Ups, jetzt ist es passiert! Wie peinlich! Jahrelang hat eine Regierung nach der anderen es geschafft, die moralisch allzeit hochstehenden Niederlande vor der Schmach zu bewahren, offiziell unter die Steueroasen dieser Welt einsortiert zu werden. Diesmal nicht. Erst stimmte das EU-Parlament im März dieses Jahres mit satter Mehrheit für eine Resolution, die Klartext spricht: Ein Großteil der Steuerparadiese, ohne die die weltweit praktizierte Steuervermeidung und -hinterziehung großer Vermögensverwalter und Konzerne nicht möglich wäre, befindet sich in Europa. In Ländern wie den Niederlanden, in Luxemburg, Irland und Zypern. Der Antrag wurde vom niederländischen EU-Parlamentarier Paul Tang eingebracht, der seit Jahren versucht, die Schönrednerei über den „innereuropäischen Steuerwettbewerb“ zu beenden. Dann beschloss auch die EU-Kommission, die Niederlande in die offizielle schwarze Liste der Steueroasen aufzunehmen.
Die Niederlande sind das größte Steuerparadies in Europa für multinationale Unternehmen, Belgien folgt auf dem zweiten Platz. Den Spitzenplatz haben die Niederländer nicht nur wegen der formell unabhängigen, faktisch aber vollständig vom niederländischen Staat abhängigen Karibikinseln Aruba und Curaçao. Auch in den Niederlanden selbst zahlen multinationale Konzerne kaum Steuern, im Durchschnitt etwa fünf Prozent. Sobald ein Unternehmen seinen offiziellen Sitz in die Niederlande verlegt – dafür reicht eine Postadresse –, kann es seine Gewinne dorthin schleusen. Dort, wo die Gewinne des Unternehmens tatsächlich erwirtschaftet werden – und wo die Konzerne auch Infrastrukturen und öffentliche Dienste nutzen –, hat der Fiskus das Nachsehen.
Wer über ein derart weitgespanntes Netz von bilateralen Steuer- und Investitionsschutzabkommen verfügt wie die Niederlande, die Schweiz, Irland oder Luxemburg, wird für global operierende Unternehmen besonders attraktiv. Das führt zu dem für diese Länder typischen „finanziellen Wasserkopf“. Denn ein extrem hoher Anteil der internationalen Kapitalströme fließt in und durch diese Länder. Ein Großteil der Gewinne und Kapitalien, ein Großteil der schwarz verdienten Geldsummen, die an den nationalen Steuerbehörden in Europa vorbeigeschleust werden, wandert über die Niederlande, über die Konten der Briefkastenfirmen bzw. der Anwälte, Notare und Steuerberater, die sie vertreten, weiter in andere Steuerparadiese.
In Europa sind die Niederlande die Nummer eins unter den Steueroasen, im weltweiten Vergleich belegen sie immerhin noch den vierten Platz, hinter britischen Überseegebieten wie den Jungferninseln, Bermuda und den Caymans. Ganz gleich, wer in den vergangenen Jahren an der Regierung war, ob Konservative, Liberale oder Sozialdemokraten, alle strickten an den Gesetzen und Regelungen mit, um die Niederlande zur größten Steueroase Europas zu machen. Stets gestützt von dem Argument ausländischer Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen.
Hotspot Amsterdam
Gerade Amsterdam, die finanzielle und kulturelle Hauptstadt der Niederlande, hat davon profitiert. Bis vor wenigen Jahren lagen die Anwaltsbüros, bei denen Dutzende Briefkastenfirmen multinationaler Unternehmen ihre Adresse hatten, noch ganz diskret, von außen unerkennbar im Amsterdamer Grachtengürtel. Heute sitzen die meisten davon an der sogenannten Südachse, wo sich ein hochmoderner Büroturm an den anderen reiht. Hier boomt die Stadt, hier werden enorme Vermögen hin und her geschoben und exorbitante Gehälter und Boni gezahlt. Das hat einige tausend Arbeitsplätze gebracht, für Putzfrauen, Glasreiniger, Pizzaboten. Aber die eigentlichen Nutznießer sind andere: rund 15.000 hoch- und höchstbezahlte Steuerexperten, Juristinnen, Notare und deren Angestellte. Wie in London treiben diese Hochverdiener die Mieten in Amsterdam in astronomische Höhen. Immerhin zahlen sie einiges an Steuern. Wie viel, das sei dahingestellt, denn die Herren und Damen sind ja Spezialisten für Steuervermeidung.
Das alles ist seit Langem bekannt. Dank NGOs wie Oxfam oder dem Tax Justice Network. Dank einzelner Abgeordneter, die die Heuchelei der Politik bloßstellen. Die niederländische Regierung wehrt sich seit Jahr und Tag heftig gegen jeden Versuch, als Steueroase gebrandmarkt zu werden. Denn wenige Niederländer sind erbaut, dass ihr Land eine Schlüsselstellung im internationalen Steuervermeidungsgeschäft einnimmt, während sie selbst ständig dazu ermahnt werden, den Gürtel enger zu schnallen. Bei Normalverdienern ist der Fiskus nicht zimperlich und mit Steuerstrafen schnell bei der Hand.
Doch es waren nicht die Ministerialbeamten und Parlamentarier allein, die sich die Steuergesetze ausgedacht haben. Die Lobbyisten der Finanzindustrie waren direkt beteiligt, die Beeinflussung der niederländischen Steuerpolitik durch international tätige Steuerberatungsfirmen wie PWC und KPMG ist unbestreitbar. Vertreter dieser Firmen wirkten als Berater an der Formulierung der entsprechenden Gesetze mit; einige der politischen Parteien wie die VVD und D’66 unterhalten Arbeitskreise zur Steuerpolitik, deren Vorsitzende Partner in der Steuerberatungsfirma KMPG Meijburg & Co sind.
An 17 niederländischen Universitäten sind die Professoren, die Steuerrecht oder Finanzwissenschaft unterrichten, zugleich als Partner bei einer der großen Steuerberatungsfirmen tätig. Nicht weniger als 23 Partner der Angestellten eben dieser Firmen unterrichten zugleich als Dozenten an niederländischen Unis. Die künftigen Steuer- und Finanzexperten des Landes werden von Anfang an mit der perversen Logik des Steuerwettbewerbs vertraut gemacht.
Wäre es politisch gewollt, wäre es auch technisch ein Leichtes, internationale Steuervermeidung durch multinationale Konzerne zu unterbinden. In Europa ist es die deutsche Bundesregierung, die die Diskussion um die dazu notwendigen Schritte blockiert. In den Niederlanden hat diese Debatte nun begonnen. Sie wird nach den jüngsten Beschlüssen der EU nicht mehr zu stoppen sein.
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