Markus Söder – Der gute Schäfer

Kanzler Pragmatiker oder Visionär?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

In einer Krise braucht es einen guten Schäfer, der sich um seine Herde kümmert, um die jungen Wilden ebenso wie um die Alten, Gebrechlichen, Schwachen und Kranken. Damit dies funktioniert, verfügt ein erfahrener Schäfer über ein paar Hunde, die die schwarzen Schafe zur Not aggressiv in die Schranken weisen.

Die Rolle des vorsichtigen, fürsorglichen Schäfers scheint Markus Söder auf den Leib geschneidert zu sein. Er weiß, was seine Schafe brauchen. Dabei ist dieses Bild, auch wenn es häufig negativ benutzt wird, nicht despektierlich gemeint. Schließlich wissen wir in der aktuellen Krise alle nicht so recht, was das Virus mit uns macht. Und wir haben auch keine Vorstellung, wie die Krise weitergeht.

Nun heißt es oft: Wer Krise kann, kann auch Kanzler. Dabei stellt sich die Frage, ob ein Schäfer tatsächlich Kanzler kann? Sollten wir in Zukunft von einer Krise in die nächste schlittern, hätte Markus Söder damit wohl seine Erfüllung gefunden. Es ist interessant, wie er in der Krise über sich hinaus wächst. Vielleicht ist der gute Schäfer tatsächlich die perfekte Lebensrolle für einen Menschen, der Zeit seines Lebens kaum aus Nürnberg herauskam. Abenteuer und die große weite Welt scheinen ihm weniger zu liegen. In Bayern ist es schließlich auch schön.

Wenn das Kanzleramt jedoch erfordert, Visionen für die Zukunft zu haben, beispielsweise zur Meisterung unseres Umweltproblems jenseits einer Förderung der traditionellen Autoindustrie, könnte dies zu einem Schäfer nicht mehr passen. Er würde zwar die antivisionäre Haltung einer Angela Merkel fortführen – vielleicht verstehen sich Merkel und Söder deshalb so gut – wäre jedoch meilenweit von einem Emmanuel Macron entfernt, der klare Vorstellungen eines Europas der Zukunft hat. Während Macron regelmäßig mit seinen Visionen aneckt, jedoch durch diese Irritationen Europa voran treibt, regiert bei Merkel und Söder der Pragmatismus, wenn nicht sogar Opportunismus. Steve Jobs sagte einmal: „Die Kunden haben keine Ahnung von Innovationen. Das müssen schon wir übernehmen.“ Man mag diesen Spruch für arrogant halten. Wahr ist er dennoch. Das gleiche gilt für das Wahlvolk. Wenn das Wahlvolk heute Bienen mag, ist es vielleicht im Dienste der guten Sache, Bienen zu unterstützen. Eine eigene Vision, die auch den nächsten strengen Winter übersteht, ist es noch lange nicht. Was also wollen wir für einen Kanzler? Einen Pragmatiker, der lediglich auf Sicht fährt und auch für die Krise keine wirkliche Vision zu haben scheint? Oder einen Visionär, der die deutsche Rolle in Europa nach all den Jahren wieder einmal visionär auszufüllen vermag?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Hübler

Coach, Mediator, Organisationsentwickler, Autor

Michael Hübler

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden