Wie nach einem Krieg

Griechenland Die Regierung Tsipras könnte bald dem Troika-Regime entkommen und beginnen, sich um das eigene politische Überleben zu kümmern
Ausgabe 02/2018
Übrig bleiben beim Brain Drain eher ältere Semester
Übrig bleiben beim Brain Drain eher ältere Semester

Foto: Panayotis Tzamaros/Nurphoto/Getty Images

Kurz vor dem Jahreswechsel hat das griechische Parlament den Haushalt für 2018 angenommen – mit 153 gegen 144 Stimmen. Ein Erfolg für Premier Alexis Tsipras, der in der Debatte wieder und wieder beteuerte, dies werde der letzte Haushalt unter dem Joch der Hilfsprogramme. Das Wirtschaftswachstum werde im kommenden Jahr 2,5 Prozent erreichen, mehr als genug, um dem Auslaufen des aktuellen Stützungsprogramms im August 2018 mit Zuversicht entgegenzusehen und einen Teil der Kredite aus dem laufenden ESM-Fonds (86 Milliarden Euro) nicht mehr abrufen zu müssen. Diese 28 Milliarden Euro ließen sich für eine Umschuldung einsetzen, um kurzfristige, relativ hoch verzinste Anleihen des Internationalen Währungsfonds (IWF) durch die langfristigen und niedrig verzinsten ESM-Anleihen zu ersetzen. Dies wäre eine merkliche Schuldenerleichterung für Griechenland, mit der die Troika wohl leben könnte. Schließlich haben die Gläubigerstaaten auf Druck des IWF versprochen, die Last der Verbindlichkeiten zu mindern.

Finanzminister Efklidis Tsakalotos konnte beim Haushalt im Vorjahr einen Primärüberschuss von 1,2 Milliarden Euro verbuchen, der über den Vorgaben der Troika lag. Freilich rief es bei der heftigen Widerspruch hervor, als die Regierung Tsipras Mitte Dezember einen Teil dieses Überschusses an 3,4 Millionen besonders bedürftige Griechen als einmalige, steuerfreie „soziale Dividende“ auszahlen ließ: im Schnitt nur 211 Euro pro Person, denn 36 Prozent der Griechen gelten momentan als arm. Auch für darbende Rentner gab es eine Sonderzahlung, die sich auf 315 Millionen Euro summierte.

Umso mehr muss Tsipras weitere „Reformen“ abarbeiten, wie von den ökonomischen Genies der Troika verlangt. Zum 15. Mal seit 2010 sind in Griechenland zu Jahresbeginn die Pensionen gekürzt worden. Dazu stieg die Mehrwertsteuer auch für touristische Leistungen auf den kleinen Ägäis-Inseln – von 17 auf 24 Prozent. Hotelübernachtungen sollen bald noch einmal teurer werden, je nach Kategorie zwischen einem und vier Euro pro Nacht. Ohnehin laufen die für das Land besonders absurden Privatisierungen (etwa der Häfen) weiter. Daran ist nicht zu rütteln, behalten sich doch die Euro-Finanzminister das Junktim vor, von der verfügbaren Kreditsumme nur auszuzahlen, was sie nach dem Fortgang der „Reformen“ für geboten halten. Die derzeit laufende Evaluierung scheint jedoch über Gebühr günstig zu verlaufen, sodass Athen demnächst mit 18 Milliarden Euro rechnen darf.

Wenn nun im Sommer noch eine Ausfahrt aus dem Schuldentunnel gefunden wird, hat Syriza eine reale Chance, bei den Wahlen im September 2019 politisch zu überleben. Es würde wieder eine Sozialpolitik in Aussicht stehen, die den Opfern jahrelanger Spardiktate zugutekäme. Zumindest konnte der griechische Staat im Juli 2017 erstmals seit Jahren wieder eine Anleihe für drei Milliarden Euro an de Finanzmärkten zeichnen, deren Verzinsung von 4,6 Prozent bei fünfjähriger Laufzeit erträglich scheint. Prompt reagierten Ratingagenturen wie Fitch, um Griechenland auf die Bonitätsnote „B minus“ hochzustufen. Doch wird sich auch bei einer vollständigen Rückkehr an die Finanzmärkte an der Abhängigkeit von Investoren nichts ändern. Nur darf man sich wieder zu marktüblichen Konditionen verschulden. Kein privater Fonds und keine Bank werden einer griechischen Regierung wieder so gezielt ins Handwerk pfuschen können, wie es die Troika acht Jahre lang getan hat.

