Setzt Keith Bill sich vor den Bildschirm, dann bindet er sich, bindet er sich ein rotes Stirnband um. Dann sieht er zwar noch immer nicht aus wie ein Samurai, aber er fühlt sich ein wenig wie ein solcher: wie ein Krieger mit einer Mission. Vielleicht auch ein wenig wie Rambo, der wilde Rebell gegen die Autoritäten. Gleichzeitig weiß Gill natürlich, dass es sich bloß um eine Verkleidung handelt und er nur eine Rolle spielt. Sobald die Webcam läuft, schlüpft er schnell noch in das lustige Katzen-T-Shirt – und schon liefert „Roaring Kitty“ auf seinem Reddit-Kanal in lockerem Plauderton aktuelle Börsentipps. Immerhin hat er statt der nackten Kellerwand als Hintergrund ein beeindruckendes Finanzportfolio. Besonders auffällig wird di
die Maskerade aber erst, wenn Gill später in Anzug und Krawatte vor seiner Kamera sitzt. Dann muss er nämlich dem US-Kongress ein paar Fragen zu seiner Anlageberatung beantworten.Paul Dano spielt diesen Nerd, der im Januar 2021 eine Lawine an der US-Börse lostrat, als sympathischen Typen von nebenan. In Brockton, Massachusetts, ist nicht wirklich was los, schon gar nicht während der Covid-Pandemie. Der Job als Finanzberater einer Versicherung bringt nicht viel ein, und wenn er als begeisterter Hobbyläufer nicht gerade einen neuen persönlichen Rekord aufstellt, sind seine Frau (Shailene Woodley) und die kleine Tochter sein einziges Glück. Die Voraussetzungen für den Kampf David gegen Goliath passen also perfekt, als Gill sein gesamtes Erspartes in Aktien von GameStop investiert, einer maroden Handelskette für Unterhaltungssoftware, und seine Follower auffordert, es ihm gleichzutun. Er bindet sich das rote Stirnband um und erklärt den milliardenschweren Hedgefonds den Krieg.Craig Gillespies Dumb Money – Schnelles Geld basiert auf der Vorlage The Antisocial Network des auf Finanzkrimis spezialisierten Autors Ben Mezrich (sein The Accidental Billionaires verwandelte David Fincher in das Zuckerberg-Biopic The Social Network). Der Film erzählt die „wahre Geschichte“ von Keith Gill und ist sicher kein dummer, aber definitiv ein schneller Film.Atemlos sind gleich zu Beginn die Wall-Street-Finanzjongleure, wenn sie beim Chiropraktiker stöhnend oder auf dem Tennisplatz schnaufend die Nachricht erhalten, dass ein Underdog aus Massachusetts es gerade mit einer Art „Volksaktie“ geschafft habe, dass sie, die jahrelang gegen GameStop gewettet haben, schwere Verluste einfahren.Die Wölfe von der Wall StreetDie Reaktionen der – nur möglicherweise – maßlos überzeichneten Milliardäre Gabe Plotkin (Seth Rogen), Steve Cohen (Vincent D’Onofrio) und Ken Griffin (Nick Offerman) fallen erwartungsgemäß aus: zunächst ungläubig, dann immer aufgeregter und schließlich mit den Nerven fertig. Denn die Kleinanleger, die dem Youtuber glauben, dass die GameStop-Aktie unterbewertet sei, werden immer mehr; der Schneeballeffekt pusht den Kurs in ungeahnte Höhen und kostet die auf Kurseinbruch setzenden Hedgefonds-Manager immer mehr Milliarden. Gill selbst ist da schon Multimillionär – wenn er seine GameStop-Aktien verkaufen würde.Gillespie, durch Filme wie I, Tonya und Cruella für sein Regietalent zur Übertreibung bekannt, füllt die Leinwand bis zum letzten Quadratzentimeter mit knalligen Memes, rasant montierten Nachrichtenschnipseln oder mäßig lustigen Videos aus den Internetforen. Kaufen oder verkaufen? Und was macht „Roaring Kitty“? Die inszenierte Rastlosigkeit übt auch auf seine Figuren gewaltigen Druck aus. Und zwar nicht nur auf die paar oberen, sondern auch die vielen unteren Zehntausend, vertreten durch eine verschuldete Krankenschwester, ein texanisches Studentinnenpärchen und einen GameStop-Verkäufer, der von seinem Chef gegängelt wird. Sie repräsentieren die Gesichter einer gesichtslosen Menge, die einen aus den Fugen geratenen Wirtschaftsliberalismus das Fürchten lehrt. Behauptet zumindest dieser Film – und wirft damit Fragen auf, die er selbst nicht beantworten kann.Hat zehn Jahre nach Occupy Wall Street ein Youtuber tatsächlich die Spielregeln der Wall Street verändert? Nein. Hat allein die Pandemie, während deren eine Ladenkette für Videospiele geöffnet bleiben durfte, ein solches Szenario ermöglicht? Nein. Sind die Wölfe an der Wall Street noch gieriger geworden als vor der Finanzkrise? Nein. Spielen alle Faktoren in Kombination eine Rolle? Ja.In seiner Erklärung vor der Aufsichtsbehörde meinte Keith Gill, er habe mit seinem Know-how anderen helfen und vom Austausch selbst profitieren wollen. „Die Socia-Media-Plattformen sorgen für Chancengleichheit. Und in einem Quarantänejahr war der Austausch mit anderen Anlegern hier eine gute Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen. Wir hatten Spaß.“In dieser Hinsicht gelingt Gillespie eine Punktlandung. Dumb Money ist tatsächlich ein erbaulicher Unterhaltungsfilm, in dem man zwar sehr oft zu hören bekommt, dass „das System“ kaputt sei, der dieses selbst jedoch nicht infrage stellt. Sondern sich dafür interessiert, wer innerhalb dieses Systems zu welchem Preis spekuliert und warum. Und der zeigt, dass auch jemand im Katzen-Shirt schnell zum Buhmann werden kann, wenn das ihm geschenkte Vertrauen sich nicht in barer Münze niederschlägt.Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1