Markt-Sozialismus – für Viele ist das eine unmögliche Paarung, ein Widerspruch in sich: Markt und Sozialismus schließen sich doch gegenseitig aus! Denken Freunde wie Feinde des Sozialismus gleichermaßen. Für viele Liberale bedeutet Sozialismus auch das Ende von Markt, Wettbewerb und Privateigentum. Umgekehrt sind viele Linke überzeugt, dass jeder Anklang von Markt und Konkurrenz den schönsten Sozialismus gleich wieder verderben würde.
Die Scheinalternative von „entweder Markt oder Sozialismus“ hat sich in viele Köpfe fest eingepflanzt: Die Ideologen links wie rechts wollen keine Zwischenwesen, keine hybriden Formen aus beiden zulassen. Dabei sahen im 19. Jahrhundert viele Sozialisten die Wurzel aller kapitalistischen Übel nicht im Markt an sich, sondern vielmehr im ungleichen und ungerechten Austausch, der durch verzerrte und verfälschte Konkurrenzbedingungen zustande kommt. Also drehten sich auch ihre Vorstellungen von Sozialismus nicht um die Abschaffung des Markts, sondern um seine Reform, die einen gerechten Tausch und gerechte Preise beziehungsweise Löhne ermöglichen sollten. Ohne Tausch, ohne Konkurrenz, ohne Privateigentum konnten so unterschiedliche Geister wie Pierre-Joseph Proudhon oder John Stuart Mill sich einen Sozialismus nicht vorstellen.
Man sollte dazu sagen, dass im frühen Sozialismus noch ein frisch-fröhlicher Bewältigungsoptimismus herrschte: Kommt Zeit, kommt Rat, am Tage nach der Revolution werden wir schon weitersehen. Nur gelegentlich gab es Versuche, etwas genauer zu durchdenken, welche Formen ökonomischer Organisation und Reorganisation nach der Revolution notwendig sein dürften. Eine weiter gefächerte Diskussion des Themas entwickelte sich zu Ende des Ersten Weltkriegs, als in der ersten großen Sozialisierungs-, sprich Vergesellschaftungsdebatte ein Streit um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines Sozialismus ohne Markt, Geld und Preise erneut entbrannte.
Damals sprach von „Marktsozialismus“ noch niemand: Vielmehr ging es darum, wie schnell und umfassend die Wirtschaft „sozialisiert“ werden sollte – und was an die Stelle von Privatunternehmen und Marktkonkurrenz treten müsste, wenn man eine Gesellschaft mit Gemeineigentum an den Produktionsmitteln schaffen wollte. Die zwei Extrempositionen wurden dabei von dem Austromarxisten Otto Neurath und Ludwig von Mises markiert, letzterer der wichtigste Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie.
Neurath war der Auffassung, dass die Praxis der Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg zur Genüge bewiesen habe, dass eine umfassende Wirtschaftsplanung in Naturalgrößen ohne Preise und ohne Marktkonkurrenz möglich sei. Darauf reagierte von Mises 1920 in seinem Aufsatz Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen. Er bestritt nicht die Möglichkeit einer zentral geplanten Wirtschaft, wohl aber, dass eine solche Wirtschaft rational und effizient betrieben werden könne. Auch Planbehörden könnten rationale ökonomische Entscheidungen in Bezug auf die Verwendungen ökonomischer Ressourcen nur aufgrund von Informationen treffen, die allein durch Preisbildung und den Vergleich zwischen Preisgrößen zur Verfügung stünden. Ohne Märkte gebe es aber keine Preise, ohne private Kapitalisten keine entwickelten Märkte. Also sei eine rationale sozialistische Wirtschaftsordnung ohne Märkte ein Ding der Unmöglichkeit.
Zahlreiche Sozialisten wandten sich darauf sowohl gegen Neurath als auch von Mises. Karl Kautsky etwa bestand auf der Freiheit der Produzenten wie der Konsumenten, die auch im Sozialismus gewährt sein müsse, während die Austromarxisten für einen Pluralismus der Eigentums- und Unternehmensformen plädierten und eine begrenzte, regulierte Marktkonkurrenz.
Hegen, enthegen
Friedrich von Hayek, der theoretische Gottvater des heutigen Marktfundamentalismus, trieb von Mises’ Argument weiter und feilte an dem Nachweis, dass eine sozialistische Planökonomie unmöglich sei. Den Gegenbeweis traten zwei junge sozialistische Ökonomen an, Oskar Lange und Abba Lerner: In den 1930er-Jahren entwarfen sie das Modell eines „Konkurrenzsozialismus“, einer Planökonomie, in der rational über die Verwendung und Zuweisung von Ressourcen entschieden wird. Dazu braucht es nur einige Märkte, etwa für Konsumgüter, nicht aber eine vollständige Marktwirtschaft.
Seither sind zahlreiche marktsozialistische Modelle entwickelt worden, zum Beispiel immer dann, wenn von Wirtschaftsdemokratie die Rede ist. Auch in den meisten reformsozialistischen Konzepten, die während des Realsozialismus in Polen, Ungarn, der ČSSR und der Sowjetunion entwickelt wurden, spielten die Liberalisierung von Märkten und die Wiedereinführung von Arbeits- und Kapitalmärkten eine wichtige Rolle. Ab 1989/90 wird die Sozialismus-Diskussion dann wieder eine akademische.
Heute hat eine Debatte über die Verbindung von Sozialismus und Marktwirtschaft nur Sinn, wenn die Beteiligten sich sowohl der Kritik an der desaströsen Planökonomie im „real existierenden Sozialismus“ stellen als auch der Kritik an der vermeintlichen Effizienz und Rationalität von Märkten und Marktkonkurrenz. Dabei gibt es keinen guten Grund, Marktsozialismus und Wirtschaftsdemokratie rein defensiv zu präsentieren, als vorübergehend notwendige Kompromisse, die man für eine Übergangsperiode eben eingehen müsse. Kotaus vor den selbsternannten Propheten des einzig „wahren“ Sozialismus sind so unangebracht wie eh und je.
Die falsche und dogmatische Dichotomie von Markt und Plan – oder sogar Markt und Sozialismus – verdient keine Nachsicht. Austausch, Waren und Geld, Märkte gibt es seit Jahrtausenden in unterschiedlichsten Gestalten, sie spielen in den unterschiedlichsten Wirtschaftsformen eine Rolle. Nur neoklassische Ökonomen und neoliberale Ideologen glauben, Markt sei gleich Marktwirtschaft sei gleich Kapitalismus. Dabei gibt es den „reinen“ Markt an sich ebenso wenig wie die eine universelle Marktlogik; die Modelle des „reinen Markts“ oder der „vollkommenen Konkurrenz“ haben mit der realen Welt der Märkte im real existierenden Kapitalismus sehr wenig zu tun. In kapitalistischen Ökonomien wird seit jeher geplant, zugleich werden Märkte seit jeher eingehegt und reguliert (und dann wieder enthegt und dereguliert). Mehr als einmal sind kapitalistische Ökonomien, darunter so große wie die US-amerikanische, in kurzer Zeit umgebaut worden, mittels Staatseingriffen, die auch erhebliche Eingriffe in das heilige Privateigentum einschlossen. Bis hin zu Enteignung und Preiskontrollen.
Geld, Preise, Konkurrenz und Märkte abzuschaffen, um dem Kapitalismus den Garaus zu machen: Das ist vermeintlich radikal, aber bestenfalls naiv. Marktsozialistische Konzepte sind anspruchsvoller. Denn es gilt nicht nur zu begründen, welche Märkte und Marktfreiheiten beibehalten werden sollen. Sondern auch zu erklären, welche Märkte und Marktfreiheiten einzuschränken oder aufzuheben wären und zu welchem Zweck. Beides setzt eine entwickelte Kritik der kapitalistischen Ökonomie voraus. Die ist alles andere als naiv.
Kommentare 58
Als der Kapitalismus infolge des New Yorker Börsencrashs einen furchtbar schlechten Ruf bekam, da tauften die Anhänger dieser ausbeutenden und ungerechten Wirtschaftsweise das ganze Ding um in "Marktwirtschaft", das dann auch noch mit euphemistischen Adjektiven verziert wurde.
Kein Marx, kein Engels usw. hat jemals behauptet, daß im Sozialismus die Märkte (Warentausch) abgeschafft würden.
Die Vorstellung, dass Sozialismus und Markt sich ausschließen, ist nicht nur Bockmist, sondern historisch falsifiziert. Genauer: Die realsozialistischen Staatswirtschaften haben gezeigt, dass die Lösung »Staat als (alleiniger) Marktorganisator« nicht funktioniert.
Ebenso wahr ist, dass die Vorstellung von Verstaatlichung als gesellschaftlichem Allheilmittel nach wie vor in den Köpfen vieler Linker herumspukt. Richtet man hingegen den Blick auf das, was nötig ist, stünden vielmehr Regeln an. Fairplay-Regeln für alle Teilnehmer, ein soziales Netz, das garantiert, dass niemand untergeht, eine Entmachtung der großen Player und schließlich Förderungen für einen maximal diversifizierten Mittelstand.
Privatvermögen (bis zu einer gewissen Größenordnung) und Verdienste, die sich in Euro und Cent sehen lassen können, sind mir persönlich ziemlich egal. Es geht um die Macht zu tun, um Einfluss und die Stücke vom Kuchen. Hier muß – sofern das überhaupt noch möglich ist – dringend gegengesteuert werden.
Die Vorstellungen der Sozialisten aus dem 19. Jahrhundert klingen sympathisch. Übrigens – der Green New Deal von Sanders und AOC ist davon gar nicht so weit entfernt.
Klingt nach sozialer Marktwirtschaft. Habe ich eigentlich immer schon favorisiert, aber mir ist dann insbesondere von selbsternannten Linken stets umfangreich erklärt worden, warum das auf gar keinen Fall geht.
Nun ja, ich wäre dabei. Es geht insbesondere darum wichtige Infrastrukturen nicht den Spekulanten in den Rachen zu schmeißen, ansonsten gibt es Bereiche, in denen der Markt die Dinge prima regelt.
Rote Linien müssen wir selbst einziehen, das wären dann Bereiche, die vom Markt weitgehend unangetastet bleiben. Wir merken gerade, dass das im Gesundheitsbereich ganz gut wäre, bei der Wasserversorgung ist das auch hilfreich.
Beim Energiesektor muss eine klare Linie rein, die viel radikaler auf erneuerbare setzt, dass das kein Problem ist, haben Experten der Bundesregerierung schon vor Jahren festgestellt. Wenn dann demnächst nicht 10.000 Alte an Viren sterben, sondern an der Hitze, ist das auch nicht so prickelnd. Und so weiter.
Es gibt viel zu tun. Packen wir's an. :-)
Mit dieser Vorstellung bin ich ganz auf Ihrer Linie.
Auch ich wurde (nicht nur hier) schon negativ angegangen, als ich auf die Möglichkeit der sozialen Marktwirtschaft verwies. Und das nicht nur von ewiggestrigen Kommunisten sondern auch von Mitgliedern der Grünen.
Sehe trotzdem keinen wirklich gangbaren anderen Weg für die Zukunft
Der Begriff „Markt“ ist sehr breit. Man denke an den Jahrmarkt der Eitelkeiten, auf dem nicht Äquivalente getauscht werden, sondern um „identitäre Höchstleistungen“ gekämpft wird, die einen durchaus angemessenen Eigentumsbegriff verwenden, nämlich das „Eigen-tümliche“, das sich von Nützlichkeit emanzipiert hat. Das widerspricht jedoch dem üblichen ökonomischen Begriff. Marx hat schon festgestellt, daß jede vernünftige arbeitsteilige Gesellschaft in irgendeiner Form ein ungeregelter oder gezielt geregelter Äquivalententausch sein muß, wobei die Frage nach dem Maßstab der Äquivalenz erst einmal offen ist. Konsumtion und Produktion müssen in vernünftiger Weise koordiniert werden. Wenn man nur das unter Markt versteht, ist er alternativlos. Das einfachste Instrument, den Markt zu organisieren, ist das Geld, hier wurde eine einfache Warenproduktion angedacht, die durch den Ausgleichsmechanismus von Angebot und Nachfrage eine rationale Steuerung der Arbeitsteilung ermöglicht. Aber auch eine erste Form der Kritik hervorruft, nämlich eine Verselbständigung des Produzierens und Tauschens, bei der der Zweck des Tauschens, die rationale Form der Produktion von gesellschaftlichen, dh allen anteilig verfügbaren Reichtums, verloren geht. Nun, eine ideale einfache Warenproduktion gab es nie, und früh hat sich die kapitalistische Form herausgebildet, die unter dem Namen kapitalistische Warenproduktion oder Mehrwertproduktion bekannt ist. In ihr ist der Tausch nur auf der Oberfläche Äquivalententausch, bei genauerer Betrachtung ein Tausch zugunsten einer kleinen Klasse der Kapitaleigner. Ich weiß gar nicht, warum ich diese Trivialität hier noch einmal formuliere.
Richtig ist, daß es eine linke, in diesem Beitrag formulierte Position gibt, die die Aufhebung unserer ungerechten Herrschaftsordnung (ungerecht, weil sie den Nichtäquivalententausch legitimiert, sogar fördert) in der Abschaffung des Mehrwerts, also des Kapitals sieht. Danach muß nicht Geld, der universelle Bezugspunkt des Werts, aufgegeben werden, Sozialismus kann als Markt ohne Kapitalisten gesehen und fortgesetzt werden. Demgegenüber gibt es eine radikalere emanzipatorische Vorstellung von links, die im warenförmigen Bezug der Menschen aufeinander ein meist als transitorisch hinnehmbares Übel sieht, das unter substantielleren Begriffen der Gerechtigkeit, Freiheit, Solidarität überwunden werden muß. Dann ist wie oben gesagt ein vernünftiges Koordinieren und Verrechnen von Arbeit notwendig, aber es ist eine Definitionsfrage, ob man das noch als Markt ansprechen kann, da es kaum noch etwas mit der ursprünglichen Marktabstraktion zu tun hat. Das ist die fundamentalere Kritik am Markt.
Der Beitrag erkennt die Problematik, aber er wertet den Markt durch eine falsche Gegenüberstellung von Plan und Markt auf (die sog. Planwirtschaft hat keinen realistischen Weg eingeschlagen, die legitimen Bedürfnisse der Menschen mit ihrer solidarischen Leistungsbereitschaft abzugleichen). Im emanzipativen Kommunismus wird das Gesundheits-, das Erziehungswesen, die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln, das Wohnen und die Infrastrukturentwicklung nicht marktförmig reguliert, was dann für einen Markt noch übrig bleibt, soll bleiben, ist aber marginal. Da von einer Verbindung von Sozialismus und Marktwirtschaft zu reden, wäre euphemistisch. Aber mit dieser Position übersteige ich wohl das Vorstellungsvermögen der meisten.
+ @ w.endemann
Ich denke, dass unsere Vorstellungen von sozialer Marktwirtschaft und die des emanzipativen Kommunismus größere Schnittmengen haben.
Kommunismus würde ich das strategisch nicht nennen, aber als eine Form der erweiterten sozialen Marktwirtschaft, ließe sich das gut verkaufen.
Was ich nicht brauche, ist, mir erzählen zu lassen, dass mich 11 Joghurtsorten emotional überfordern. Dass es aber bezahlbare und am besten gesunde Waren für alle, sehr gerne öko, wenn das mit der Genussschiene verbunden wird und nicht mit der Verzichtschiene, da wäre ich an Bord.
Vom Artikel inkl. Autor bis in die Kommentare ist das fossiler Restmüll auf dem Fachniveau der Chicago-Boys, die lediglich ein ANDERES Glaubensbekenntnis in ihren Konfirmanden-Anzügen herbeten, - wozu dann feuerrote Absteh-Ohren getragen wurden wie zu anderen Weihe-Anlässen auch üblich (siehe postsowjetische Pressekonferenzen selbiger in Moskau).
Zwar blitzt es selten mal glitzig durch den Unrat durch - "falsche Gegenüberstellung von Plan u. Markt" - und ersetzt die Confessio Krätkes die kath. Strenge durch ein höchst vages "Drittes" zw. diesen falschen Extremen, in das mal alles hineinprojiziert werden kann, was sonst nirgendwo Unterschlupf findet und das als ca. 4-8 "Dritte Wege" seit 1900 höchst unbefriedigend blieb bis krachend scheiterte, aber diese Schnippsel sind gleich wieder derart mit fossilem Abfall verbacken und so gering, dass das Aufdröseln von Markt, Plan, Profit, Überschuss, Wert(en!), Vernunft, Bedarf, Bedürfniss, Versorgung, Luxus, objektiver Subjektivität u. subj. Objektivität, Bilanz, Buchhaltung, Statistik usw. Lichtjahre entfernt ist, so dass nichts anderes als die Restmülltonne bleibt, auch wenn uns das als Neuproduktion verkauft wird, die Anbieter aber nach den Konstruktions-Regeln der 60ger bis max. 80ger Jahre arbeiten, wo eben "Glaube" angeblich half, aber nichts Wiederverwertbares dabei herauskommt, ja im Gegenteil wichtige Arbeitsressourcen dafür okkupiert werden, die diesen untauglichen Simplizifierungsversuchen differenzierte Sichtweisen gegenüber stellen könnten.
Eine Integrale Politik würde die Bedürfnisse der Individuen mit den Bedürfnissen der Gemeinschaft verbinden. Siehe unten:
INTEGRALE WIRTSCHAFT (Kurzfassung der Positionen der Partei - Integrale Politik, Schweiz)
Eine Wirtschaft im Dienst der Welt –durch inneres Wachstum der Menschen
Die Wirtschaftsepoche, wie sie sich seit der industriellen Revolution bis heute ent- wickelt hat, geht ihrem Ende entgegen. Die Anforderungen an Produktivität und Wachstum entsprechen nicht mehr den heutigen oder künftigen menschlichen Bedürfnissen und den Herausforderungen unserer Mitwelt. Die Wirtschaft wird ihre Aktivitäten in den Dienst der menschlichen Gemeinschaft und unseres Planeten stellen. Die Wirtschaft wird so zu einer wichtigen Grundlage zur Schaffung einer neuen Gesellschaft.
Seit den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die Marktwirtschaft stark im Interesse der Profitmaximierung und zugunsten des Finanzsektors ausgebaut. Es entstanden daraus problematische gesellschaftliche Entwicklungen wie die Verarmung der Mittelschichten und das Entstehen von Armut trotz Arbeit. Zudem verschlingt ein nicht nach ökologischen Kriterien reguliertes Wirtschaftswachstum die Ressourcen der Erde.
Vision
Wirtschaften dient der Erfüllung des Lebens und ist nicht Selbstzweck. Die entwicklungspoli- tischen Ziele der Wirtschaft (die derzeit auf Gewinnmaximierung und Massenkonsum ausgerichtet sind) richten sich vermehrt auf die Selbstentfaltung jedes Einzelnen und das Wohlergehen der Gesellschaft und unserer Erde.
Ziel
Integrale Politik möchte den Wunsch nach persönlicher Freiheit mit der Verantwortung für das Gemeinwohl vereinen:
Der Markt findet ein neues Gleichgewicht zwischen Konkurrenz und Kooperation und orientiert sich neu am Ziel des Gemeinwohls und einer positiven Mitweltbilanz.
Wirtschaftsentwicklung und Selbstverwirklichung des Menschen basieren beide auf qualitativem Wachstum. Damit nimmt der Verbrauch an nicht erneuerbaren Ressourcen ab und es steigen der Respekt gegenüber ökologischen Aspekten und das Interesse an nicht materiellen Ressourcen.
Die neue Wirtschaft verhält sich konstruktiv, das heisst verantwortungsvoll gegenüber allen Menschen und der gesamten Mitwelt, qualitätsbewusst, kooperativ und kreativ.
Konkrete Vorschläge
1. Förderung von Unternehmen mit Gemeinwohlbilanzen
Wir unterstützen Firmen und Organisationen, die nach ethischen, sozialen und ökologischen Kriterien geführt werden. Wir tun das durch aktive Förderung pionierhafter Initiativen, mit innovativen Bildungsprogrammen und interdisziplinären Forschungsprojekten. Die Triple- Bottom-Line (Planet, People, Profit) kann helfen, den Sozial- und Umweltbeitrag einer Firma zu messen.
2. Entschleunigung der virtuellen Märkte
Haltefristen für Wertpapiere und Finanzprodukte, Besteuerung von Finanztransaktionen (inspiriert durch die Tobin-Steuer) sowie Alternativen zum Zinssystem könnten helfen, eine neue Spekulationsblase zu vermeiden.
3. Banken dienen wieder der Realwirtschaft
Statt der Ausrichtung auf Vermögensverwaltung und Investment banking werden Banken wieder ihrem ursprünglichen Zweck dienen, nämlich mit Kreditvergabe und Dienstleistungen als Wertaufbewahrungsinstitute den Unternehmen der Realwirtschaft zur Verfügung stehen.
4. Lenkungsmassnahmen für nachhaltiges Wirtschaften
Die Preise beinhalten externe Sozial- und Umweltkosten (Internalisierung der Kosten). Öko- logische Technologien und erneuerbare Energien werden finanziell und mit Steuererleichte- rungen gefördert. Giftstoffe und Verschmutzungen werden limitiert und ersetzt.
5. Höhere Konsumsteuern vermindern die Arbeitsbesteuerung
Eine gezielte Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Güter und Dienstleistungen mit einer negativen Sozial- und Umweltbilanz erlaubt eine Entlastung der Einkommenssteuer. Damit werden sowohl ein verantwortungsvollerer Konsum als auch die unternehmerische Kreativität gefördert.
6. Wir sorgen uns gemeinsam um Wasser, Erde und Luft
Die Sicherstellung einer nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen ist entscheidend zur Erhaltung einer lebenswerten Welt und einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Dazu müssen wir, – die Gesellschaft –, uns gemeinsam um die natürlichen Ressourcen kümmern können. Wir möchten diesbezüglich in Betracht ziehen, den privaten Grundbesitz durch ein langfristiges Nutzungs- und Pachtrecht zu ersetzen, das vererbt werden kann.
Mögliche längerfristige Lösungsansätze
Zur Sicherung der Existenz aller Bürger schlagen wir ein garantiertes Grundeinkommen vor.
Wir möchten, dass der Begriff «Arbeit» um sämtliche Aktivitäten, die dem Gemeinwohl und der ganzheitlichen Entwicklung des Individuums dienen, erweitert wird.
