehen die im Artikel getätigten Erörterungen an den eigentlichen Problemen weit vorbei – am Ende ist es gleichgültig, ob die Spitzen in Brüssel ein Hochamt zelebriert haben (das tun sie immer) oder ob es Streit gegeben hat beim Verteilen der Beute.
Die unverständlichen Fehlkonstruktionsverträge "EU" wurden damals von attac und der Linkspartei abgelehnt, während die Mehrzahl der Deutschen sich mit "Freude schöner Götterfunken" einschläfern ließen. Seitdem gilt innerhalb der EU das Recht des finanziell stärkeren und außerhalb wäre man gern militärisch der stärkste (nach dem Bündnisvölkerrechtsbrecher, versteht sich). Mutti nennt es schönfärberisch "Wettbewerbsgemeinschaft", was mit Solidargemeinschaft gar nichts zu tun hat. Wir können uns eben "Wegwerfmenschen" aus unserer eigenen (Un)Wertegemeinschaft leisten, weil wir stark sind und die Osteuropäer eben nicht. "Selber Schuld!" Die NDS brachten dazu die sachliche Analyse.
Viel wichtiger als die für die heimische Bühne inszenierten Verhandlungsrituale könnte der vollzogene Einstieg in einen gemeinsamen EU-Anleihemarkt sein. Hier zeichnen sich strukturelle Veränderungen innerhalb der EU ab, die - werden sie konsequent weiterverfolgt - eine automatische Vertiefung der EU hin zu einem Bundesstaat zur Folge haben können. Jede Form von Optimismus wird gebraucht!
"Der Verdacht ist so sicher nicht verkehrt, dass die bewilligten Gelder großteils in Industriesubventionen fließen oder aber – indirekt oder direkt – in den Behördenapparaten von Bund und Ländern versickern. "
Genauso ist es. Es wundert mich einfach, dass so offensichtliche Dinge nirgends zu lesen sind. Haben Journalisten keine Zeit bzw. Lust, sich ins Kleingedruckte der Soforthilfen einzulesen? Oder ist es ihnen schlicht egal weil die Gruppe, die es betrifft ohnehin nicht groß genug ist? Flankierend zu dem Witz, der da in Brüssel beschlossen wurde kommen zwei weitere Phänomene, die mich verstört haben:
Der fast flächendeckende Beifall der deutschen Medien inklusive der Beigabe, die Kanzlerin habe sich gegen die "sparsamen Fünf" durchgesetzt. Ist das das Niveau, auf dem eine politische Analyse stattfindet? Zweitens gehen in Bulgarien seit Wochen viele Menschen gegen ihre korrupte Regierung auf die Straße, Rumänien wird bald folgen . Korrupte Staatsapparate, ein Phänomen, welches im Lichte der beschlossenen Hilfsgelder neu betrachtet werden müsste, weil diese genau dort versickern werden. Doch meines Wissens nach gab es keinerlei Beschlüsse, welche die Vergabe der Gelder neben winderlweichen rechtsstaatlichen- auch an Bedingungen knüpfte, welche Korruption entgegenwirken.
Vielen Dank das war schon eine hilfreiche Erläuterung. und Einschätzung.
++ Das heißt, Rutte, Kurz oder Frederiksen dürfen sich immer noch einmischen, wenn ihnen in Südeuropa irgendetwas nicht passt. Damit ist permanenter Streit garantiert. ++
Der Streit ist der Vater aller Dinge sage ich mal.
Eine etwa halbstündige Zusammenfassung des "Krisengipfels" aus südeuropäischer Sicht:
https://www.rtve.es/alacarta/audios/emision-en-ingles/english-language-broadcast-europe-23-07-20/5630447/
P.S.: Einstweilen "nuevo"; der Beitragstitel ist "Panorama": Europe.
OK. Und nun?
Nichts gegen Streit per se.
Für mich ist entscheidend, WIE und WORÜBER gestritten wird. Die Konnotation spielt eine Rolle.
Die Beispiele, die Sie anführen, sind in meinen Augen Platzhalter. Die Personen stehen - Kurz ausgenommen - für den europäischen Norden, der andere Interessen verfolgt als der ökonomisch ärmere, aber kulturell und sozial reichere Süden.
Ich weiß nicht, ob der Streit VATER aller Dinge ist. Aber ich kenne auch keinen anderen Weg als das Streiten, um unterschiedliche Interessen zu verhandeln. Und für mich kommt es vor allem darauf an, WIE dies geschieht.