Zum Glück ist der Kelch eines nassforschen und ökonomisch ahnungslosen deutschen Finanzministers Christian Lindner an den Griechen vorübergegangen. Die Anleihemärkte hätten auf einen verschärften Kurs in der Griechenland-Politik, wie ihn die FDP für eine Jamaika-Koalition in Aussicht gestellt hatte, wohl mit Risikoaufschlägen reagiert. Nun aber kann Athen weiter auf die vereinbarten Schuldenerleichterungen durch Streckung der Laufzeiten für seine Anleihen und ein Aussetzen der Zinszahlungen rechnen. Nur dank dieser De-facto-Subventionierung des Schuldendienstes durch die Partnerländer – allem deutschen Zähneknirschen zum Trotz – kann das Land die Last einer Gesamtschuld von 180 Prozent des Bruttoinlandsproduktes tragen (vor Ausbruch der Krise 2010 lag dieser Wert bei 65 Prozent); nur zwei Prozent der Wirtschaftsleistung fließen derzeit in die Tilgung.

Bankenrettung über alles

Wenn das Kreditprogramm der Euroländer tatsächlich ausläuft, werden das die Austerianer als ihren Erfolg feiern. Seht her, Austerität wirkt – eine glatte Lüge. Weder im Fall Portugal noch dem Griechenlands hat exzessive Sparpolitik nach deutscher Vorgabe anderes als Elend und Niedergang beschert. Die Syriza-Regierung konnte im Unterschied zum Mitte-links-Kabinett in Lissabon keinen Kurswechsel vornehmen, doch kam ihr der leichte Aufschwung in der Eurozone wie der gesamten EU (2017: plus 2,5 Prozent beim BIP) ebenso zupass wie eine deutliche Erholung des Fremdenverkehrs, durch den 2017 gut 26 Prozent mehr an Einnahmen erzielt wurden als im Vorjahr, allein die Zahl deutscher Touristen stieg um 15 Prozent. Eine der Folgen: Die Arbeitslosenquote sank von über 27 auf 21 Prozent, was sich möglicherweise 2018 fortsetzt und zur Trendwende führen könnte.

Auch wenn die griechische Ökonomie nach Schätzungen des Finanzministeriums in Athen 2018 deutlich wächst und 2019 nochmals ein Plus von 2,0 bis 2,5 Prozent hinzukäme, wären die von der Austeritätspolitik angerichteten Schäden nicht behoben. Kein anderes EU-Land hat mit der Eurokrise ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung verloren, wie das sonst nur durch einen Krieg geschieht. Nirgends haben Arbeitslosigkeit und Armut ein solches Ausmaß erreicht, sind die Sozialsysteme dermaßen beschädigt worden. Kein anderes Land in der EU hat so viele junge, hoch qualifizierte Bürger verloren. Im zurückliegenden Jahrzehnt dürften fast eine halbe Million Griechen ausgewandert sein, überwiegend ins EU-Ausland. Ein Braindrain sondergleichen für ein Land mit etwas mehr als elf Millionen Einwohnern. Das Griechenland-Drama hat neue Maßstäbe für ökonomische Katastrophen gesetzt.

Trotz der enormen Lasten, die ihnen aufgebürdet wurden, stehen die Griechen in ihrer großen Mehrheit zur EU und zu Europa. Jeder wusste, was der unsägliche Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem schließlich zugab: Bei der Griechenland-Hilfe ging es vorrangig darum, deutsche, französische und andere europäische Banken zu retten, die sich mit griechischen Staatspapieren verzockt hatten. Nachdem das geschafft war, ging es weiter mit der knallharten Austeritätspolitik gegenüber dem Schuldner. Letztlich mussten Hardliner in der Eurogruppe wie der langjährige deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble nachgeben und weitgehende Schuldennachlässe einräumen. Was man früher hätte tun können, wäre es beim Umgang mit Griechenland wie der Eurozone nicht um das Durchdrücken des deutschen Modells von Wirtschafts- und Finanzpolitik gegangen. Alle sollten begreifen, dass dem Fetisch Haushaltsdisziplin gedient ist, wenn an Griechenland ein Exempel statuiert wird. Vor allem die wankelmütigen Franzosen sollten verinnerlichen, den Euro gibt es nur zu einem in Berlin festgelegten Regelwerk. Wer zu viele Schulden macht, wer zu hohe Defizite einfährt, der muss büßen.

Wenn allerdings die deutsche Exportökonomie in Krisennöte gerät, dann werden die Regeln flugs außer Kraft gesetzt. Als die Bundesrepublik vor 15 Jahren mehr Schulden machte, als nach dem Stabilitätspakt zulässig waren, wurde der so umgeschrieben, dass unter bestimmten Umständen eine höhere Kreditaufnahme erlaubt war. Will heißen: Eine Reform der Eurozone, von der gerade so viel die Rede ist, muss damit beginnen, einer deutschen Dominanz in der Eurozone klare Grenzen zu setzen.

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