Die Einführung von Mindest- und Höchsteinkommen in einem Betrieb und die Be- schränkung des Gesamteinkommens pro Bürger schafft eine grössere soziale Gerech- tigkeit. Durch diese Verminderung der Einkommensunterschiede wird eine ausgegli- chenere Wertschätzung der Arbeitsleistung erreicht.
Neue Bewertungsmassstäbe (z.B. die Gemeinwohlbilanz) erfordern ein neues Ver- ständnis der Unternehmensführung: Unternehmen werden nach ethischen, sozialen und nachhaltigen Grundsätzen ökonomisch – effizient und effektiv – geführt.
Forschung orientiert sich an inter- und transdisziplinären Lösungsansätzen für eine nachhaltige Gesellschaft.
Eine Verringerung der Vermögensunterschiede durch entsprechende Änderungen der Vererbungskultur und der Erbgesetze und die Beschränkung der direkten Erbschaft auf ein angemessenes Maximum wird zu einer Erhöhung der Chancengleichheit führen. Ein noch zu definierender Erbenfond könnte geschaffen werden.
Wir freuen uns auf weitere Ideen und Initiativen dazu.
„Die falsche und dogmatische Dichotomie von Markt und Plan – oder sogar Markt und Sozialismus – verdient keine Nachsicht.“
Wie wahr!
Es ist endlich an der Zeit das primitive „Entweder-kapitalistische-Marktwirtschaft-oder-sozialistische-Planwirtschaft-eine-dritte-Möglichkeit-gibt-es-nicht-Denken“ hinter sich zu lassen. Menschliche Kreativität und menschlicher Geist lassen weit mehr zu, als die Irrlehren des Kalten Krieges uns bis heute weiszumachen versuchen.
Sollte es wirklich keinen anderen Menschen geben können als entweder den reinen Egoisten (= Grundaxiom der kapitalistischen Marktwirtschaft) oder den reinen Altruisten (bzw. den neuen, selbstlos denkenden und handelnden Mensch = Grundaxiom des Sozialismus / Kommunismus)?
Die Wirklichkeit des evolutionären Menschen ist – unabhängig von jedweder Ideologie – dass er ein Meister der Kooperation ist. Kooperation aber versöhnt die unterschiedlichen Eigenschaften von Menschen, z. B. den Egoismus und den Altruismus.
Wer einen klugen Systemwechsel möchte, der sollte das Bild des kooperierenden Menschen zum neuen Ausgangspunkt (= zum Grundaxiom) allen wirtschaftlichen Denkens und Handelns machen. Auf dieser Basis ließe sich wesentlich realitätsnaher als je zuvor ein Wirtschaftssystem (= die Kooperationswirtschaft) aufbauen, das sehr wohl über (Leitplanken-) Märkte und flexible Planvorgaben, über Privat- und über Kollektiveigentum und über die angemessene Berücksichtigung von Eigen-, Fremd-, Gemein- und Universalwohl (= das Wohl der Menschheit und der Natur insgesamt) verfügte.
Ein Traum? Nur für Junkies des einen oder des anderen Systems.
Änderung wann und wie? Sofort, durch den entschiedenen Beginn einer weltweiten Kooperation aller Nicht-Junkies, die Schritt für Schritt mit aller Besonnenheit das kooperative System zu installieren beginnen.
Gegenargumente? Tausende, so lange man weiter in der Illusion lebt, das Änderungen innerhalb der bestehenden Systeme nachhaltige Veränderungen erbringen.
Entscheidendes Argument: Es kann und darf so nicht mehr weitergehen!
Persönliche Konsequenz: …?
Nachtrag: Es wäre hilfreich, wenn sich endlich die Tatsache herumsprechen würde, dass die Soziale Marktwirtschaft, die unbedingt als leuchtendes Gegenmodell zum „realen Sozialismus“ des Ostblocks gebraucht wurde, natürlich seine Vorzüge hatte, aber nie (= zu keinem Zeitpunkt!) eine reale Überwindung der kapitalistischen Marktwirtschaft darstellte, weil der Homo oeconomicus stets das Grundaxiom (s. o.) blieb. Wenn man sich mit der Grundstruktur und Wirkweise von Axiomensystemen bzw. von geschlossenen logischen Systemen beschäftigt, wird sofort klar, dass es innerhalb eines von seiner Wurzel her unzureichenden (falschen) Systems niemals zureichende (richtige) Lösungen geben kann. Das ist nun einmal so und lässt sich höchstens verdrängen, nicht aber schönreden.
Auch ich war ein bekennender Anhänger der Sozialen Marktwirtschaft, bis ich u. a. auch durch die Abläufe im Zusammenhang mit der Globalisierung erkennen musste, dass das Adjektiv „sozial“ sehr schnell einkassiert werden kann (wie viel „Corona“ und Ähnliches muss noch passieren, damit man endlich erkennt, in welche Sackgasse die Ökonomisierung so vieler Lebensbereiche führt? Sind es jetzt nicht Solidarität und Kooperation, die das Schlimmste verhindern sollen. Wenn man liest wie im Norden Italiens die Menschen einsam [ohne die nicht vorgelassenen Familienangehörigen], ohne Sauerstoffmasken und Pflegepersonal an ihrer Seite bis zum letzten Atemzug in vollem Bewusstsein sterben). Was bei allem immer bleibt ist (das Nomen) „Marktwirtschaft“ mit ihren eiskalten Gesetzmäßigkeiten. Bei einer „Kooperationswirtschaft“ kann einem das nicht passieren, da diese per Definition bzw. per Grundaxiom auf die Berücksichtigung der verschiedenen „…wohls“ setzt. (s. o.). Ich käme als in der Bonner Republik Sozialisierter nicht auf die Idee, über die Soziale Marktwirtschaft schlecht zu reden. Allerdings kann sie in der heutigen Zeit niemals als adäquate globale Lösung herhalten, da man sich eine Welt mit unzähligen Verlierern auf der anderen Seite des Globus nicht mehr leisten kann und will. Und jedwede Form von Marktwirtschaft (auch die Soziale Marktwirtschaft) produziert eben genau solch eine Welt von Gewinnern und Verlierern – nicht weil die Verlierer zu dumm sind, sondern weil das System ganz einfach zu dumm ist (s. o.).
Das sind wirklich interessante Punkte. Vielen Dank!
Mit folgender Aussage hadere ich:
„Der Markt findet ein neues Gleichgewicht zwischen Konkurrenz und Kooperation und orientiert sich neu am Ziel des Gemeinwohls und einer positiven Mitweltbilanz.“
Nach meinem Verständnis würde ich das gerne folgendermaßen formulieren:
„Der Markt findet ein neues Gleichgewicht durch Kooperation und orientiert sich fortan an der angemessenen Berücksichtigung von Eigen-, Fremd-, Gemein- und Universalwohl.
Ja, da haben Sie schon recht. Ihre Formulierung finde ich tatsächlich noch besser.
Ich denke, dass die Integralen Politiker in der Schweiz (das ist die erste Integrale Partei unseres Planeten nach Wilber´s Terminologie) wollten die derzeit existierende Konkurrenz durch Kooperation ins Gleichgewicht bringen, flankiert mit verschiedenen anderen wichtigen Maßnahmen, wie oben beschrieben.
Ihre Ideen zu einer Kooperationswirtschaft finde ich sehr gut. Das geht in die selbe Richtung.
+ @ Insel-Banker, @ w.endemann, @ Interessierte
Ich denke, da geht vieles in eine ähnliche Richtung.
Soweit ich das sehe, liegt die Stärke der Marktwirtschaft in ihrer Flexibilität und ihrer Ideologieferne. In der immer zugespitzteren Variante des des Finanzkapitalismus wird er selbst immer stärker zur Ideologie, aber einer, die immer mehr erkennen lässt, dass sie auf immer weniger Fragen eine Antwort hat. Dass das Modell des Homo Oeconomicus, eines rationalen Agenten, der stets seine Vorteile vergrößern will, falsch ist, ist längst bekannt und jeder, der es wissen will, kann es wissen.
Verabschiedet man damit aber die Idee eines immer a u c h rationalen Menschen, zugunsten einer selbstwidersprüchlichen Version eines rein emotionsgesteuerten, ist man ebenso auf dem Holzweg. Dass sich die Wahrheit irgendwie in der Mitte eine fließenden Kontinuums befindet, ist zwar richtig, aber noch nicht sehr aussagekräftig, denn es kommt durchaus auf das Feintuning an.
Die real existierenden Varianten des Sozialismus und Kommunismus waren bislang alle ein Schuss in den Ofen und ich habe keine Lust, die nächste Variante davon dann doch noch mal zu probieren. Vom Extrem des staatlich organisierten Massenmords ging es im besten Fall zu einem paranoiden Überwachungsstaat und das ist alles verabscheuungswürdig.
Ein Umbau von Innen, der die Ideale des Kommunismus mit berücksichtigt und bestimmte Lohnuntergrenzen einzieht und auch mit jenen solidarisch ist, die nicht können, ist wünschenswert. Die Idee, dass sich ein Dienst an der Gemeinschaft nur in Lohnarbeit ausdrückt, ist ebenfalls etwas, von dem man sich in seiner Ausschließlichkeit verabschieden kann, das erleben ja einige gerade.
Die Frage, was wir anders haben wollen, ist wichtig, aber auch die Frage, was wir denn behalten wollen, ist wichtig. Wollen wir wirklich alles anders haben und machen? Und wie? Ich brauche keine gute Laune Ideologen, die in immer kürzeren Abständen erzählen und vorrechnen wollen, dass wir in der besten aller möglichen Welt leben, alles immer noch toller wird und mein Gefühl, dass dies nicht so ist, eine Wahrnehmungsstörung sein muss. Das weiß ich selbst besser, weil ich merke, ob ich mich wohl und gut fühle.
Ich brauche aber auch keine Ideologen, die ganz genau wissen, was ich zum Leben brauche und was überflüssig ist, das entscheide ich ganz gern selbst und auch das merke ich besser.
Aber wir müssen alle immer weiter dazu lernen. Ich bleibe bei der Einschätzung, dass wir für unsere Art zu Leben, zu viele Menschen geworden sind, denen es vielleicht nicht 'zu gut geht' (das vielfach gerade nicht), die aber oft in vergleichsweise großem, äußeren Wohlstand leben und die durch immer mehr vom Selben nicht selten kompensieren wollen, dass es ihnen eigentlich nicht so gut geht, die aber nicht wissen, was sie machen sollen. Hier wäre weniger oft mehr, aber nicht verkauft als Verbot und Drangsalierung, sondern in einer Mischung, die die Ziele, die jemand hat, die Art, wie er leben möchte und was ihm wichtig ist, in den Fokus stellt. Wenn wir uns freiwillig auf das beschränken, was usn wichtig ist, können wir glücklicher werden und dann würde wir vielleicht entspannt noch viel mehr Milliarden Menschen ertragen, aber im Moment scheinen sich die Probleme von unserer Lebensweise und der Zahl der Menschen, die heute so leben und demnächst so leben wollen wie wir es tun, zu immer mehr Krisen hoch zu schaukeln.
Einerseits könnten 2 Milliarden weitere Autofahrer, plus der unendliche Energiehunger, plus die Berge an Müll den Klimawandel und die Umweltproblematiken verschärfen, aber angesichts von Corona, kann man eine Abschaffung des Indivdualverkehrs nicht mehr als beste aller Lösungen ansehen, hätten wir nur nur Fahrgemeinschaft und ÖPNV, es wäre ein Fiasko, außer, wir wären dezentraler organisiert, aber im Moment fokussiert sich das Leben auf die Städte und ein Wohnen auf aller engstem Raum. Alles einfach nur ganz anders haben zu wollen, ist selten die Lösung.
