Johnsons eiserne Lady

Porträt Priti Patel ist als britische Innenministerin eine Hardlinerin im Stil ihres Idols Margaret Thatcher
Ausgabe 30/2021
Je chaotischer die Folgen des Brexits, desto weniger kann Boris Johnson auf eine Ministerin wie Priti Patel verzichten
Je chaotischer die Folgen des Brexits, desto weniger kann Boris Johnson auf eine Ministerin wie Priti Patel verzichten

Foto: Jeff J. Mitchell/Getty Images

Seit Juli 2019 ist sie Innenministerin und hat eine eindrucksvolle Karriere im Almanach der britischen Politik platziert. Priti Patel, 49, Tochter einer indischen Hindufamilie aus Gujarat, die in den 1960er Jahren aus Uganda einwanderte – gerade noch rechtzeitig, bevor der damalige Präsident Idi Amin die Massenausweisung der indischstämmigen Bevölkerung betrieb –, wurde 1972 in London geboren. Margaret Thatcher war und ist ihre Heroine. Wie die einstige Premierministerin verstand es auch Patel, sich in kurzer Zeit von einer hinteren Bank im Unterhaus in die Regierung vorzuarbeiten. Sie gab die Außenseiterin, der die schroffe Rhetorik der eisernen Lady gefiel und die bald zu den Brexit-Hardlinern gehören wollte.

2010 erstmals im Parlament, stand sie am äußeren rechten Rand der Konservativen. Kaum jemand wagte es damals, so offen für härtere Gesetze gegen Kriminelle einzutreten und einer Politik der gnadenlosen Abschreckung das Wort zu reden. Das reichte bis zu Plädoyers für eine Rückkehr zur Todesstrafe. Davon hat Patel später – eher aus taktischen Gründen denn aus Überzeugung – Abstand genommen. Inzwischen kann sie auf liberal gefärbte Lippenbekenntnisse verzichten. Die Tories sind so weit nach rechts gerückt, dass die „eiserne Priti“ entspannt im Mainstream unterwegs sein kann.

Premier David Cameron machte sie 2015 zu seiner Arbeitsministerin. Mit Verve begann sie, den aus ihrer Sicht „sozialistischen Klimbim“ vorheriger Labour-Kabinette abzuräumen. Im Handumdrehen wurde Patel landesweit bekannt, war verhasst, avancierte zur Lieblingsfeindin der Gewerkschaften und Ikone der Brexiteers. Sie rebellierte gegen ihren Regierungschef und verkündete lauthals die Zwecklüge von den mehr als 300 Millionen Pfund, die nach dem Ausstieg aus der Europäischen Union pro Woche ins Budget des Nationalen Gesundheitsdienstes (NHS) fließen würden. Cameron feuerte sie nicht, der Heiligenschein einer Brexit-Märtyrerin sollte Patel verwehrt bleiben.

Die studierte Ökonomin – wie Thatcher hatte sie Jahre auf der freien Wildbahn der Privatwirtschaft hinter sich, bevor der Einstieg in die Politik fällig war – fand sich 2016 als Entwicklungshilfeministerin unter Theresa May wieder, bekannte sich zu einer restriktiven Einwanderungspolitik und erklärte: Ökonomische Hilfe sei dazu gedacht, Migration zu stoppen. May feuerte Patel 2017 nicht wegen ihres höchst autoritären Führungsstils, sondern weil sie zu hoch hinauswollte. Während eines privaten Urlaubs in Israel hatte sie mit israelischen Regierungsmitgliedern ohne jede Absprache Geheimdiplomatie auf eigene Faust betrieben.

Das Comeback im Sommer 2019 verdankte sie Boris Johnson, der sie als Innenministerin in sein Kabinett holte. Für Patel die Gelegenheit, jene knallharte Abschreckung gegenüber Migranten, wie sie ihre Vorvorgängerin May in diesem Ressort betrieben hatte, bruchlos fortzusetzen. Anders als May harmonierte Patel mit den Spitzen der Polizei, sogar der Polizeigewerkschaften, was ihr von der konservativen Parteiführung hoch angerechnet wurde. Sie hielt es für legitim, illegale Einwanderer und internationale Schlepperbanden als „Staatsfeinde“ des Vereinigten Königreichs zu geißeln. Wodurch hätte sich eine Innenministerin in den Augen konservativer Politiker mehr profilieren können?

Wie viele Einwandererkinder der zweiten Generation begegnet Patel heute nach Großbritannien strebenden Zuwanderern mit reflexhafter Aversion – egal, woher sie stammen. Britin durch und durch, teilt sie nicht nur die unverblümte Fremdenfeindschaft so mancher Parteikollegen, sondern lebt sie vor. Da seit nach dem Brexit die Zahl der Menschen aus Nordafrika und dem Nahen Osten wächst, die per Boot über den Ärmelkanal kommen, arbeitet die britische Innenministerin mit Gérald Darmanin, dem Ressortkollegen in Paris, eng zusammen. Jüngster Beschluss auf Betreiben Patels: Die Franzosen erhalten knapp 63 Millionen Euro aus der britischen Staatskasse, um der Insel unerwünschte Gäste vom Leibe zu halten.

Der gleichen Intention folgt Patels Gesetzesnovelle zur Reform des Einwanderungsrechts. Danach können Asylbewerber während eines laufenden Verfahrens des Landes verwiesen werden. Länder, die sich weigern, von den Briten abgeschobene Staatsbürger aufzunehmen, sollen mit strengeren Visaregeln bestraft werden. Die Devise lautet, Asylverfahren ins Ausland verlagern

Patel steht zudem hinter einem Polizeigesetz, das die Strafen für Demonstranten erheblich verschärft, die für „öffentliches Missfallen“ sorgen. Boris Johnson behagt das, solange britische Gerichte der Ministerin nicht zu oft auf die Finger klopfen und Patel keine allzu großen Skandale produziert. Was stets in der Luft liegt, denn Patels Umgang mit juristischen Details ist erkennbar hemdsärmelig und der mit ihren Mitarbeitern höchst autoritär. Den Rücktritt eines hohen Beamten im Innenministerium, der Patel Beleidigungen, einen rüden Befehlston und unkontrollierte Wutanfälle vorwarf, hat Johnson soeben mit lahmen Sprüchen heruntergespielt.

Priti Patel, Margaret Thatchers bestgeratene Tochter, ist unter den Brexiteers viel zu populär, als dass ihr etwas passieren könnte. Da mögen Labour-Politiker toben, so viel sie wollen. Selbst wenn Patel offen Front macht gegen Black Lives Matter und andere Bewegungen – sie sitzt zu fest im Sattel, um darüber zu stürzen. Nur in Sachen Polizei wird es kritisch, allerdings ging es beim jüngsten Streit mit den Polizeigewerkschaften nur ums Geld, nicht um Politik. Je chaotischer die Brexit-Folgen, desto weniger kann Boris Johnson auf seine eiserne Lady verzichten.

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