Die Soforthilfen waren Zuschüsse, keine Darlehen. Aber sie dienten nicht für den persönlichen Lebensunterhalt, da war der Gang zum Job-Center zwingend. Es gab und gibt zahllose Hilfsprogramme vor allem für Unternehmen, die überwiegend als Darlehen gestaltet sind. Dass Umsatzausfälle nicht einfach aus der Steuerkasse ausgeglichen werden können, sollte im Grunde einleuchtend sein. Man muss die kritischen Stimmen von Betroffenen sehr genau ansehen, bevor man in deren Lied einstimmt. Und dass Gelder "im Behördenapparat versickern" ist reiner Quatsch. Da am allerwenigsten. Kritisch ist ein anderer Punkt: Die Soforthilfen wurden vor allem benötigt, um laufende Mieten abdecken zu können. Das Geld ist wahrscheinlich zu einem sehr erheblichen Teil bei der Immobiliebranche und damit bei Banken gelandet - das nenne ich allerdings "versickern".
Ich liebe es, poetische Kommentare mit dem Skalpell zu zerlegen. Das entspannt und hält den Geist jung.
Zitat: "Dass die Italiener vermögender sind als der Rest der Europäer, scheint gar nicht mehr zu interessieren."
Doch, das interessiert mich sogar brennend, es gibt allerdings in objektiver Hinsicht Zweifel daran, dass dies so stimmt. Wenn man zum Beispiel das Vermögen des Italieners Silvio Berlusconi (rund 6,5 Milliarden Euro) mit dem Vermögen meiner Nichte vergleicht, die in Deutschland geboren ist bzw. seit ihrer Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit hat und in München als ausgebildete Krankenschwester arbeitet, dann stimmt das einfach nicht. Meine Nichte hat nicht einmal eine einzige Million, geschweige denn eine Milliarde Euro (das sind 1.000 Millionen) auf der hohen Kante. Zum Geburtstag im letzten Jahr habe ich ihr 5.000 Euro geschenkt, da hat sie sich so gefreut, als ob sie eine Million bekommen hätte. Aber wer rechnen kann, der weiß, dass zwischen 5.000 und 1.000.000 Euro ein ganz großer Unterschied ist.
Zitat: "Dass die finanzielle Schieflage Italiens eher hausgemacht ist als die Verantwortung anderer EU-Staaten ..."
Da ist in der Tat was dran. Man sollte den Italienern und anderen Staaten ganz einfach verbieten, Produkte aus Deutschland zu kaufen bzw. zu importieren, wenn sie die deutschen Exporte nicht sofort und bar bezahlen können, sondern dafür Schulden machen. Dann hätten die Italiener und viele andere Länder in der Tat einige Probleme weniger. Das wäre dann aber auch schlecht für die deutsche Exportindustrie.
Zitat: "Ich hab jedenfalls keine Lust, dafür zu bezahlen, dass sich das italienische Parlament eigene, festangestellte Figaros gönnt, die pro Monat 10.000 Euro verdienen."
Neoliberale, Konservative und Sozialdarwinisten sprechen immer gerne vom Sozialneid, wenn es um Einkommen und Vermögen geht. Gönnen Sie den "Figaros" den Verdienst etwa nicht? Deutsche Bundestagsabgeordnete erhalten derzeit 10.083 Euro Diäten zzgl. steuerfreier und nicht zweckgebundener Aufwandsentschädigung in Höhe von 4.418 Euro und das Monat für Monat. Da ist es nur allzu verständlich, dass viele deutsche Abgeordnete in Deutschland noch ein oder zwei Nebenjobs brauchen, um sich einen "Figaro" oder einen Barbier leisten zu können.
Zitat: "Ich habe auch kein Wohneigentum und sehe auch gar nicht ein, für Italiener zu zahlen, damit diese weiterhin in den eigenen vier Wänden leben können."
Neoliberale bzw. konservative Rechte sagen immer, man muss sich nur anstrengen und die Ärmel hochkrempeln, dann klappt es auch mit der "kleinen" Villa mit Doppelgarage, Garten und eigenem Pool am Stadtrand von Dresden, Würzburg oder einer anderen schönen deutschen Stadt.
Zitat: "Warum sollen andere dafür bluten, dass der italienische Staat seine Steuern nicht ordentlich eintreibt? Oder wenn es in Italien in nicht unerheblichen Umfang Korruption gibt? Und warum soll man helfen, wenn man noch nicht einmal bestimmen kann, wobei ...?"
Das ist in Deutschland aber nicht anders. Hier in Deutschland werden Steuerfander im Extremfall sogar für "gaga" erklärt, wenn sie auch die Großbanken und Hyperreichen überprüfen, ob sie ihre Steuern zahlen, und nicht nur die kleinen Handwerksbetriebe und kleinen Bürger.
Auch in Deutschland kann kein Steuerzahler direkt bestimmen, wofür die Steuern und Sozialabgaben ausgegeben werden. Ich würde zum Beispiel Krankenschwestern und Altenpfleger besser bezahlen statt "notleidenden" Banken und Spekulanten, die sich beim Pokern an den Finanzmärkten verzocken, Milliarden in den Arsch zu blasen wie die bei der Bankenkrise der Fall war.
Zitat: "Ich halte den jetzt beschlossenen Deal für unglaublich ungerecht. Es ist alles andere als sozial, sich aushalten zu lassen."
Da stimme ich zu, es ist tatsächlich unglaublich ungerecht, Oligarchen und Hyperreichen, die in den Milliarden schwimmen, noch mehr Geld hinten rein zu schieben und bei den vielen kleinen Leuten und der Mittelschicht zu "sparen". Das gilt aber für Italiener, für Deutsche, Franzosen, Griechen, Amerikaner, Marsianer oder wen auch immer. Ist es etwa "sozial", wenn die deutschen Oligarchen und Hyperreichen fürs Nichtstun Jahr für Jahr Dividenden in Millionenhöhe kassieren und dann auch noch auf Kosten der Allgemeinheit mit Kindergeld alimentiert werden?
Unter dem Strich drängt sich der Verdacht auf, "jesus loves me" ist ein Rassist und Nationalist, der im neoliberalen Monopoly-Kapitalismus zu den Verlierern gehört, die Schuld dafür bei den "Italienern" sucht. (Jetzt hätte ich beinahe Juden statt Italiener geschrieben, wie komme ich jetzt auf die Juden?)
Ein paar Zahlen der Allianz zur Vermögenslage im Ländervergleich von 2018.
Dabei wurden die "die reinen Geldvermögen der privaten Haushalte betrachtet, also Barbestände, Bankeinlagen, Versicherungsguthaben sowie Wertpapiere wie Aktien, Anleihen oder Fonds – das Vermögen in Immobilien wurde nicht einbezogen, da es hierfür keine international vergleichbaren Daten gibt. Davon wurden dann die Schulden abgezogen, um so das Netto-Geldvermögen zu erhalten."
Grafik 1 des durchschnittlichen Nettogeldvermögens
und
Grafik 2 des durchschnittlichen Nettogeldvermögens Median
Mit der Rentensituation in Italien bin ich nicht vertraut, deshalb unter diesem Vorbehalt hier.
Und noch ein kleiner Ausflug zu den Lebenshaltungskosten, siehe hier.
Und wohin fährt/fliegt der Deutsche in Urlaub?
Mit Verlaub, das ist mir etwas zu einfach, da hätte ich dann aber doch ein paar Fragen dazu:
1. Wie schon angesprochen ist das Geldvermögen nur ein Teil des (volkswirtschaftlichen) Vermögens.
VERMÖGENSWERTE, die nicht im Geldvermögen enthalten sind: Land- und forstwirtschaftliche Vermögen, unbebaute und bebaute betrieblich genutzte, verpachtete, vermietete oder selbst genutzte Grundstücke bzw. Immobilien, Hausrat, Kraftfahrzeuge, Oldtimer, Edelmetalle (Silber-, Gold- und Platinmünzen/-barren), Diamanten, Schmuck, Pretiosen, Orientteppiche, Kunstgegenstände, Gemälde, Antiquitäten.
Die Preise, die manche Antiquitäten bzw. Kunstgegenstände bei Sotheby’s, Christie’s usw. erzielen, da kommt die Oma mit ihren 10.000 Euro auf dem Sparkonto aber nicht weit.
Bei veröffentlichungspflichtigen Kapitalgesellschaften kann man z. B. im Geschäftsbericht nachlesen, welche betrieblichen Vermögenswerte in welcher Höhe bilanziert wurden. (Wenn die Hälfte der Kapitalanteile bzw. Aktien einem einzigen Aktionär gehören, dann muss man nur 1+1 zusammenzählen.)