Die Hypermobilität in Handel und Business und Tourismus, ist brisant. Das pulsierende Leben und Großstädten, das Nachtleben ist einerseits ein wunderbarer Kulturbeschleuniger, aber Großstädte sind heute oft auch einfach teuer, dreckig, laut und irre stressig. Es ist ein Irrsinn, Jahre seines Lebens im Stau gestanden zu haben. Im Konkreten wird es dann spannend, kreieren wir doch Alternativen zum vorgeblich Alternativlosen.
Das Beispiel des Gehirns ist ein ausgezeichnetes, beschreibt es doch das vielschichtige Miteinander von Quantität und Qualität. Am Ende obsiegt das angemessene Verhältnis beider. Dabei kommt eine wesentlich subtilere Form von "Wachstum" zum Zuge. Genial! Jedwede einsichtige Sicht würde wie bisher in die Irre führen.
Bei der Suche nach einer zeitgemäß ausgewogenen Neustrukturierung des so viele Lebensbereiche bestimmenden Wirtschaftssystems geht es u.a. darum, die von ihnen angeführten Manipulationen zu minimieren und selbstbestimmtes Handeln zu fördern.
„Ich brauche keine gute Laune Ideologen … Ich brauche aber auch keine Ideologen, die ganz genau wissen, was ich zum Leben brauche und was überflüssig ist … Aber wir müssen alle immer weiter dazu lernen.“
Ja, genau darum geht es! Dieses Lernen sollte tabulos und ergebnisoffen sein, mit aller gebotenen Rationalität und auch mit ein wenig angemessener Emotionalität (= „Bauchgefühl“).
Es ist die grassierende Einseitigkeit, die die Menschen in vielen Bereichen bisher gnadenlos hat scheitern lassen. Wer wirklich weiterkommen will muss sich deshalb einer vielsichtigen und vielschichtigen Lösungsfindung zuwenden, die derart klug bemessen ist, dass sie sinnvolle unterschiedliche und gegensätzliche Perspektiven bestmöglich zu berücksichtigen vermag.
Das aber verlangt, dass die an diesem Prozess Beteiligenden aufhören, an begrenzten Sichten weit übers Maß hinaus immer weiter ungebührlich festhalten. Das Neue kann sich nur durch das Ergänzen der unterschiedlichsten Aspekte herausbilden. Das sollte die Vorgehensweise im 21. Jh. sein, sonst hat man nicht dazugelernt. Einseitige Ideologien werden heutzutage überhaupt nicht mehr gebraucht.
„Dieses Lernen sollte tabulos und ergebnisoffen sein, mit aller gebotenen Rationalität und auch mit ein wenig angemessener Emotionalität (= „Bauchgefühl“).“
Verbunden mit der Möglichkeit, dass Spiritualität noch etwas ganz anderes ist. M.E. ist Spiritualität keine Emotion und auch keine Rationalität, sondern etwas, was beides umarmt.
Aber schon die angemessene Dosierung von Emotionen und Denken zu beschreiben, hat es in sich, weil diese in den Menschen ganz individuell gewichtet sind. Richtig scheint mit aber zu sein, dass wir eine biologisch-emotionale Grundausstattung haben, mit der wir gut durchs Leben kommen, sie wird aber auf höheren Stufen immer wieder und immer etwas anders, von einer nicht mehr vom ihr zu trennenden Rationalität überarbeitet. Beides gehört dann in uns zusammen.
Spirituelle Praktiken distanzieren sich von beidem und bauen einen weiteren Standpunkt auf, der dann letzten Endes mit den Emotionen und dem Denken verbunden werden kann, wenn es diesen einigermaßen stabilen Punkt in einem Individuum gibt.
„Es ist die grassierende Einseitigkeit, die die Menschen in vielen Bereichen bisher gnadenlos hat scheitern lassen. Wer wirklich weiterkommen will muss sich deshalb einer vielsichtigen und vielschichtigen Lösungsfindung zuwenden, die derart klug bemessen ist, dass sie sinnvolle unterschiedliche und gegensätzliche Perspektiven bestmöglich zu berücksichtigen vermag.“
Ja, die Fähigkeit zur Ambivalenz ist die Eintrittskarte, um durch das Tor zur Menschlichkeit zu gehen. Die ideologisch motivierte Unfähigkeit zur Ambivalenz, lässt und im extremen Fall unmenschlich agieren, d.h. die Würde und die grundlegenden Bedürfnisse anderer missachten.
„Einseitige Ideologien werden heutzutage überhaupt nicht mehr gebraucht.“
Wenn Sie weiter im Hinterkopf behalten, dass dies selbst keine Ideologie werden sollte, indem man nun jede Ja/Nein Entscheidung verdammt (letztens haben Sie das so gesehen), dann sind wir auch hier in einem Boot.
Die Herausarbeitung von Unterschieden sehe ich dabei nicht als Zurückweisung an, sondern als Motor, um sich auszutauschen und von einander zu lernen.
"Verbunden mit der Möglichkeit, dass Spiritualität noch etwas ganz anderes ist. M.E. ist Spiritualität keine Emotion und auch keine Rationalität, sondern etwas, was beides umarmt."
Ja, klar! Spiritualität ist etwas anderes und verdient natürlich grundsätzlich ebenfalls Berücksichtigung.
Entweder-oder-Entscheidungen verdamme ich nicht grundsätzlich. Es gibt Situationen, da können auch diese zutreffend sein. Wir brauchen die Fähigkeit zur Unterscheidung. Vielfalt umfasst eben auch die Einfalt, Einfalt aber nicht die Vielfaölt (Achtung: Humor!) und die Vielsichtigkeit beinhaltet auch die Möglichkeit zur (temporären) "Einseitigkeit".
Es gibt ein - für die einen ein unbewusstes und und für die anderen ein auffälliges - Phänomen: Solange man in seinem Denken immer noch weitgehend im ausschließenden Entweder-oder-Kosmos verwurzelt ist, so lange spielt die Kategorisierung jedweden Denkens eine unverhältnismäßig große Rolle. Betrachtet man die Welt aber mit den Augen der Vielsichtigkeit, geht es weder um Ausschluss noch um endgültige Kategorisierung, sondern um das Ergründen des Zusammenwirkens der ganz unterschiedlichen Aspekte. Grundsätzlich ist vieles möglich, aber die ganz konkrete Situation bestimmt die ganz konkrete Mischung der jeweiligen Zutaten (Aspekte).
Aus dem Entweder-oder-Kosmos heraus ist konstruktive Vielsichtigkeit im Grunde genommen nicht vorstellbar. Umgekehrt aber stellt das überhaupt kein Problem dar. Auf der logischen Ebene hat das mit Spiritualität nicht viel zu tun, wohl aber kann diese als hilfreiche Quelle der Inspiration dienen.
"Die Manipulationen kann ich und niemand minimieren, da wir alle in irgendeiner Weise manipulierend unterwegs sein werden."
Das ist Ihre Sicht, nicht meine. Ich halte die Minimierung von Manipulierung und von Manipulierbarkeit für möglich. Ich glaube, dass in einer sinnstiftenden Gesellschaft mit einem entsprechend klugem Wirtschaftssystem einerseits die Neigung zur Manipulation anderer durch das Bedürfnis nach gelingendem Miteinander Schritt für Schritt abgelöst werden könnte und andererseits in Bezug auf die Manipulierbarkeit die eigenen Sinne geschärft und die Wiederstandsfähigkeit vergrößert werden könnte.
Es gibt kein immerwährendes gleichbleibendes Naturgesetzt der Manipulation.
Je mehr man über die Mechanismen der Kommunikation weiß, desto schwieriger dürfte es sein, diese Kenntnisse nicht einzusetzen (auszunutzen).
Also weder ist die Grenze der "Manipulation" leicht zu bestimmen (und die Sicht darauf dürfte je nach Betroffenheit unterschiedlich sein), noch ist sie aus den Interaktionen völlig außen vor zu lassen. Denn da immer Interessen im Spiel sind (auch die, für andere etwas Gutes bewirken zu wollen), setzt man seine Fähigkeiten zwecks Überzeugung ein.
Aber eine gute allgemeine gesellschaftliche Grundsicherheit (Autonomie) dürfte zumindest die Manipulationsmöglichkeiten deutlich reduzieren. Zudem sind Grundkenntnisse über die Manipulationstechniken hilfreich.
Das ist ein schwieriges Thema mit fließenden Übergängen und Abhängigkeiten von Weltsicht und Standpunkt.
Ich unterscheide Manipulation (durch eine bewusste oder aber auch unbewusste Beeinflussung in eine bestimmte Richtung lenken) und Einfluss (Einwirkung auf etwas). Mir ist bewusst, dass die Grenzen fließend sind. Natürlich bedeutet Interaktion automatisch immer wechselseitigen Einfluss. Davon ist keiner frei. Sollte @na64 das im Blick haben, ist das natürlich richtig.
Ob Kenntnisse in Kommunikation oder Manipulationstechniken agitatorisch oder zum Eigenschutz benutzt werden, hängt von jedem Einzelnen ab.
Sie sprechen von „einer guten allgemeinen gesellschaftlichen Grundsicherheit (Autonomie)“. Ich spreche von „einer sinnstiftenden Gesellschaft mit einem entsprechend klugem Wirtschaftssystem“. Beides beinhaltet die Hoffnung (und die berechtigte Erwartung), dass für Menschen erfahrbare positive gesellschaftliche Bedingungen auch die Haltung des Einzelnen zu verändern vermag. Erfolg die Sozialisierung bzw. die grundsätzliche Prägung in einem durch Egoismus bestimmten Umfeld (was natürlich in der Familie beginnt und gesamt-gesellschaftliche Einflüsse umfasst), ist die Wahrscheinlichkeit für eine eigene egoistische Haltung größer, als wenn sich das Umfeld an fruchtbares Miteinander auf gleicher Augenhöhe (an Kooperation und Solidarität) orientiert. Natürlich gibt es immer wieder Ausnahmen.
Für mich persönlich ist es auch deshalb unverzichtbar, dass in der Gesellschaft ein weitverbreitetes Bewusstsein entsteht – so wie es jetzt im Zusammenhang mit Corona auf „allen Kanälen“ eingefordert wird –, dass uns solidarisches Miteinander wesentlich weiter bringt als egoistisches Gegeneinander. Mir geht es nicht nur um eine Erneuerung des Wirtschaftssystems, sondern vor allem auch um eine realitätsnahe, wirkungsvolle Erdung (der evolutionär geprägte Mensch ist Meister der Kooperation) der Gesellschaft. Das Argument, ob sich etwas rechnet oder nicht, darf nicht länger das über allem stehende Mantra sein. Vielmehr sollte gemeinsam um das Sinnvolle und Hilfreiche gerungen werden.
Ich denke, dass wir lange erörtern könnten, ob und inwiefern diesbezügliche Inspiration als Manipulation verstanden werden kann. Sicher aber handelt es sich dabei nicht um die laut Duden zweite Bedeutung von Manipulation: „undurchschaubares, geschicktes Vorgehen, mit dem sich jemand einen Vorteil verschafft, etwas Begehrtes gewinnt“.
