Sozialstaat 2025 - Kernpunkt Rentenpolitik

Rentenpolitik Konzept für einen zukunftsfähigen Sozialstaat kann nur mit einer radikalen Abkehr der bisherigen Rentenpolitik gelingen – das größte Problem: fehlende Glaubwürdigkeit.

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Liebe Andrea,

die Zahl 2025 ist anscheinend eine beliebte Zahl innerhalb des Willy-Brandt-Hauses geworden. Konzept für den Sozialstaat 2025, Rentenniveau stabilisieren bis 2025 – sieben Jahre sind in der Politik eine lange Zeit, sicherlich. In einem Erwerbsleben sind sieben Jahre hingegen eine Zeit, die einen direkt in die Grundsicherung beim Sozialamt transferiert. Nicht nur bei der Bayern-Wahl, sondern seit vielen Jahren haben die Menschen kein Vertrauen mehr, wenn die Sozialdemokratie über Themen der sozialen Gerechtigkeit spricht, dann geht es bei den Wählerinnen und Wähler schlicht und einfach in einem Ohr rein und im anderen wieder raus. Und daran sind wir selbst schuld.

Jetzt ist es so weit: Der Bundestag debattiert erstmals über die Rentenpläne der Bundesregierung. Ein Blick zurück zeigte, dass tagelang nur der Streit in der Großen Koalition über den „Neustart für stabile Renten“ dominierte. Am Ende kam ein „Rentenpaket“ mit der die Halbwertszeit 2025 heraus. Und hierbei wird immer mit einer Größe gearbeitet, die an Lebensrealitäten vorbeigeht: 48 Prozent Rentenniveau. Kurz gesagt: Das Rentenniveau orientiert sich an der Netto-Standardrente im prozentualen Vergleich zum Netto-Arbeitsentgelt eines Durchschnittsverdieners. Eine Standardrente bekommt also derjenige, der 45 Jahre durchschnittlich verdient hat – ohne Unterbrechung. Die Wahrheit sieht anders aus. Über 50 Prozent der Beschäftigten sind teilweise sehr weit vom offiziellen Durchschnittseinkommen entfernt und erreichen keine 45 Beitragsjahre. Wer schlecht verdient, nicht in Vollzeit arbeitet, gesundheitliche Einschränkungen hat oder eine kurze Zeit arbeitslos ist, wird im Alter ein böses Erwachen erleben. Eine Zahl muss uns für die Zukunft in diesem so reichen Land Sorgen machen: Über 40 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten haben einen so niedrigen Lohn, dass sie nur mit einer Rente rechnen können, die sich um das Grundsicherungsniveau bewegt – drunter oder knapp drüber. Um dies zu verdeutlichen: Wer 40 Jahre lang etwa 2.300€ brutto verdient, kann mit einer Rente rechnen, die sich etwa auf Grundsicherungsniveau bewegt. Hinzu kommen erwerbslose Personen, Mini-Jobber, Erwerbsminderungsrenter, Solo-Selbstständige mit schlechtem Verdienst – all das führt zu einer Zahl von gut und gerne über 20 Millionen Menschen, die zum Teil trotz Arbeit eine Rente auf Grundsicherungsniveau bekommen werden – aber das dürfte Dir bekannt sein.

Man muss kein hochbezahlter Experte sein um die Umfrage- und Wahlergebnisse der AfD erklären zu können. Meiner Sozialdemokratie würde es in diesem Zusammenhang gut zu Gesicht stehen, wenn die Worte Lebensstandardsicherung und Armutsvermeidung wieder in den Fokus der politischen Rentenziele gerückt werden und man Beitragssatzstabilität im Fokus weit hinter Lebensstandardsicherung zu setzen hat. In einem Land, mit derart hoher Wertschöpfung der versicherungspflichtigen Beschäftigten, ist es zumutbar, dass Arbeitgeber ein paar Prozent mehr Rentenversicherungsbeiträge verkraften können um eine solidarische und paritätisch finanzierte (ohne 4%-Riesterbeitrag) Rentenversicherung zu organisieren, die auch diejenigen mit einschließt, die im Leben nicht immer Glück hatten. Weiterhin brauchen wir angesichts des deutlich erhöhten Anteils der Beschäftigten am Produktivitätszuwachs in Form von höheren Löhnen. Und nein: Ich fühle mich als Teil der jungen Generation nicht überfordert. Trotz intensiver Lobbyarbeit von Banken, Finanzdienstleistern und Versicherungsunternehmen finde ich den Fokus auf Beitragssatzstabilität und privater Vorsorge geradezu fatal angesichts von 20 Millionen armutsgefährdeten zukünftigen Rentnern. Eine armutsfreie Altersrente ist eine gesellschaftliche Gesamtaufgabe und nicht die Aufgabe von unsicheren Fonds und Versicherungen, die die gegebenen Zinsversprechen sowieso nicht einhalten müssen – diese Art von Rentenpolitik ist eine Überforderung der jungen Generation, denn diese späteren Rentner müssen erstmal Durchschnittsverdiener werden und die nächste Finanzkrise kommt irgendwann und dann rauschen die Aktienkurse wieder in den Keller. Dies im Laufe der Erwerbsbiographie aufzuholen ist schwer möglich. Fakt ist: In den Genuss von 48% Rentenniveau kommen nur diejenigen Neurentner, die den langjährigen Durchschnittsverdient geschafft haben – und dass schaffen eben nicht viele. Veränderungen am Arbeitsmarkt durch prekäre und schlecht bezahlte (Teilzeit-)Arbeit, weniger als 45 Versicherungsjahre, Unterbrechungen der Erwerbsbiographie – all das hat dramatische Auswirkungen auf die Höhe der Rente – bei sinkendem Rentenniveau wird das Problem noch weiter auf die Kassen des SGB XII verlagert. Und wer nicht in der komfortablen Situation ist eine Betriebsrente in Form des Öffentlichen Diensts zu bekommen, muss von seinem Bruttolohn eine Summe X in Form von Entgeltumwandlung in eine Versicherung einzahlen. Die Folgen sind bizarr. Man reduziert dadurch seinen Verdienst für die Ansprüche in der gesetzlichen Rente und muss am Ende von der Auszahlungssumme Steuern, Sozialabgaben und zusätzlich eben die geringere gesetzliche Rente verkraften – jeder kann sich hier individuell bei den entsprechenden Lobbyisten bedanken. Das nennt sich dann unter anderem Betriebsrente bzw. Betriebsrentenstärkungsgesetz.

Wir brauchen einen glaubwürdigen Neuanfang in der Rentenpolitik

Das Rentenniveau muss sich an den Lebensrealitäten orientieren. Schluss mit Standardgrößen, die an den Realitäten vieler Millionen Menschen vorbeigeht. Schluss mit operierenden Größen, die so dehnbar sind, dass man eigentlich auch Pudding an die Wand nageln könnte.

Private Vorsorge ist gescheitert! Die SPD war schon einmal vor ein paar Jahren weiter und hat die Riester-Rente als gescheitert betrachtet. Kurz vor dem Betriebsrentenstärkungsgesetz gab es diesen Erkenntnisgewinn, der dann mit dem Gesetzesentwurf wieder weg war. Nur 15 Prozent der potenziellen Riester-Sparer rufen die volle Förderung ab. Das krampfhafte festhalten durch hohe steuerliche Förderung sollte beendet werden. Der Staat sollte sich auf die Förderung der gesetzlichen Rente konzentrieren.

Rente muss wieder zur Lebensstandardsicherung reichen! Vermeidung von Armut und Wiederherstellung von Vertrauen in ein bewährtes System ohne Finanzlobby und Produkten, die nicht mal die Finanzberater selbst verstehen. Das Rentenniveau als Grundlagenkonzept agiert mit Annahmen, die willkürlich gesetzt werden ohne die Berücksichtigung von Lebensrealitäten und gesetzlichen Änderungen. Klar, die Steigerung des Rentenniveaus bringt Vorteile aber nicht in dem Ausmaß, wie der wochenlange Streit um die 48 Prozent glauben vermag. Um ein Beispiel zu nennen. Würde das Rentenniveau 53 Prozent betragen, würde der Standardrentner mit 45 Versicherungsjahren und entsprechendem Durchschnittsverdienst zum 1. Juli 2017 in Westdeutschland statt 1396,35€ dann eine Rente von 1541,80€ bekommen. Abzüglich der Steuern blieben dann 1372,20€. Hier kann man dann problemlos 50 Prozent und mehr für Miete abziehen. Lebensstandardsicherung trotz 45 Jahre Durchschnittseinkommen ohne Arbeitslosigkeit. Wir reden bei diesem Rechenbeispiel von einer Minderheit der zukünftigen Rentnerinnen und Rentner. Als Lebensstandardsicherung sollte die Richtgröße gelten, dass der Durchschnittsverdiener nach 45 Beitragsjahren mindestens das Doppelte bekommt, was man als Bedarfe vom Sozialamt bekommen könnte. Dies gilt auch für Kleinverdiener. Die Legitimation der sozialen Sicherung hängt auch davon ab, dass diejenigen, die arbeiten am Ende mehr haben, als diejenigen ohne Arbeit und die, die nicht (mehr) können eben die Solidarität der Gesellschaft erfahren. Eine Mindestrente deutlich oberhalb der Grundsicherung im Alter ist für die gesellschaftliche Akzeptanz daher zwingend erforderlich. Umverteilung ist der Schlüssel um das auseinanderdriften der Gesellschaft zu verhindern.

Solidarität in der Rente geht alle etwas an – die Erwerbstätigenversicherung muss kommen! Alle sollen einzahlen. Dieses einfache Instrument hilft am Besten um eine lebensstandardsichernde Rente zu ermöglichen. Die starken Schultern müssen für die Gesellschaft mehr Verantwortung übernehmen. Eine schrittweise Eingliederung aller Erwerbstätigen in eine Erwerbstätigenversicherung würde zwar Jahrzehnte dauern, würde der Rentenversicherung einen guten finanziellen Start dieser grundlegenden Reform ermöglichen.

Höhere Beiträge sind finanzierbar! Die Beschäftigung ist auf einem Rekordniveau, die Produktivität des Einzelnen ebenfalls, jedoch kommt dies nicht in Form von höheren Löhnen bei den Beschäftigten an. Aufgrund der höheren Produktivität wären höhere Beiträge für die Arbeitgeberseite problemlos zu finanzieren. 2030 soll die Belastung für einen Erwerbstätigen im Drei-Säulen-Modell bei 18 Prozent liegen inklusive aller Variablen der unsicheren privaten Vorsorge. Eine bessere Rente wäre auch ohne Erweiterung der Beitragszahler und höheren Steuermitteln möglich, wenn der Beitrag bei 28 Prozent liegen würde. Dies wäre für den Einzelnen 14 Prozent und damit deutlich geringer als 18 Prozent im Drei-Säulen-Modell im Jahr 2030. Die gesetzliche Rente ist und bleibt das günstigste Modell für den zukünftigen Rentner – vorausgesetzt sie ist ordentlich finanziert. Hier ist in erster Linie der Staat gefragt. Angesichts sprudelnder Steuereinnahmen ist es an der Zeit dies in Form eines erhöhten Zuschusses für die Rente zurückzugeben.

Beitragsbemessungsgrenze muss fallen und im Gegenzug muss eine Höchstrente kommen! Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache. Dieser Grundsatz sozialdemokratischer DNA muss auch in der Rentenpolitik wieder Schwerpunkt werden. Wenn alle einzahlen, sollen auch alle entsprechende Rentenbeiträge entrichten – solidarisch zu Gunsten aller. Im Gegenzug muss die Rente für die hohen Beitragszahler gedeckelt werden. Dies würde zu mehr Akzeptanz von sehr hohen Einkommen führen und eine Form der Umverteilung sein, die dieses Land so dringend braucht. Die Deckelung muss aus rechtlichen Gründen so gestaltet sein, dass die Rente sich bei sehr hohen Einkommen nicht proportional an den Einzahlungen orientiert, sondern diese dann entsprechend nur minimal steigen. Dies würde den FDP-Spitzensteuersatzzahlern den Wind aus den Segeln nehmen.

Arbeit muss sich wieder lohnen! Ich habe in meinem Berufsalltag mit vielen Menschen zu tun, die nur den Mindestlohn verdienen und zusätzlich beim Jobcenter aufstockende Leistungen beziehen. Angesichts einer Beschäftigungssituation mit zahlreichen Kleinverdienern, Teilzeitbeschäftigten, Minijobern und Leiharbeitern gibt es schon jetzt eine Beschäftigtengruppe, die von einer Rente oberhalb der Grundsicherung nur träumen kann. Gleichzeitig sinkt seit Jahrzehnten die tarifgebundene Beschäftigung rapide. Hier ist nicht nur die Politik gefragt, sondern auch die DGB-Gewerkschaften! Das unbefristete Arbeitsverhältnis mit ordentlichem Lohn muss wieder die Regel werden.

Kurz gesagt: Bessere Renten sind möglich. Höhere paritätische Beiträge, alle zahlen ein, höhere Steuermittel und der Stopp des privaten Vorsorge-Irrsinns sowie ein Arbeitsmarkt, der sich nicht nur niedrige Löhne und prekäre Beschäftigungsverhältnisse kennzeichnet, führen zur machbaren Umsetzung einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe – der lebensstandardsichernden Rente!

Liebe Andrea, es ist möglich Vertrauen zurückzugewinnen und der beste Beweis ist die Tat. Mit Tatendrang geht es auch gerade bei der SPD Baden-Württemberg zu. Die amtierende Landesvorsitzende Leni Breymaier bekommt mit Lars Castellucci Konkurrenz um den Posten um den Landesvorsitz. Als ver.di-Chefin habe ich zum Thema Rente viel Richtiges von der Kollegin Breymaier gehört, als SPD-Chefin von Baden-Württemberg und Bundestagsabgeordnete war von der Genossin leider wenig zu hören. Genauso der Genosse Castellucci. Als Abgeordneter in Rhein-Neckar haben wir schon häufig erlebt, dass lieber Grüne-Kandidaten bei Bürgermeisterwahlen unterstützt wurden obwohl es doch geeignete Genossinnen und Genossen gab, die sich für unsere SPD aufopferungsvoll eingesetzt hätten. Vielleicht wollte der König, König bleiben. All das sind keine Voraussetzungen um die SPD in einer grünen Hochburg wie Baden-Württemberg aus ihrem 11 Prozent Umfragetief zu holen. Immerhin: Der grüne Höhenflug in Baden-Württemberg kam nicht über Nacht genauso wenig wie der Niedergang der SPD. Wacht endlich auf!

Mit solidarischen Grüßen

Dein Mathias

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Geschrieben von

Mathias Michalski

Sozialdemokrat, Jahrgang 1988, Heidelberger, seit 2009 Dorfpolitiker in Heidelberg

Mathias Michalski

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