Deutschland und Russland (Teil 1)

Ein besonderes Verhältnis Bevor der Kreml im August 1939 mit dem Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes eine diplomatische Bombe zündete, sponn er ganz andere explosive Pläne in München

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Deutschland und Russland (Teil 1)

Foto: SERGEI SUPINSKY/AFP/Getty Images

In der Einleitung des Blogs hieß es, es gehe um die sieben Länder im Bereich von Polen bis Russland. Doch in Wirklichkeit gibt es noch ein achtes Land, das in diesem Teil Europas eine Rolle spielte und in gewisser Weise noch immer spielt und das ist Deutschland (und die österreichische Monarchie hatte in der Vergangenheit auch noch ein Wörtchen mitzureden). Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war das Deutsche Reich über seine ostpreußischen Gebiete Teil der Region und auf bestimmte Art ist Deutschland bis heute ein Faktor in Mittel-Osteuropa geblieben. Darüber hinaus gab es zahlreiche Siedlungsgebiete im Osten, in denen sich deutsche Siedler niederließen.

Die aktuelle Rolle Deutschlands im Osten hängt einerseits mit seiner starken Stellung in Europa zusammen, andererseits mit dem Verhältnis bzw. dem besonderen Kräftefeld, das sich zwischen Deutschland und Russland entfaltet. Bekanntlich reagieren die Staaten, die in diesem Kräftefeld liegen, ziemlich sensibel auf die Strömungen in diesem Verhältnis.

Eigentlich wäre man in Deutschland der Ansicht, dass es Europa immer dann gut geht, wenn das Verhältnis Deutschlands zu Russland in Ordnung ist. In Polen und anderen Ländern des Raumes dazwischen sieht man das aber mitunter umgekehrt. Da stellen gute deutsch-russische Beziehungen eher eine Gefahr dar. Diese Interpretation leitet sich nicht zuletzt aus dem Hitler-Stalin-Pakt her, der eine Aufteilung der zwischen den beiden Mächten liegenden Gebiete in Interessensphären mit sich brachte und offenkundig den Zwischenländern nicht gut getan hat. Doch den Hitler-Stalin-Pakt als Teil guter deutsch-russischer Beziehungen zu sehen, ist ziemlich verwegen.

Die Beziehungen zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion waren von Anfang an getrübt. Da konnte die taktische Zusammenarbeit durch den Pakt nur kurz darüber hinwegtäuschen. Stalin selbst ließ sich jedoch davon so sehr in die Irre führen, dass er beim Angriff der deutschen Armee auf die Sowjetunion aus allen Wolken fiel und mehrere Tage lang unfähig war, zu handeln.

Hitler sagte einmal, dass alles, was er unternehme, letztlich gegen Russland gerichtet sei und die Führung in Moskau hat diesen Ansatz auch sofort verstanden. Dieser Zusammenhang war wesentlich für die Bereitschaft der sowjetischen Führung, den Pakt abzuschließen.

Es nimmt also kein Wunder, dass man in einschlägigen Sicherheitskreisen in Moskau schon bald nach der Machtübernahme der Nazis über die Möglichkeit nachdachte, Repräsentanten des Hitler-Regimes gezielt auszuschalten. Wirklich Konjunktur bekam dieses Thema allerdings erst, nachdem Deutschland in die Sowjetunion eingefallen war und man versuchte, führende Köpfe des Besatzungsregimes gezielt aus dem Weg zu räumen. Wir werden später einmal darauf zurückkommen.

Die Überlegungen der sowjetischen Geheimdienste zielten natürlich auch auf die Spitze der Nazis, insbesondere Hitler selbst. Bereits 1934 sollte gegen Hermann Göring ein Attentat während eines Frankreichaufenthalts umgesetzt werden. Göring änderte aber seine Reisepläne und so wurde nichts daraus. Hitler selbst schien nicht so einfach für einen Attentäter erreichbar, 1939 ergab sich aber unverhofft eine plötzliche Gelegenheit:

Die Sowjets hatte einen Briten namens Alexander Foote als Agenten angeworben und ihn nach München geschickt. Er sollte dort das politische Geschehen in Augenschein nehmen. Foote war noch nicht lange vor Ort, als er Hitler aus nächster Nähe zu Gesicht bekam. Und das kam so: Der frischgebackene sowjetische Agent sah sich in der Stadt nach einer preiswerten Essgelegenheit um und stieß dabei auf die Osteria Bavaria. Kaum, dass das Essen serviert war und Foote den Löffel zum Mund führen wollte, ging die Tür auf und Hitler betrat mit seinem Gefolge das Lokal. Foote war ziemlich erstaunt, was ihn aber noch mehr erstaunte, war, dass offenbar keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen für den Besuch Hitlers getroffen worden waren. Lediglich zwei Sicherheitsleute beschatteten den „Führer“ Deutschlands und seine Begleitung. Auch schienen die anderen Gäste nicht sonderlich überrascht, benahmen sich aber auch sonst nicht auffällig.

Foote berichtete sein Erlebnis über seine Kontaktpersonen nach Moskau, wo man dadurch offenbar auf den Geschmack gekommen war. Foote sollte das Geschehen weiter beobachten, außerdem schickte man einen Kollegen - ebenfalls neu in der Branche, der mit ihm das jetzt so genannte „Hitler-Projekt“ weiter vorantreiben sollte.

Die beiden aßen also ab nun in der Osteria Bavaria und verfolgten die Vorgänge im Lokal. Alles wurde genaustens protokolliert und an die Zentrale in Moskau weitergemeldet. Dort waren inzwischen, wie es hieß, die obersten Sowjetbehörden mit der Sache befasst und von der plötzlichen eingetretenen Möglichkeit, Hitler auszuschalten, ziemlich angetan. Man habe einen Plan entwickelt, hieß es, zu dessen Umsetzung man aber von Foote und seinem Kollegen weitere Informationen zum Lokal und Hitlers Verhalten darin haben wollte.

Wie sich herausstellte kannte Hitler den Besitzer des Lokals seit dem ersten Weltkrieg. Dort freite er auch um Eva Braun. Wenn Hitler in München weilte, tauchte er regelmäßig in der Bavaria auf. Hitler durchschritt dann mit seiner Begleitung das Lokal, um in einem Extrazimmer Platz zu nehmen. Dieses Extrazimmer war nur durch eine dünne Holzwand von einem Gang getrennt, der zu den Toiletten führte. Auf der dem Lokal zugewandten Seite wurde die Holzwand als Garderobe genützt. Besondere Sicherheitsmaßnahmen für Hitler fielen den beiden Beobachtern nicht auf. Foote und sein Kollege sahen hier eine einfache Möglichkeit, Hitler in die Luft zu jagen: Sie würden eine Tasche mit einem Sprengsatz an die Garderobe lehnen und sie mit Mänteln verdecken. Dann würden sie früher als üblich das Lokal verlassen und den Rest würde der Zeitzünder der Bombe erledigen.

Alle Details der Angelegenheit wurden nach Moskau gemeldet, aber in Wirklichkeit waren die beiden Neo-Agenten nicht gerade darüber begeistert, vom Schicksal womöglich in den Mittelpunkt der Weltgeschichte gespült zu werden. Ihnen war klar, dass sie nach einem erfolgten Attentat sofort als Verdächtige gelten würden und es schwer werden würde, sich der Verfolgung zu entziehen. Während die beiden Agenten also noch an ihrer Mission zweifelten, verlor man in Moskau plötzlich jegliches Interesse am Projekt. Footes weitere Erkundungsarbeit wurde mit Schweigen beantwortet. Der Sinneswandel im Kreml hatte jedoch einen ganz einfachen Grund: Stalin und Molotow fädelten gerade den Pakt mit Hitler ein. Ein Attentat auf den künftigen Vertragspartner passte da natürlich nicht hinein.

Später spielte Foote die Ernsthaftigkeit der Angelegenheit herunter. Das Ganze habe mehr oder weniger nur Übungscharakter gehabt, sozusagen eine Probe, auf die die beiden Neo-Agenten gestellt worden seien. Auf jeden Fall war er froh, bald danach in die Schweiz übersiedeln und sich dort „seriöser“ Agententätigkeit zuwenden zu können. Foote wurde Teil eines effizient arbeitenden sowjetischen Agentenringes, der für den Verlauf des Krieges eine wichtige Rolle spielen sollte. Nach seiner Enttarnung und einigen Monaten Haft setzte er sich nach Frankreich und später nach Moskau ab. Nach dem Krieg sollte Foote ein gegen die USA gerichtetes Agentennetzwerk in Argentinien aufbauen, lief allerdings in Berlin zu den Briten über. Einige Beobachter glauben, dass Foote von Anfang an ein Doppelagent gewesen sei. Wie auch immer, wenige Jahre vor seinem frühen Tod verewigte er sich mit seinem Memoiren in der Agentengeschichte: Handbook for Spies (London 1949).

Dieser Artikel wurde zuvor auf dem Wordpressblog https://mittelundosteuropa.wordpress.com/ veröffentlicht.

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Geschrieben von

Michael Schütz

Unabhängiger Historiker

Michael Schütz

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