Ich denke, dass es im Leben einen essenziellen Unterschied macht, ob etwas aus egoistischen Gründen geschieht oder aus besten Wissen und Gewissen im beiderseitigen bzw. im gesamtgesellschaftlichen bzw. im universalen Interesse erfolgt. Nicht nur Selbstlosigkeit, sondern auch fruchtbares Miteinander beinhaltet, dass etwas nicht (allein) auf den eigenen Vorteil bedacht ist.
s.o.
"Die Herausarbeitung von Unterschieden sehe ich dabei nicht als Zurückweisung an, sondern als Motor, um sich auszutauschen und von einander zu lernen."
Ich hatte versäumt, Ihnen diesbezüglich uneingeschränkt zuzustimmen! Ja, nur so kann eine Erörterung wirklich fruchtbar sein.
„Es gibt ein - für die einen ein unbewusstes und und für die anderen ein auffälliges - Phänomen: Solange man in seinem Denken immer noch weitgehend im ausschließenden Entweder-oder-Kosmos verwurzelt ist, so lange spielt die Kategorisierung jedweden Denkens eine unverhältnismäßig große Rolle. Betrachtet man die Welt aber mit den Augen der Vielsichtigkeit, geht es weder um Ausschluss noch um endgültige Kategorisierung, sondern um das Ergründen des Zusammenwirkens der ganz unterschiedlichen Aspekte. Grundsätzlich ist vieles möglich, aber die ganz konkrete Situation bestimmt die ganz konkrete Mischung der jeweiligen Zutaten (Aspekte).“
Das sehe ich genauso. Ich habe es daran gemerkt, dass Kategorisierungen und Hierarchisierungen sich irgendwann auflösen, wenn man sich nicht auf nur eine oder wenige beschränkt, sondern sich immer mehr anschaut. Ich denke, jeder wird irgendwann zu dieser Einsicht gelangen.
"Ich denke, jeder wird irgendwann zu dieser Einsicht gelangen."
Das ist aus meiner Sicht die kognitive Entwicklung, die die Menscheit im 21. Jh. als Basis für wegweisende Lösungsansätze dringend braucht.
Lieber Herr Krätke, Sie erwähnen ja die Austromarxisten. Wäre es in diesem Zusammenhang nicht besonders wichtig, auch auf Rudolf Hilferding hinzuweisen, der mit seinem Konzept des "organisierten Kapitalismus" eine wesentliche Grundlage im Sinne der vorgestellten Ansichten schuf?
Dieser in Österreich geborene Politiker, Arzt und Nationalökonom, immerhin zweimal Reichsfinanzminister in der Weimarer Republik, muss unbedingt als scharfsinniger und weitsichtiger Analyst des immer mehr wachsenden Missverhältnisses von Finanz- und Spekulationswirtschaft, sowie der Monopolwirtschaft, zur Realwirtschaft gesehen werden, das zur Verzerrung der Konkurrenz und damit zu sozialer Ungerechtigkeit wesentlich beitrug.
Hilferding beschrieb eine neue Art der sozialverträglichen und sozialistischen Wirtschaft einige Jahre früher, als Oskar Lange und Abba Lerner. - Das schmälert deren Wert keineswegs.- Sein "Das Finanzkapital", bereits 1910 veröffentlicht, hatte, aus heutiger Sicht, prophetische Züge.
Schade, dass dieser, von der Gestapo gequälte und ermordete, Intellektuelle in der Sozialdemokratie nicht mehr weiterwirken konnte, als es zum Neubeginn nach 1945, dann 1949, darauf ankam.
Auf dem Kieler SPD-Parteitag, 1927, hatte Hilferding "Die Aufgaben der Sozialdemokratie in der Republik", skizziert. - Es ist eine Tatsache, dass die SPD, aber auch die europäische Sozialdemokratie, von diesem Zukunftsprogramm eines "dritten Weges", zu oft und immer mehr abgekommen sind und darum heute, wenn überhaupt, allenfalls noch die zweite oder gar dritte Geige in der Politik spielen dürfen.
In Zeiten der Staatsverteufelung, von Seiten der Finanzkapitalisten, sowie von Seiten der neuen autoritären und nationalen Populisten, lohnt es sich Hilferdings Ansicht zu würdigen, der im Staat die einzige Kraft sah den Kapitalismus zu sozialisieren.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Lieber Inselbanker, Walter Russel hat es auch mit einfachen Worten auf den Punkt gebracht.
"Die Menschen betrachten die Goldene Regel nur als ein Ideal für die eigene Familie und die geselligen Beziehungen, aber nicht für das Geschäftsleben. ... Jesus sagte: Liebet einander und Tut einander, wie ihr wollt, dass euch getan werde, aber kaum jemand hat seitdem erkannt, was er damit meinte, oder es gar im täglichen Leben angewandt. Die Goldene Regel ist ein Gesetz, welches genauso befolgt werden muss wie das Gesetz der Schwerkraft, weil es uns sonst so sicher zerbricht, als würden wir uns, das Gesetz der Schwerkraft leugnend, von einer Klippe stürzen. Das dem gesamten Universum zugrundeliegende Prinzip ist ausgewogener gegenseitiger Dienst Dienst, der gegeben wird für empfangenen Dienst. Wenn die ganze Welt ZUERST ihren Dienst gibt, anstatt zuerst zu nehmen, wird es keine Kriege zwischen Völkern oder jedwedem anderen Gegensatzpaar wie Kapital und Arbeit, Käufer und Verkäufer, Mann und Frau, Regierung und Volk mehr geben. Wenn zum Beispiel ein Produzent Wohlstand anstrebt, muss er zunächst Wohlstand geben, indem er in seine Firma geht und darauf achtet, dass jene, die für seinen Reichtum arbeiten, selbst wohlhabend gemacht werden. So arbeitet das Gesetz des gleichwertigen Austausches und dieses Gesetz ist die Goldene Regel. Walter Russell (1871-1963)"
@ Moorleiche, @ Insel-Banker
Entweder-oder, die aristotelische Logik, ist die Logik des Objektiven, das Subjektive, das Menschliche, alles, was mit Leben zu tun hat, muß über das Objektive hinausgehen, nicht es ersetzen, aber verflüssigen. Die Philosophie hat dafür die dialektische Logik bereitgestellt. Je mehr etwas subjektabhängig ist, desto mehr muß die aristotelische durch die dialektische Logik ergänzt werden. Da es aber kein Subjekt ohne Objektsein gibt, da die Objektebene die Grundlage von allem ist (dh solange man nicht reiner Idealist, Dualist, Transzendentalist, religiös ist), geht es auch nie um die Ersetzung der aristotelischen Logik, sondern um ihre transzendierende Erweiterung. Es ist demnach auch falsch, die Dinge bzw die Dinglichkeit in ihrer Getrenntheit zu ignorieren. Das Getrenntsein ist nicht nur Schein. Der andere Aspekt betrifft nicht das Sein, sondern das Denken des Seins. Auch da ist es sinnvoll, sich des Denkmittelcharakters des Sprechens bewußt zu sein und der Notwendigkeit, virtuell-analytisch zu trennen, Rechnung zu tragen. Beides darf man nicht verwechseln, etwas kann objektiv getrennt sein, aber bei der Rekonstruktion der Wirklichkeit im Denken ist der erfolgversprechendste Weg die analytische Aufspaltung und anschließende Rekombination. Jedenfalls gibt es mE bis heute keinen erfolgreichen Versuch, es umgekehrt zu versuchen, sozusagen von einer analog-synästhetischenVerdopplung ausgehend den komplexen Kern entschlackend freizulegen. Jedenfalls nicht systematisch. Punktuell kann man die Rationalisierung von Intuitionen als den umgekehrten Weg ansehen.
Damit komme ich noch einmal auf einen früheren Punkt zurück, wo Ihr die Frage diskutiert habt, ob es zwischen Fühlen und Denken ein womöglich umfassendes Drittes gibt.
Ich denke nicht, daß es zwischen den Instanzen Kognition und Emotion eine eigene, integrierende Instanz gibt, wohl aber gibt es eine mehr oder weniger starke Verbundenheit beider Instanzen, die man, wenn man will, Spiritualität nennen könnte. Voraussetzung für die kognitive Bearbeitung der Emotionen ist ihre Repräsentation im Bewußtsein, dann spricht man meist von Gefühlen. Ich finde den Begriff Spiritualität entbehrlich, aber wenn man genau diese Wechselwirkung benennen will, ist das o.k. Die relative Unabhängigkeit beider hat ihren Wert wie die Interaktion beider, die ein wesentliches Moment der Selbstreflexion ist. Überhaupt wundert mich, wie wenig es den Menschen klar ist, daß nicht nur die Kognition sich ändert, freilich mit zunehmendem Alter immer weniger, sondern auch der selbstverständlich sehr viel statischere emotionale Kosmos. In der kognitiven Bearbeitung der Emotionen liegt die Chance, gute Menschen zu werden, dh sich selbst anzupassen an das, was man für gut erachtet. Die Reflexion, Selbstreferentialität ermöglicht, selbstredend in den natürlichen Grenzen, die autonome Selbstbestimmung.
Kleiner Widerspruch. Diese goldene Regel gilt nicht in der Natur. Die Natur hat keine Intentionen, irgendetwas zu erreichen. Es ist vielmehr so, daß die Notwendigkeit zur Stabilisierung (des Lebens) zu einem Gleichgewicht führt, wenn nicht, bedeutet das den Tod. Die Menschen sind auf diese Regel gekommen, intellektuell, allerdings die Hoffnung, rein verstandesmäßig das Richtige zu tun, ist eher unbegründbar. Wir müssen das intuitiv lernen und wir können das vor allem kognitiv beeinflussen. Wir müssen und können lernen, das Richtige zu wollen.
Herzlichen Dank, Nil, für diese wunderbare, mir bisher unbekannte Textstelle, die als gesunder Kontrast zu dem grassierenden „Wahnsinn“ ausgezeichnet in die heutige Zeit passt. Welch weise Einsicht in das evolutionär das Miteinander der Menschen wohl prägendste Prinzip!
Man ist in vielen Kulturen auf unabhängig voneinander entstandene Formulierungen (weit vor irgendwelchen so genannten Weltreligionen) des gleichen Prinzips gestoßen. Menschen haben also in ihrer Entwicklung an allen Ecken und Enden der Welt das seit 1615 als Goldene Regel bezeichnete Prinzip als Verhaltensregel formuliert, wodurch sich das Miteinander der Menschen offensichtlich am sinnvollsten gestalten ließ.
Dass sehr viele Menschen damit heute nicht mehr viel anfangen können, ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass wir Menschen uns seit evolutionär relativ kurzer Zeit den übermächtigen Egoismus mantramäßig einreden und von dessen Existenz überzeugt sind wie der Junkie von seiner Droge.
Im Rahmen meiner eigenen Arbeiten zu dieser Thematik, habe ich mich an die Formulierung einer aktualisierten Version dieses Prinzips herangewagt, die sowohl bei religiösen als auch nicht religiösen Menschen auf Akzeptanz stoßen könnte:
„Öffne Dich der ganzen Wirklichkeit
und achte Mensch und Natur so,
wie du selbst geachtet werden möchtest,
ohne die Achtung deiner selbst zu vernachlässigen!
Versuche die Liebe in Dir zu entdecken!“
Wer mit dem letzten Satz nichts anzufangen weiß, kann ihn auch weglassen.
… „die aristotelische Logik, ist die Logik des Objektiven“ …
Solange es um mathematische Zusammenhänge geht, die ja die aristotelische Logik als Grundprinzip haben, ist das sicherlich richtig. Geht es aber um die „ganze Wirklichkeit“, dann ist diese äußerst vielfältig und vielschichtig, da ist z. B. Getrenntheit nur ein Aspekt und Verbundenheit ein anderer. Geht es in diesem Kontext um Objektivität, die Menschen mit ihren Mitteln nicht erreichen können, da erscheint die aristotelische Logik als recht primitives Werkzeug, die eine größere und genauere Annäherung an die Wirklichkeit als bisher regelrecht verhindert.
„Ich finde den Begriff Spiritualität entbehrlich“ …
Wenn man keinen eigenen Zugang zur Dimensionen der Spiritualität hat, ist sie nicht nur entbehrlich, sondern sie existiert ganz einfach nicht. Sie als integrierende Instanz zwischen Kognition und Emotion zu verorten, greift aus der Sicht spirituell erfahrener Menschen viel zu kurz. Wie oben bereits humorvoll geäußert: Vielfalt umfasst auch die Einfalt, die Einfalt aber nicht die Vielfalt.
"Diese goldene Regel gilt nicht in der Natur."
Wurde das behauptet?
Man kann aber sehr wohl davon ausgehen (zahlreiche Studien legen das nahe), dass ausgewogenes kooperatives Miteinander inzwischen sehr wohl in der evolutionär geprägten Natur des Menschen liegt, trotz aller Beschwörungen des ausschließlichen Egoismus.
„Das Getrenntsein ist nicht nur Schein.“
Kommt drauf an und ist wirklich aus mehreren Perspektiven etwas, was man berechtigt hinterfragen kann.
„Ich denke nicht, daß es zwischen den Instanzen Kognition und Emotion eine eigene, integrierende Instanz gibt, wohl aber gibt es eine mehr oder weniger starke Verbundenheit beider Instanzen, die man, wenn man will, Spiritualität nennen könnte.“
Die Verbundenheit ist mir klar, ich kenne sie gut, aus der Psychologie, Denken und Fühlen, wenn man es so nennen will, sind ja in uns allenfalls didaktisch zu trennen, aber das ist es nicht, was ich meine. Ich denke schon, dass Spiritualität etwas eigenes ist, weil sie beides hinter sich lässt und eine beobachtende Position aufbaut, die man sich aber nicht zurecht denkt, sondern die man festigt, indem man Denken und Fühlen beharrlich zurückweist oder besser, ins Leere laufen lässt.
Vielleicht stößt man da auch Türen zu anderen Welten auf, übrigens auch analog zu einem spannenden Gedanken von Markus Gabriel, der unser Denken für einen Sinn hält, wie das Sehen oder Riechen. So könnte Spiritualität auch ein Sinn sein, den man trainieren kann.
Was mich überzeugt, ist, dass spirituelle Gipfelerfahrungen oft anders sind, als man sie sich vorstellt. Man kann sich da nicht hindenken oder -wünschen, es ist dann doch anders, aber wiederum wieder ähnlich genug, dass man bei aller kulturellen Einkleidung und Deutung doch wieder typische Gemeinsamkeiten und Cluster sehen kann. Wilber hat das schön systematisiert und es gibt heute viele Menschen, die diese Erlebnisse bezeugen können.
„Überhaupt wundert mich, wie wenig es den Menschen klar ist, daß nicht nur die Kognition sich ändert, freilich mit zunehmendem Alter immer weniger, sondern auch der selbstverständlich sehr viel statischere emotionale Kosmos.“
Das ist mir klar, das ist ja Inhalt der Psychotherapie, das Denken, das Fühlen, die Träume, die Moral, all das und mehr ändert sich. Man kann sich auch das nicht vorstellen, wenn man es zuvor noch nie erlebt hat, aber das ist das A und O jeder tieferen Psychotherapie.
Lieber W.endemann, wenn es nach Walter Russell geht, schon. ;-)
https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Russell
Ein Unterschied liegt jedoch darin, dass man gegen die Schwerkraft nicht verstoßen kann (auch wenn man sich nicht dran halten will), gegen die Goldene Regel hingegen schon.
Man kann jedoch der Meinung sein, dass ein harmonischer und letztendlich gerechter Austausch das Beste ist, was Menschen tun und einsehen können (das denken Philosophen und Psychologen ja auch), nur besteht eben die Möglichkeit anders zu handeln. Die zwei Seiten unserer Freiheit.
Ja, das ist richtig.
Russell sagt ja gerade, wenn wir uns aber entscheiden gegen die goldene Regel zu verstoßen, ist das so, als würden wir die Schwerkraft leugnend, von der klippe springen. Also sinngemäß so, dass auf die Dauer ein Kippunkt erreicht wird, Zustände erzeugt werden die dem Gemeinwohl und den Lebewesen großen schaden zufügen. Können wir ja überall beobachten.
Es kommt drauf an, in welchen Modus man wechselt. Der Philosoph sieht hier Unterschiede und ist zurecht streng.
Andere sehen die Ähnlichkeiten und Analogien, was qualitativ besser ist, als viele meinen, aber das ist kompliziert, weil wir keine Sichtweise haben, die über allen anderen steht, ohne zirkulär zu werden.
Also auch keine, die entscheidet, wann, welche Sichtweise oder welches umswitchen dran ist.
Warum so kompliziert ? :-)
Es reicht, wenn wir den Sinn des gesagten (Sprechers) verstehen. Inselbanker hat es sofort verstanden. Wortklaubereien sind doch ermüdend und sollte nicht davon abhalten, den Roten Faden zu schauen und darauf reagieren. Wir müssen doch nicht immer ein Fachgespräch aus allem machen.
Immer?
Fast immer ?
;-)
Das sage ich auch. Schon die meisten höher entwickelten Tiere haben eine sehr soziale Lebensweise, sind nicht nur an die natürliche Umwelt, sondern zunehmend innerartlich angepaßt, produktiv koordiniert.
In meinem Sprachgebrauch ist Beobachten die bewußte und gelenkte Wahrnehmung. Reflexion ist die Eigenwahrnehmung des Denkens. Was Beobachten ohne kognitive Bearbeitung und ohne die Filterung und Synthesierung der Sinneseindrücke sein soll, womöglich außerhalb des Bewußtseins, mit dann doch notwendigem zusätzlichem Sinnesorgan für die unmittelbare Wahrnehmung, ist mir unverständlich. Der Glaube an ein Unmittelbares, Immaterielles ist mir nicht nachvollziehbar. Und das sehe ich doch richtig, es hat keine materielle Basis, oder?
Ein Aspekt des Denkens als Sinneswahrnehmung, die Reflexion als ein die Eigenwahrnehmung des Denkens enthaltendes Moment habe ich bereits erwähnt (das entspricht vielleicht Markus Gabriel).
Die subjektiven Erlebnisse bestreite ich nicht, nur frage ich, was berechtigt, der Selbstdeutung eine objektive Bedeutung beizumessen?
Ja, ich habe mich bei wiki oberflächlich, wie es eben geht, informiert, wer Walter Russell ist; der hat diese Überzeugung. Mir leuchtet das nicht ein, und die sachliche Antwort habe ich weitgehend im Vorkommentar zu geben versucht. Aber ich will auch sagen, mir ist diese Denk- und vermutlich auch Lebensweise durchaus sympathisch. Ich möchte es mal so sagen: man sollte eine freundliche Einstellung zu Welt und Menschen haben. Das erkenne ich bei den hier Zitierten und den Integralen an. Wenn wir zu dieser Freundlichkeit kommen, ist es letztenendes egal, wie sie zustandekam. Aber mir reicht das nicht, wie die Jungfrau zum Kinde zu kommen, für mich kann und muß sich die Freundlichkeit aus dem Logos ergeben, aus dessen zirkulärer Selbsterschaffung.
Wenn ich ernsthaft antworten darf, dann habe ich den Eindruck, dass Du in dem Moment aus dem Diskurs aussteigst, wenn Du meinst es sei zu kompliziert und dann anderen sagst, sie hätten eben nicht verstanden, worum es geht. Das ist aber eine Immunisierung gegen Kritik, übrigens eine, die Wilber selbst anprangert.
Es geht dabei nicht darum, wer recht hat, sondern darum, ob man nachvollziehen kann, was der andere meint. Das hat man, wenn man den Punkt, den der andere kritisiert, mit eigenen Worten wiedergeben kann, so dass der andere sich darin wiederfindet, was er Dir bestätigen wird. Hat man das verstanden, kann und muss sich natürlich weiterhin jeder selbst entscheiden, was er plausibler findet.
Auch wenn man sagt, hier oder da sei ein Punkt, bei dem oder über den man nicht mehr reden könne, sondern wo man praktizieren müsse, muss man klar machen, warum dieser Punkt hier ist und trotz allem müssen die Erfahrungen, die man mitbringt ja auch wieder diskursiv eingeordnet werden.
Selbst wenn man sagt, das sei etwas, was man niemals erzählen kann, sondern erleben muss, muss klar gemacht werden, warum das so ist und darf sich kritische Stimmen nicht mit einer unpassenden „dann bist Du eben noch nicht sio weit“ Geste vom Leib halten, die auch in spirituellen Kategorien betrachtet falsch ist. Was war denn der Grund, warum aus dem Hinayana-Buddhismus der Mahayana hervor ging? In den unendlichen Weiten von Wilbers EKL Fußnoten findest Du die Antwort. Was ist denn mit der Einheit, wenn sich die Erleuchtete vom unerleuchteten Rest separiert?
„In meinem Sprachgebrauch ist Beobachten die bewußte und gelenkte Wahrnehmung. Reflexion ist die Eigenwahrnehmung des Denkens.“
Okay, bei mir auch.
„Was Beobachten ohne kognitive Bearbeitung und ohne die Filterung und Synthesierung der Sinneseindrücke sein soll, womöglich außerhalb des Bewußtseins, mit dann doch notwendigem zusätzlichem Sinnesorgan für die unmittelbare Wahrnehmung, ist mir unverständlich.“
Nicht außerhalb des Bewusstseins, sondern sehr bewusst, mit ihm, durch es, was weiß ich. Es geht einfach darum, alle auftretenden Impulse wahrzuehmen und ihnen dann nicht mehr zu folgen, sie sozusagen von selbst austrudeln zu lassen. Dabei stört zunächst, aber nur kurz der Körper massiv, der Endgegner sind aber die Gedanken, die einen immer und immer wieder entführen. Wird sind es gewohnt unablässig zu denken und es geht nicht um ein totales ausschalten der Gedanken, sondern um eine vollkommen passive Beobachtung derselben.
Bei einigen Meditationspraktiken wird gezählt, synchronisiert mit dem Atem, von 1 bis 10 und dann wieder bei 1 beginnend. Das und die Korrektur der Position/Haltung dient im Grunde nur dazu bewusst zu bleiben, es geht gerade nicht ums Dämmern oder Dösen (ein häufiges Missverständnis) und dabei merkt man, wie oft man sich anfansg verzählt, also bei 18 und dann haben einen die eigenen Gedanken entführt.
Man stürzt sich, gerade wenn außen nichts passiert, auf jeden Gedanken, den man nur kriegen kann und es braucht Zeit und Übung, bis man eine halbe Stunde durchzählen kann, ohne sich zu verhauen, auszusetzen, einzudösen, zu weit zu zählen und bei all dem denkt man noch immer, man bemerkt es nur früher und lernt die Gedanken wirklich nur zu beobachten.
Aber anders als in der Reflexion, geht es nicht darum, Schritte zurück zu machen und sich zu überlegen, wie man eigentlich darauf kommt, x anzunehmen, sondern überhaupt nicht zu überlegen. Die Nase juckt auch dabei, man fühlt auch weiterhin Trauer oder Lust und die Gedanken kommen und gehen, aber zugleich stärkt man eine Instanz, die das alles bezeugt, ohne sich darauf einzulassen oder zu verwickeln. Man beobachtet alles, wie es entsteht und vergeht.
„Der Glaube an ein Unmittelbares, Immaterielles ist mir nicht nachvollziehbar. Und das sehe ich doch richtig, es hat keine materielle Basis, oder?“
Ich denke, es gibt da mehrere Varianten, je nachdem, was man aus den Erfahrungen abzuleiten bereit ist. Ich würde die Reingeistigkeit jedenfalls mitdenken und versuchen, bis an ihre Schwachstellen zu treiben, so wie ich es umgekehrt ja auch mache. Warum ich denke, dass wir in vielem anders ansetzen müssen, ist ja gerade, dass keine Version mehr so richtig überzeugt, (zumindest mich) auch die materialistische nicht.
„Ein Aspekt des Denkens als Sinneswahrnehmung, die Reflexion als ein die Eigenwahrnehmung des Denkens enthaltendes Moment habe ich bereits erwähnt (das entspricht vielleicht Markus Gabriel).“
Wenn ich Gabriel da richtig verstanden habe, meint er eher, dass es neben den Welten, die mit den Augen abgetastet werden können, auch noch echte eigene Welten gibt, die mit den Gedanken abgetastet werden, die er aber als ontologischer Pluralist, als real und primär ansieht und nicht als irgendwie ontologisch nachgeordnet. #Da ist dann die von Zorn gestellte Gegenfrage aber relevant, warum wir uns auf eine ontologische Position versteifen sollten, die bei Licht betrachtet nur eine Behauptung ist. Wenn man nicht versteht, dass es eine Behauptung ist, ist das eben der Punkt, der bearbeitet werden muss. Einfach zu sagen, es gäbe aber nun doch Pferde, Autos oder Atome, unterläuft, was gemeint ist.
Damit Du das einordnen kannst, ich sage das aus der Position eines Gegners des radikalen Konstruktivismus (Luhmann stellt eine Ausnahme da, weil er letztlich Materialist ist), der sich ontologisch enthaltsam gibt, ohne dies durchhalten zu können.
„Die subjektiven Erlebnisse bestreite ich nicht, nur frage ich, was berechtigt, der Selbstdeutung eine objektive Bedeutung beizumessen?“
Die Objektivität bekommst Du ja über den Austausch der Erfahrungen rein, aber zu diesem Austausch gehört eben auch die Anerkennung einer subjektiven Wucht, die diese Praktiken auslösen, so wie man in der Regel eben auch einen Stromschlag in besonderer Erinnerung behält. Ich bin vollkommen einverstanden damit, da erst mal funktionalistisch dran zu gehen aber auch das löst eben Fragen die Natur von all dat aus.
„Das sage ich auch. Schon die meisten höher entwickelten Tiere haben eine sehr soziale Lebensweise“ …
Interessant, dass Sie auf diesen Punkt hinweisen. Bei der Beschäftigung mit dieser Thematik stößt man auf sehr interessante Berichte. Zum Beispiel weist der bekannte Primatologe und Verhaltensforscher, Frans de Waal, im Zusammenhang mit „uneigennütziger“ (zum Teil äußerst riskanter) Hilfe in Notsituationen darauf hin, dass sich viele Lebewesen im richtigen Moment solidarisch und kooperativ verhalten. Innerhalb einer Art – bei Menschen innerhalb einer ihnen bekannten Gruppe – trifft man auf dieses Phänomen am häufigsten. Aber auch artfremden Tieren bzw. nicht zu der jeweiligen Gruppe gehörenden Menschen kann diese Form der Notfallhilfe widerfahren. Vor allem Säugetiere können von sich aus den Impuls haben, auch artfremden jungen Tieren wie auch Kleinkindern zu Hilfe zu kommen. Solche Beispiele sind allgemein bekannt. Aber auch Erwachsene haben in Notsituationen schon die Hilfe von Tieren erfahren, zum Beispiel von Delfinen. Umgekehrt lassen zahlreiche Menschen nichts unversucht, um in Not geratenen Tieren zu helfen. Diese Form von Solidarität ist offensichtlich bereits tief in „uns Tieren“ verankert.
Viel zu lange haben wir Menschen Tiere als völlig dumm und gefühllos verkauft!
w.endemann: "Diese goldene Regel gilt nicht in der Natur."
Insel-Banker: „Wurde das behauptet?“
Korrektur: Ich kannte den Wikipedia-Eintrag (s. Link von @Nil, s. u.) bis dahin nicht.
„Wenn wir aber (z. B. aufgrund außersinnlicher Erleuchtungserlebnisse, wie Russell sie erfuhr und auch vielen anderen zugestand) um die eigentliche Struktur des Universums und die in ihm geltenden Regeln vom ausgewogenen Austausch (Geben kontra Zurückgeben, Goldene Regel) wissen, können wir durch entsprechendes Handeln Beliebiges erreichen.“ (Wikipedia, Walter Russell)
Ohne Russel genauer zu kennen, erkenne ich deutliche Parallelen zum Taoismus. Dass es demnach einen „ausgewogenen Austausch“ gibt ist völlig nachvollziehbar. Den Begriff der „Goldenen Regel“ in diesem Zusammenhang zu benutzen, halte ich nicht erst aus heutiger Sicht für grundverkehrt.
1) Um das Folgende zumindest einmal kurz denken zu können, braucht es ein Loslösen von der völlig seltsamen, durch die monotheistischen Religionen (unterschiedlich) geprägten Sicht von „Gut“ und „Böse“ (oder so ähnlich). Obwohl man von einem allgegenwärtigen Gott ausgeht, will man ihm das Böse dann doch nicht in die Schuhe schieben und kreiert so etwas wie die Existenz des Bösen (z. B. des Teufels). Aus taoistischer Sicht zum Beispiel existiert so etwas überhaupt nicht. Alles, was im Universum geschieht, auch fressen und gefressen werden (Geburt und Tod, Gesundheit und Krankheit, Jugend und Alter …), ist gleichwertiger Teil eines äußerst dynamischen harmonischen Ganzen, eines ausgewogenen Austauschs (laut Russel). Es ist der Mensch, der die Kategorien „gut“ und „schlecht“ einführt. Sie wohnen dem Universum in keiner Weise inne!
Herausforderndes Beispiel (besonders nichts für Atheisten): Wenn ein jüngerer bzw. „zu junger“ Mensch stirbt, ist das nicht nur für Angehörige und Bekannte, sondern nicht selten auch für den zur Hilfe gerufenen Arzt oder Pfarrer etwas völlig Unverständliches und nicht Akzeptables. Aber, ohne wirklich zu wissen, ob es eine andere Seite gibt und wie diese dann aussehen mag, ohne jedwede verkitschten Todesvorstellungen, kann ich als Mensch, der zumindest über eine Ahnung verfügt, dass es mehr als nur die uns bekannte Realität gibt, neben der Trauer so etwas wie Vertrauen entwickeln, dass selbst im völlig sinnlos erscheinenden Tod so etwas wie einen höheren Sinn (harmonisches Ganzes) geben kann. Ich kann meine Trauer durch dieses Vertrauen und diese Hoffnung viel leichter in Liebe zum Verstorbenen überführen. Nach dem Motto: „Geh Deinen Weg, ich bin im Herzen bei Dir“. Ich vermag selber nicht darüber zu urteilen, was für Dich „gut“ und „falsch“ ist. Neben dem persönlich erfahrenem Verlust (= völlig nachvollziehbare Trauer) könnte auch so etwas wie ein „Urvertrauen“ zur Geltung kommen, ohne damit auch nur irgendetwas schönreden zu wollen. Wie gesagt, es geht mir in keiner Weise um irgendwelche verkitschten Jenseitsvorstellungen! Allerdings stellt sich aus dieser „universalen Perspektive“ der so genannte „Skandal des Todes“ als „Skandal des begrenzten menschlichen Denkens“ dar.
2) Die Goldene Regel hat mit dieser „universalen Harmonie“ nur in Ansätzen etwas zu tun. Die Entscheidung zur Goldenen Regel bedeutet die Anerkennung der Notwendigkeit von Gemeinschaft und Kooperation wie auch der prinzipiellen Gleichwertigkeit ihrer Mitglieder und den Versuch Miteinander klug und fruchtbar zu gestalten.
▪ „Positive“ Formulierung: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihr ihnen ebenso.“ (Jesus von Nazareth, Mt 7,12; Lk 6,3 1)
▪ „Negative“ Formulierung: „Was du selbst nicht wünschst, das tue auch nicht anderen Menschen an“. (Konfuzius, ca. 551-489 v. Chr., Gespräche 15, 23)
Die Frage, die sich sofort auftut, ist die Frage, ob mein Handeln tatsächlich (eins zu eins) stets von meinen eigenen Vorlieben bzw. Abneigungen abhängt.
Das kann es nicht, weil dies zu äußerst seltsamen Situationen führen würde, denn Bedürfnisse und „Geschmäcker“ sind bekanntlich verschieden. Deshalb ist es unverzichtbar, den „Geist“ der Goldenen Regel zu verstehen: Behandle andere so, dass sie zufrieden sein können, wie auch sie dich so behandeln sollen, dass du zufrieden bist! Behandle andere nicht so, dass sie unzufrieden sind, wie auch sie dich nicht so behandeln sollen, dass du unzufrieden bist!
Beispielsweise stellt man auf den Frühstückstisch deshalb nicht nur die von einem selber bevorzugte Erdbeermarmelade, sondern auch den vom Tischpartner bevorzugten Honig. So einfach ist das.
Wer nach der Goldenen Regel lebt, darf nicht nur seinen eigenen Standpunkt und seine eigenen Bedürfnisse sehen, sondern er muss auch die Perspektive des anderen und dessen Bedürfnisse berücksichtigen. Es braucht also Intelligenz und Empathie. Beide sind unverzichtbar. Als Handlungsprinzip für das Zusammenwirken von Menschen beruht die Goldene Regel grundsätzlich auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit (z. B. geben und empfangen). Allerdings übersteigt sie bei Weitem dessen teilweise starre „Reiz-Reaktions-Vorgehensweise“ – z. B. schlägst Du mich, dann schlag ich Dich – durch intelligentes und empathisches Verhalten.
▪ Nicht zur goldenen Regel zählt das Gebot der Nächstenliebe: „Liebe Deinen nächsten, wie Dich selbst. Aus theologischer Sicht geht es übrigens nicht darum, dass ich den anderen nur genau so stark wie mich selber liebe, denn das „wie Dich“ wird in der Bedeutung von „und auch“ benutzt: „Liebe Deinen Nächsten und auch Dich selber.
Dann aber tut sich sofort die Frage nach dem Maß dieser Liebe auf. Die Theologen beantworten das mit der Liebe Gottes (nicht mit der Liebe zu Gott). Der Mensch soll sich an der unbegrenzten Liebe Gottes zumindest orientieren.
In der Lebenspraxis ist die Befolgung der Goldenen Regel wesentlich natürlicher und dem gesunden Menschenverstand nichts Fremdes. Die Theorie dagegen ist viel verzwickter.
Bei meiner aktualisierten Formulierung der Goldenen Regel (s. o.) habe ich die verschiedenen Aspekte berücksichtigt und im Interesse all der nicht-religösen Menschen den einfacher zu akzeptierenden Begriff der „Achtung“ übernommen. Gegenseitige Achtung braucht nicht zwangsläufig als Maßstab den inhaltlich definierten Rückgriff auf sich selber. „Öffne Dich der ganzen Wirklichkeit“ ist ein Aufruf zur Vielsichtigkeit, die gleichermaßen das Nicht-Spirituelle und das Spirituelle umfasst. Die Natur ist gleichberechtigtes „Objekt“ der Achtung. Und der letzte Satz, „Versuche die Liebe in Dir zu entdecken!“, ist quasi ein praxisorientiertes Extrakt spiritueller Erkenntnisse („Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe.“ – 1 Joh. 4,8)
Die Goldene Regel hat also mit der dynamischen Harmonie des Universums nicht automatisch etwas zu tun. Sie kann natürlich durch diese inspiriert sein. Sie ist die kluge Antwort der Menschen auf ein sinnvolles und vor allem ein fruchtbares Miteinander. Es ist jetzt an der Zeit, sich daran zu erinnern. Insofern ist die von @Nil verlinkte Russel-Stelle eine Art Juwel.
Vielen Dank für Ihre Ausführungen, die ich teile. Ich freue mich, dass es einen Menschen gibt, wie Sie, der einen Juwel als solchen erkennt, wenn es ihm begegnet :-) Walter Russell ist ein sehr außergewöhnlicher Mensch gewesen und seiner Zeit voraus oder auch zeitfrei. Sein Fernstudienkurs Kosmisches Bewusstsein habe ich mal vor einigen Jahren einmal durchgearbeitet. Das ist erhellend genial. Werde ich mir bei Zeiten wieder vornehmen.
W.endemann sagte, dass ihm solche Menschen wie Walter Russel oder Integralen, symphatisch sind. Auch darüber habe ich mich gefreut. Und Moorleiche mag ich auch gerne, auch wenn er denkt, dass es nicht so sei.....
s.o.
Vielen Dank für "die Blumen"!
Interessanter Fernkurs: "Kosmisches Bewusstsein"!
Off Topic: wegen detlefson:
Man kann heute schon in maeuseversuchen neurologisch nachweisen das traumata weitervererbt werden.
ein guter fall:
eine frau rennt bei bombenalarm in dresden 1944 oder so unter die bruecke weil die sirenen angeganegen sind. sie ist schwanger. 15 jahre spaeter hoert der damals noch ungeborene sohn bei einer uebung die sirenen im dorf. er rennt, ohne zu wissen warum, unter eine bruecke...
quelle: eine tante, traumatologin mit 30 jahren berufserfahrung und macht EMDR
besten gruss biene
Da kommt ständig Neues oder vermeintlich Neues raus. EMDR ist wirksam, aber anders als man dachte, haben die Augenbewegungen nahezu keinen Effekt. Da sie ein schönes Ritual sind, kann man es dennoch dabei belassen, aber der wesentliche Effekt beim EMDR ist die nochmalige Konfrontation mit dem als traumatisch erlebten Geschehen, entweder zuerst in einem durch einen Psychotherapeuten geschützten Raum, dann mit Abstand und Übung, durch eigene Imagination.
Es gibt aber gerade auch in der Psychotherapie 1000 Theorien, was alles z.B. genetisch weiter gegeben wird, oder durch Familiengeheimnisse, welche Relevanz das System Familie hat oder die Kommunikation, dann doch wieder die Konfrontation, dann die Eltern ... und jedesmal kann man das alles als irgendwie plausibel nachvolluziehen und das ist noch die leichte Variante.
Die komplizierte ist, das Studien, die allaufklärenden, oft auch weniger Besserung bringen, als man annehmen sollte, ein Effekt ist, dass Studien oft weniger neutral sind, als ihre Theoretiker und Praktiker annehmen, aber hier wird es dann wirklich zu fisselig. Und das geht bis in die großen Manuale des DSM oder ICD, die allerdings durch Kritik auch besser werden.
Oft tobt aber hinter den Kulissen ein Kampf und die Zuordnung mancher Erkrankungen zu meinetwegen affektiven Störungen, hat manchmal damit zu tun, dass man sich um Forschungsgelder streitet, die man dann bekommt, wenn man relevante Störungen für sich reklamieren kann, manche Kämpfe sind ideologischer Art, manche Erkrankungen werden einfach erfunden, um ein besitmmtes theoretisches System vollständig zu kriegen usw.
D.h. es gibt natürlich ein Gefälle zwischen Laien und Profis, aber zu unkritisch sollte man hier nicht sein. Dazu kommen allerlei methodische Kriterien, etwa die Größe von Studien, die (statistische) Regression zur Mitte (zum Mittelwert), so wie Fragen der Vermittlung/Popularisierung von Ergebnissen.
So und dann kommt noch das, was Du schreibst, es gibt Erfahrungen von Praktikern, gerade auch Traumatologen gehören dazu, die eigentlich nicht erklärt werden können. Gerade auch das Familienstellen, das nicht nur von Hellinger praktiziert wird, bringt Geheimnisse ans Licht, die ziemlich unerklärlich sind und das ist nicht das Ende der Fahnenstange.
Sehr fundierte Antwort, Danke.
Hier noch eine kleine boese Anmerkung meiner kleinen wenigkeit, interdizplinaer kommt da noch einiges, ich habe beruflich viel mit Antropologie zu tun, nicht wissenschaftlich, aber ich muss das Zeuch lesen:
"Gerade auch das Familienstellen, das nicht nur von Hellinger praktiziert wird, bringt Geheimnisse ans Licht, die ziemlich unerklärlich sind und das ist nicht das Ende der Fahnenstange."
Schon vor 70000 Jahren musste sich der Neandertaler und oder Mensch als Sammler und Jaeger Abends aus Langeweile den Himmel anglotzen weil er keinen TV hatte.
"Was machen wir hier? wo kommen wir her?" und so weiter und so fort. Der stellte sich die gleichen Fragen wie der gemeine Freitagsschreiber 2020, mit Kindern, ohne Kinder, mit dysfunkionaler familiaerer Vorgeschichte, mit perfekter Kindheit usw. usw. usw.
Wir kommen hoffentlich nie an das Ende der Fahnenstange, weil, dann kommt entaeuschend heraus: "Was machen wir hier? Wo kommen wir her?" usw. usw. usw.
und stellen dann fest: "Nix, wir sind einfach nur da, einen Sinn ergibt das nicht", vielleicht sind einige krankheiten von menschen mit erhoehter sensibilitaet nur damit verbunden dass man sich unterbewusst dessen klar ist. also noch ein Coronabier aufmachen, besten Gruss
;-)
"Nix, wir sind einfach nur da, einen Sinn ergibt das konicht"
Ja, das ist konsequent gedacht, als Folge unserer Sicht. Ein (oder Myriaden) ins Kalte expandiere Welträume, mit vereinzelten Spuren von Leben, noch vereinzelteren Spuren von Bewusstsein und in manchen spielen sich dann Prozesse ab, die all dem einen Sinn zuschreiben wollen, weil wir das irgendwie auf der Benutzeroberfläche glauben.
Ich glaube da nicht mehr dran, ohne das jetzt auszuführen. Die Geschichte von der Materie her zu erzählen, erscheint mir fragwürdig, aber das ist spekulativ.
Interessanter finde ich, zu betrachten, was sich eigentlich ändern würde, wenn man an gewissen Stellschrauben dreht. Wenn man an das Konstrukt des Naturalismus nicht glaubt, was hieße das eigentlich? Würde meine Lieblingsmusik nicht mehr existieren, müsste der Englischunterricht anders aussehen oder die Straßenführung? Nö.
Allerdings hört es oft schnell mit den Alternativen auf. Man kennt allenfalls noch (wenn man sie kennt) die wissenschaftliche Welt und als große Alternative irgendwas mit Religion, da wird dann alles in einen Sack gesteckt. Da muss man Habermas loben, der bei seiner jüngsten Philosophiegeschichte noch mal vieles anders erzählt.
Gut, dann gehen wir in den transzenten Bereich:
Ich habe ja auch schon ein bisserl was gesehen, Schamanen und so, ganz andere Religionen etc., die "sehen" dass der Baum oder der Stein lebt, das ist "deren" kulturelle Konstruktion, das heisst aber nicht das ich im Recht bin, vielleicht haben die ja Recht?
Habermas wurde in den 1970ern niedergemacht, jetzt wieder in seinem Spaetwerk hochgelobt. Zu unrecht finde ich, nicht dass der doof ist, der weiss schon viel, aber ich denke er sich in seinem Leben zu wenig mit anderen Kulturen beschaeftigt hat.
Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod, das ist unlogisch dass es dann zu Ende ist, ich werde wahrscheinlich als Kackerlake wiedergeboren, im besten Fall als wundersames Tier in einer fremden Galaxie, hoffentlich gibt es da auch Coronabier
;)
Transzendenten :(
Man weiß nicht, wer recht hat, aber schlimmer: Man weiß im Grunde nicht mal so genau, was es eigentlich heißt, dass jemand recht hat. Im Grunde heißt es nicht mehr, als dass bestimmte Prämissen logisch folgerichtig verknüpft werden, idealerweise mit Bezug zur empirischen Praxis. Besser wenn das klappt, als wenn nicht, nur heißt das noch nicht allzu viel.
Habermas kennt seine Lücken da selbst und gesteht sie gleich im Vorwort auch ein, aber seine 'begrenzte Sicht' zu haben, ist schon ein erheblicher Gewinn. (Es ist für mich ein besonderes Gefühl, das Buch zu lesen, weil es an unheimlich viel anknüpft, womit ich mich ohnehin schon ewig beschäftige, darunter tatsächlich auch der Dethlefsenkram. Rituale, Mythen, all das war ja Dethlefsens Ressort, all dem wieder zu begegnen, es noch einmal eingeordnet zu bekommen, das hat für mich was Erhebendes.)
Habermas gehört aber zu denen, die eine Sache (in dem Fall die abendländische Philosophie) weiter und bis an ein Ende treiben, das finde ich super. Viele brechen zu schnell ab und mischen dann alle möglichen Weltbilder, was dann schön klingt, aber nichts her macht. Man muss vieles erst mal zu Ende denken und dann kann man vergleichen.
Was machst Du denn, dass Du so viel rum kommst, oder ist das zu indiskret?
Das geht hier nicht, aber Frage mal Pfleifel, Gebe, Zietz, Groethues wenn du die Telnummer von denen hast, die kennen mich persoenlich und wissen das und haben bei Moorleiche mein Einverstaendnis, ansonsten mache einen Bloedaccount auf:
doof@yahoohotmail.com oder so, dann schreibe ich es dir.
Und den neuen Habermas muss ich dann wohl doch noch mal durchfummeln :(
Ich kenne hier niemanden persönlich, habe auch keine mail Kontakte nebenher, bin aber auch nicht so übermäßig neugierig, was Privates angeht, also passt schon.
Mich interessiert eher die Möglichkeit zum Austausch und der ist mit Dir sehr angenehm, da bin ich schon mal happy.
Viele hier sind aktuell, auch in normalen Zeiten, völlig am Anschlag, das ist schon etwas seltsam.