Die Maske

KEHRSEITE F. wurde übel, als sie das Video von der Geburtstagsfeier einer Freundin vor einem Monat sah. "Das ist kein Gesicht, das ist eine Maske", murmelte ...

F. wurde übel, als sie das Video von der Geburtstagsfeier einer Freundin vor einem Monat sah. "Das ist kein Gesicht, das ist eine Maske", murmelte sie, nachdem sie sich die Kurzfassung der fünfstündigen Feier angesehen hatte.

Eine Maske mit dem aller unnatürlichsten Lächeln, mit dem verglichen auch das schauspielerisch miserabelst begabte Model besser lächelt. Diese Maske hatte fünf Stunden lang auf ihrem Gesicht geklebt. Egal mit wem, egal über was F. redete, auf ihrem Gesicht war diese Maske, die all ihren Gesprächspartnern zu erzählen versuchte, dass bei ihr alles prima laufe, dass sie mit sich und mit dieser Welt so zufrieden sei, dass sie ständig lächeln müsse.

"Wie widerlich! Habe ich wirklich an dem Abend so ausgesehen? Habe ich wirklich so eine Maske getragen? Diese Maske ekelt mich einfach!"

Sie trat vor den Spiegel, um nachzusehen, ob diese Maske nicht mehr an ihrem Gesicht haftete.

"Ich war an dem Tag etwas depressiv - vielleicht wegen des Wetters - und ich musste mich ein wenig anstrengen, um für das Geburtstagskind heiter auszusehen. Ich konnte nicht einfach so mein nacktes depressives Gesicht herzeigen. Aber trotzdem hätte ich nicht gedacht, dass ich so eine scheußliche Maske trug!"

"Aber du trägst sie eigentlich immer außer Haus, manchmal sogar zu Hause", sagte ihr Mann, in der Zeitung blätternd.

"Seit wann?", fragte sie entsetzt.

"Ich weiß es nicht mehr genau, aber irgendwann vor einigen Jahren habe ich sie zum ersten Mal bemerkt."

F. starrte in das blasse, schmale Gesicht im Spiegel, das mit zwei dicken Falten zwischen den Augenbrauen auf sie zurückstarrte.

Vielleicht seit diese Sache passiert ist, dachte F. nach. Ach, wie schrecklich das war. Wie widerlich. Wie viele Tage musste ich damals weinen? Wie viele Tage konnte ich nicht schlafen, nichts essen und schon gar nicht lächeln? Ja, vielleicht lernte ich damals, eine Maske zu tragen. - Aber das ist doch schon lange her! Der Schmerz ließ doch immer mehr nach. Mit der Zeit heilte auch diese Wunde. Ich vergaß die Sache. Das ist vorbei. Ich denke schon nicht mehr daran. In meinem Gedächtnis ist von der Sache gar nichts zurückgeblieben. Nein, die Sache ist überhaupt kein Grund, eine Maske tragen zu müssen. Gar kein Grund. Ich bin einfach mit meinem jetzigen Leben unzufrieden. Mit meiner Karriere. Mir gelingt einfach zu wenig. Ich weiß nicht einmal, wie ich mich den Leuten vorstellen kann, ich weiß nicht einmal, was ich bin. Ich habe mir mein Leben anders vorgestellt. Nicht so farblos, nicht so trostlos. Oh nein! Nein, nein. So ist mein Leben gar nicht. Bei mir klappt es doch schon einigermaßen. Zumindest soweit, dass ich ganz zufrieden sein kann. Oh nein. So bescheiden sollte ich nicht sein. Im Vergleich mit anderen habe ich schon eine Menge geschafft.

Ja, viele Leute bewundern mich. Und mit der Familie? Ich sehe da kein Problem. Wir können weiter so bleiben, wie wir in den letzten Jahren gewesen sind. Das ist gerade der Beweis, dass wir eine glückliche Familie sind. Mir geht es also alles in allem prima. Nur manchmal, manchmal bedrängt mich plötzlich so ein komisches Gefühl, als ob ich weinen müsste, heulen müsste, schreien müsste. Aber so etwas passiert sicherlich jedem mal. Auch dem glücklichsten Menschen. Es ist ganz normal. Mir geht es also bestens. Ich bin zufrieden mit meinem Leben, ich bin ein glücklicher Mensch, nur ... Nein. Kein "nur". Es gibt kein "nur", es gibt kein Problem.

"Ich kann auch auf ganz natürliche Weise lächeln", sagte F. zu ihrem Spiegelbild. Das Gesicht aber trug bereits wieder seine Maske, die jetzt ganz traurig aussah.

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