Bei Aldi und den vielen anderen Unternehmen ohne Streubesitz, die keiner Publizitätspflicht unterliegen, wissen nur die Eigentümer (die Familie "Aldi), die Geschäftsführung und ggf. die Mitarbeiter in der Abt. Rechnungswesen, wie vermögend die Eigentümer tatsächlich sind. (Im Erbfall weiss es ggf. auch noch der Finanzbeamte, der die Erbschaftssteuer festlegt.) Nach den SCHÄTZUNGEN der sogenannten Forbes-Liste belief sich der Firmenwert von Aldi Süd im Jahr 2019 auf rund 29 Milliarden, das sind 29.000 Millionen Euro, auf 500 Millionen mehr oder weniger kommt es da nicht an.
Diese riesigen Vermögen werden beim Vergleich, der sich allein auf das Geldvermögen bezieht, ganz einfach UNTER DEN TEPPICH GEKEHRT.
2. BARGELD: Auch wenn das Bargeld inzwischen eine geringere Bedeutung hat als das Buchgeld auf den Konten, es gibt Bürger, die haben 100.000 Euro oder mehr Bargeld in verschiedenen Währungen in ihrem Schließfach bei der Bank. Ich bin mir sicher, dass weder die Zentralbanken noch die Allianz AG weiß, wer in welchem Land tatsächlich über wieviel Bargeld verfügt. Allein das Bargeld, das Aldi an einzigen Tag kassiert, dürfte sich auf mehrere Millionen Euro belaufen.
3. STEUEROASEN: Was ist mit dem Geldvermögen in den Steueroasen? Wurde auch dieses Geldvermögen erfasst und auf die jeweiligen Länder verteilt? Da gibt es berechtigte Zweifel daran, sonst wären es die Steueroasen keine Steueroasen. Leute, die für 10 Euro brutto in der Stunde arbeiten, haben dort wahrscheinlich eher selten ein Bankkonto.
4. DURCHSCHNITT/MEDIAN: Was sagen (einfache) Lageparameter wie der Durchschnitt oder der Median über die VERTEILUNG DES GELDVERMÖGENS in den einzelnen Ländern? Rein gar nichts. (Beim Median werden im Vergleich zum Durchschnitt lediglich die Ausreißer an den Rändern weniger stark gewichtet.)
Wenn in einem Land 100 Bürger pro Kopf über ein Geldvermögen von jeweils 20.000.000.000 (=20 Milliarden) Euro verfügen, 19.999.900 Bürger pro Kopf 200.000 Euro, 20 Millionen Bürger über jeweils 10.000 Euro und 40 Millionen Bürger pro Kopf ein Geldvermögen von 1.000 Euro haben, dann macht das IM DURCHSCHNITT, wenn ich mich nicht verrechnet habe, rein rechnerisch ein Geldvermögen von 78.000 Euro pro Kopf. Welche AUSSAGEKRAFT hat dieser Durchschnitt?
PS: Bei einem Versicherungskonzern, der solche Tabellenwerte bzw. Zahlen veröffentlicht, würde ich keinen Vertrag abschließen.
"Bei einem Versicherungskonzern, der solche Tabellenwerte bzw. Zahlen veröffentlicht, würde ich keinen Vertrag abschließen."
Aus anderen Gründen habe ich das auch nicht. Ansonsten war im Intro angegeben, auf welche Bestandteile sich die zwei Tabellen beziehen. Natürlich gibt es wichtige weitere Indikatoren (auch vermögensbezogene), die die durchschnittliche Lebensqualität in einem Land beschreiben.
Aber egal wie man die Gewichtungen vornimmt, sie werden sich immer kritisieren lassen. Denn in jeder Betrachtung sind Vorannahmen/Absichten eingeflossen, die einen gewissen eigenen Standpunkt beinhalten. Insoweit Danke für ihre Ergänzungen.
Im Grunde genommen ließe sich aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung entnehmen, wie groß die tatsächliche durchschnittliche Leistungserstellung des Jahres pro Kopf ist und wo es verbleibt. Denn daraus ergeben sich ja die Einkommensströme. Das würde aber unerwünschte Themen über Eigentums- und Produktionsverhältnisse berühren. Denn letztlich ist der ganze Exportüberschuss "nur" der Ausdruck dafür, das deutsche Arbeitnehmer "unter ihren Verhältnissen" leben (mehr produzieren, auch Dienstleistungen, die sie selbst nicht nutzen/können).