Zur Frage militärischer Unterstützung der Ukraine

Krieg in der Ukraine Welche unterschiedlichen Motive existieren für eine militärische Unterstützung der Ukraine? Und welche Implikationen ergeben sich hieraus für die Chance auf zukünftige Waffenstillstandsverhandungen?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Zwei Jahre nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist ein drastischer Wandel der deutschen Außenpolitik zu erkennen. Hatte Deutschlands Beitrag zur Verteidigung der Ukraine bei Kriegsbeginn noch aus der Lieferung von 5000 Helmen bestanden, entwickelte sich die deutsche Militärhilfe in den vergangenen beiden Jahren zu einer zentralen Säule der ukrainischen Landesverteidigung. Wenn auch nach langem Zögern, wurde letztendlich doch eine Vielzahl militärischen (Groß)Geräts aus deutschen Beständen an die Ukraine geliefert.[1] Heute liegt Deutschland damit hinter den USA auf Platz zwei der Unterstützerstaaten, was die Summe an Militärhilfe für die Ukraine betrifft.[2] In der deutschen Bevölkerung ist diesbezüglich jedoch eine zunehmende Skepsis zu beobachten, zeigt sich diese bezüglich der Frage weiterer Waffenlieferungen an die Ukraine gespalten. Dabei herrscht vor allem an den Rändern des politischen Spektrums überwiegend Ablehnung gegenüber weiterer Militärhilfe.[3] Der Bundeskanzler hingegen erklärte erst auf der Münchner Sicherheitskonferenz die breite, umfangreiche und langfristige Unterstützung der Ukraine.[4]

Bei der Debatte um weitere Waffenlieferungen werden von den Gegnern solcher immer wieder gesteigerte Bemühungen um Waffenstillstandsverhandlungen als Alternative zu einer weiteren militärischen Aufrüstung der Ukraine gefordert. Im Diskurs weitgehend unterbelichtet bleiben dabei jedoch die den jeweils vertretenen Positionen zu Grunde liegenden Motive, wobei gerade die Frage von Waffenstillstandsverhandlungen in entscheidender Weise von diesen abhängt. Im Folgenden werden deshalb die zentralen Motivlagen für die militärische Unterstützung der Ukraine (in Form von Waffenlieferung) gesichtet, um anschließend darzulegen, welche Konsequenzen sich hieraus für die Bemühungen um Waffenstillstandsverhandlungen ergeben.

Im Diskurs zur Unterstützung der Ukraine lassen sich grob drei Motivlagen unterscheiden. Eine erste Gruppe von Motiven lässt sich dabei als Sympathie für die Sache der Ukraine bezeichnen. Woraus diese dann im Einzelnen resultiert, kann unterschiedliche Gründe haben. Für manche ist hier von Bedeutung, dass Russland klar als Aggressor agiert, für andere ist es dessen deutliche militärische Überlegenheit, welche den Ausschlag für die Notwendigkeit militärischer Unterstützung für die Ukraine gibt. Wieder andere sehen die militärische Unterstützung durch den Umstand gerechtfertigt, dass die Ukraine nach dem Ende des Kalten Krieges, im Rahmen des Budapester Memorandums, seine Atomwaffen gegen Sicherheitsgarantien des Westens und Russlands abgegeben hatte, welche nun eingefordert werden. Weitere vorgebrachte Motive für die militärische Unterstützung der Ukraine bestehen wahlweise in ihrer demokratischer Verfasstheit sowie dem Willen zur Verteidigung dieser, dem Kampf für politische Selbstbestimmung, dem Erhalt der eigenen Identität und Kultur sowie dem Schutz der ukrainischen Zivilbevölkerung vor russischen Übergriffen.

Eine andere Gruppe von Motiven stellt hingegen deutsche Sicherheitsinteressen in den Fokus. Für die militärische Unterstützung der Ukraine wird hier mit dem Ziel argumentiert, Russland entscheidend zu schwächen, was im Ergebnis dazu führe, zukünftiger russischer Aggression gegenüber NATO-Staaten in Osteuropa vorzubeugen. Einer solchen Argumentation folgend stoppe eine Niederlage Russlands in der Ukraine die russische Expansionspolitik, wohingegen ein russischer Sieg in weiteren russischen Gebietsansprüchen in Osteuropa resultiere. Durch den Erhalt einer freien, unabhängigen und wehrfähigen Ukraine könne Russland ohne eigene Verluste somit auf Abstand zur NATO gehalten und dabei gleichzeitig entscheidend geschwächt werden.

Eine dritte Gruppe von Motiven fokussiert sich auf den Erhalt der liberalen Weltordnung. Hier wird für die militärische Unterstützung der Ukraine auf Grundlage der Überzeugung argumentiert, dass der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg als klarer Verstoß gegen die internationale Rechtsordnung entsprechend geahndet werden müsse. Nur so könne ein solches Vorgehen in Zukunft verhindert werden. In Anbetracht der Lähmung des UN-Sicherheitsrates sowie der drohenden Eskalationsgefahr bei direkten militärischen Maßnahmen gegen Russland, erscheint hier die militärische Unterstützung der Ukraine als probates Mittel. Es soll Russland durch eine militärische Niederlage in der Ukraine indirekt für sein völkerrechtswidriges Handeln sanktioniert werden. Eine solche sei notwendig, um die Verbindlichkeit des internationalen Völkerrechts sowie der liberalen Weltordnung in Zukunft zu sichern. Denn ein Erfolg der gewaltsamen russischen Expansionspolitik würde Staaten mit ähnlichen Ambitionen ermutigen, sich vergleichbaren Mitteln bei der Verfolgung deren politischen Ziele zu bedienen. Damit würden sich ein solches Vorgehen zu einer praktikablen Form zwischenstaatlicher Interaktion entwickeln, wodurch die liberale Weltordnung entscheidend geschwächt und eine Logik des Rechts des Stärkeren in den internationalen Beziehungen etabliert würden.

Beim Diskurs um Waffenstillstandsverhandlungen ist nun entscheidend, zwischen den dargestellten Motivlagen zu unterscheiden, ergeben sich aus diesen doch mehr oder weniger zwingende Implikationen. Wer sich für eine militärische Unterstützung der Ukraine aus Sympathie für deren Sache ausspricht, argumentiert in der Regel für eine Kompromisslösung zwischen Russland und der Ukraine, welche im Dialog der beiden Staaten gefunden und verhandelt werden muss. Die militärische Unterstützung der Ukraine hat dann zum Ziel, diese hierfür in eine möglichst vorteilhafte Verhandlungsposition zu bringen. Wer hingegen aus der Position der Maximierung deutscher Sicherheitsinteressen argumentiert, klassifiziert die Interessen der Ukraine hingegen als zweitrangig. Einer solchen Position folgend, scheint ein dauerhafter Frieden nur aus Verhandlungen zwischen den USA als westlicher Führungsmacht und Russland resultieren zu können. Wie die Ukraine letztendlich dabei zu den zwischen den beiden Großmächten ausgehandelten Bedingungen steht, ist hier lediglich von untergeordneter Bedeutung. Und wer als zentrales Motiv die Verteidigung der liberalen Weltordnung verfolgt, der steht Kompromisslösungen mit Russland generell skeptisch bis ablehnend gegenüber, kann der Erhalt der internationalen Friedensordnung doch nur durch eine klare Niederlage Russlands erreicht werden. Eine solche scheint notwendig um sowohl diesem wie auch anderen Staaten zu demonstrieren, dass eine gewaltsame Expansionspolitik kein praktikables Vorgehen internationaler Politik darstellt. Dazu muss Russland bis auf den Grenzverlauf zu Beginn des Jahres 2022 oder - noch besser - zu Beginn des Jahres 2014 zurückgedrängt werden. Nur dann lässt sich über einen Waffenstillstand verhandeln, erodiert jedweder russische Gebietsgewinn in der Ukraine doch das Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen und damit geltendes Völkerrecht, wodurch andere Staaten zu einem solchen Vorgehen bei der Verfolgung eigener Interessen ermutigt werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Hanzel

Wissenschaftlicher Mitarbeit des Instituts für Sozialwissenschaften an der Universität Stuttgart.

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden