Ging nie, dann aber doch: EU-Corona-Aufbaufonds über 750 Milliarden Euro
Illustration: der Freitag
Adieu, ihr alten Gewissheiten! Den bestgeglaubten Unwahrheiten der deutschen Politik geht es nun an den Kragen. Da weist das Bundesverfassungsgericht den Eilantrag von AfD-Gründer Bernd Lucke gegen den Corona-Wiederaufbaufonds der EU ab. Lucke und Konsorten hatten gegen den Marsch in die „Schuldenunion“ geklagt. Der EU zu erlauben, Kredite aufzunehmen, ginge zu weit.
Auch Angela Merkel hatte vor nicht allzu langer Zeit noch geschworen: Euro-Bonds, Gemeinschaftsanleihen der gesamten EU, nur über meine Leiche! Nun ist es doch passiert. Die EU wird zur Finanzierung des 750-Milliarden-Euro-Wiederaufbaufonds etliche hundert Milliarden Euro an eigenen Schulden aufnehmen. Es werden Schulden sein, für die alle Mitgliedsstaaten gemeinschaftlich haften. Ganz gleich, wie man
h, wie man sie dann nennt, ohne Anleihepapiere der EU – sprich Euro-Bonds – kann man solche Schulden nicht finanzieren und – noch wichtiger – nicht refinanzieren. An den internationalen Anleihemärkten wird man sich um diese Papiere reißen. Die US-Treasuries bekommen endlich Konkurrenz. Und die EU wird ein Stück souveräner.Das Bundesverfassungsgericht hat der Kanzlerin, ihrem Finanzminister und der ganzen Bundesrepublik die Blamage erspart, als reichstes Mitgliedsland der EU diese Solidar-Aktion zu blockieren. Dafür gab’s Auflagen, um die Angst der deutschen Besitzbürger vor der „Schuldenunion“ zu beruhigen: Gemeinschaftsschulden ja, aber nur im Notfall, als absolute Ausnahme! Nach Corona niemals wieder.Verfassungsrichter sind keine Ökonomen. Im besten Fall sind sie halbwegs aufgeklärte Zeitgenossen, die zumindest ahnen, was da alles auf uns zukommt. Dass diese Pandemie, beispielsweise, nicht die letzte gewesen sein wird. Oder dass die Bekämpfung des Klimawandels immer teurer wird, je länger man sie in die Zukunft verschiebt. Deshalb ist klar: Die EU wird auch in Zukunft Schulden machen müssen, einfach weil sie für die Finanzmärkte ein weit besserer Schuldner ist als jeder der Mitgliedsstaaten allein.Dank der neuen US-Regierung hat die EU ein wenig klimapolitischen Ehrgeiz dazugewonnen. Reichen wird der allerdings nicht. Die offiziellen Klimaziele sind jetzt schon zu niedrig. An ihrer raschen Umsetzung darf man zweifeln, obwohl selbst CDU-Politikern inzwischen klar wird, dass sich das Zeitfenster für erfolgreiche Gegenmaßnahmen immer schneller schließt. Etliche Kipppunkte sind schon in Sicht, werden die erreicht, gibt es kein Halten mehr.Uns läuft die Zeit davon. Lange Übergangsfristen für den Kohleausstieg zum Beispiel sind reiner Luxus, auch wenn Landes- und Kommunalpolitiker das aus Angst vor den Wählern anders sehen. Konzerne, die sich querlegen, kann man enteignen und entschädigen, so wie man das bei jedem kleinen Hausbesitzer macht, der dem Bau einer Autobahn im Weg steht. Arbeitslosen Bergleuten kann und muss man helfen, auch wenn das kostet. Fazit: Die Kosten der diversen Wenden und Umbauten, die in den nächsten zehn bis 15 Jahren anstehen, werden die Kosten der Pandemie bei weitem übersteigen. Klimaschutz geht nicht national, das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Wenn die EU nicht als Ganze agiert, ohne Rücksicht auf Ländergrenzen, kommen wir mit dem Umstieg auf eine kohlenstoffneutrale Wirtschaft nicht rasch genug voran. Global lässt sich der sowieso nur erreichen, wenn die EU, die USA und China vorangehen.Die Gralshüter schwenken umEs trifft sich, dass auch der IWF, die Weltbank und die OECD sich bewegen. Und wie. Die einstigen Gralshüter der Austeritätsideologie sind umgeschwenkt, fortan gelten die alten Unwahrheiten auch hier nicht mehr. In Krisen muss nicht gespart, sondern geklotzt werden – und zwar mit öffentlichen Investitionen, die den privaten die Richtung vorgeben beziehungsweise Pfade eröffnen. Dazu muss der Staat Gelder mobilisieren, also Steuern erheben und Steuern erhöhen – und die Steuerlasten gerechter verteilen.Ungerechte Steuern, das Resultat von Jahrzehnten falscher Steuersenkungen, blockieren den Ausweg aus der Krise. Dagegen würde eine Steuer auf hohe und höchste Vermögen helfen, wie es sie in vielen kapitalistischen Ländern der Erde gibt. Wenn diese Steuer Geld in die Staatskassen bringen, also dort zulangen soll, wo das Geld ist, wird sie mehr sein müssen als reine Symbolpolitik. Ob als reguläre Steuer, als einmalige, zweckgebundene Vermögensabgabe oder beides, in jedem Fall dürfen technische Schwierigkeiten nicht länger wie in Deutschland als Vorwand dafür dienen, auf die Vermögensbesteuerung zu verzichten.Kaum im Amt, hat die Finanzministerin der USA, Janet Yellen, noch einen draufgesetzt. Sie hat sich, als Erste in dieser Position, die Forderung nach einer globalen Mindeststeuer auf Konzerngewinne zu eigen gemacht. Nur so lässt sich die Steuerkonkurrenz der Nationalstaaten einschränken, die nur den Multis nutzt. Was Yellen und etliche ihrer Finanzminister-Kollegen vorhaben, ist nichts anders als eine Kampfansagen an die Steueroasen dieser Erde.Der Ausgang hängt davon ab, wie viele der Nationalstaaten, von deren wohlwollender Komplizenschaft die Steueroasen leben, mitziehen. Und davon, wie sich die Steueroasen innerhalb beziehungsweise im Umkreis der EU verhalten werden. Luxemburg, Irland, die Niederlande, die Schweiz, nicht zu vergessen das Vereinigte Königreich, seit jeher die Schutzherrin einer bunten Schar von Steueroasen, die es ohne britisches Zutun nicht gäbe, sie alle müssen runter vom hohen Ross ihrer vermeintlichen Souveränität auf Kosten ihrer Nachbarn. Es ist Zeit für eine international koordinierte, in multilateralen Abkommen geregelte Steuerpolitik.