Als am Wochenende die amerikanische Neue Rechte, die Alt-Right-Bewegung und der Klu Klux Klan durch Charlottesville marschierten, skandierten sie: „You will not replace us!“ – „Ihr werdet uns nicht ersetzen.“ Da das Pronomen „you“ und das Nomen „jew“ akkustisch schwer zu differenzieren sind, konnte man auch hören: „Der Jude wird uns nicht ersetzen.“
Die Parole von der Ersetzung baut eine beunruhigende Brücke in die Alte Welt. Die Idee des „grand remplacement“ stammt von dem Franzosen Renaud Camus. Er geht davon aus, dass die europäischen Völker durch Masseneinwanderungen mit anderen „ausgetauscht“ werden sollen. Die Drahtzieher dieses gespenstischen Vorgangs beschreibt Blogger und Publizist Martin Sellner so: „Nationale und internationale Konzerne, die sich durch das Fehlen von Einwanderungsgrenzen eine Lohnkostenminderung und vom Abbau ethnokultureller Gemeinschaften eine Erleichterung ihres Wirtschaftstreibens erwarten.“ Aber auch Parteien auf Stimmenfang. Camus’ Buch ist eine Bibel der Neuen Rechten, es ist in Götz Kubitscheks Antaios-Verlag erschienen. Sellner ist der Kopf der österreichischen Identitären.
Spontis von rechts
Man findet die Passage in Thomas Wagners neuem Buch Die Angstmacher. Wagner ist nicht der Erste, der das Thema entdeckt hat. Liane Bednarz und Christoph Giesa haben 2015 Gefährliche Bürger vorgelegt, eine Verteidigung der „offenen Gesellschaft“ gegen rechts. Gerade erschien mit Volker Weiß’ gelehrter Studie Die autoritäre Revolte eine Verortung vor allem in der Tradition dessen, was der Vordenker der Neuen Rechten, der Schweizer Publizist Armin Mohler, die „Konservative Revolution“ nannte. Die Köpfe dieser Bewegung waren Ernst Jünger, dessen Sekretär er war, Carl Schmitt oder Arthur Moeller van den Bruck, der Schöpfer des Begriffs „Drittes Reich“. Sie kommen auch bei Wagner zu Wort, aber sein Buch unterscheidet sich von den anderen Publikationen in zweierlei Hinsicht: Erstens spricht er mit den Akteuren, was selbst bei Kubitschek und Gattin Ellen Kositza noch Neues zutage fördert – Wagner weiß zu fragen. Es wird hochspannend, wo er sich genauer mit Sellner unterhält, oder mit Alain de Benoist, dem Vordenker der Nouvelle Droite. Vor allem aber mit dem jetzt verstorbenen Historiker Henning Eichberg, einem frühen Player einer nationalrevolutionären Bewegung, die sich nach 1968 formierte.
Womit das zweite Alleinstellungsmerkmal benannt ist. Zwar hat schon Mariam Lau das Domizil der Antaios-Macher im sächsischen Schnellroda als rechtes Wendland gezeichnet, Anlass war der posthume Erfolg des Hausautors Peter Sieferle, einem frühen Ökologiehistorikers. Die Konsequenz, mit der Wagner die Neue Rechte auf 1968 bezieht, ist dennoch neu. Natürlich verwundert dieser Bezug erst einmal, gilt der „68er“ den „89ern“ doch als politisch-moralischer Teufel. Die Generation steht für Glaubensverlust, Staatsaushöhlung, Zerstörung von Familienstrukturen und Liebe, Abtreibung. „Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, eine von Lobbygruppen und internationalen Konzernen beherrschte Europäische Union, die muslimische Einwanderung, Übergewicht bei Jugendlichen“ so die identitäre Klage. Mehr geht nicht, schreibt Wagner. Mehr geht nicht.
Dennoch hat die Neue Rechte von den 68ern viel übernommen. An erster Stelle betrifft das die Strategie: Sponti-Aktionen mit Plakaten, auf die große Lettern gemalt sind, erinnern an die „Buchstabenballette“ als mobile Protestform Ende der 60er. Humorvolle Aktionen. Provokation heißt ein Buch von Kubitschek, der zugibt, viel von dem ehemaligen SDSler und spätereren Beinahe-Bundespräsidentschaftskandidaten für NPD und DVU Bernd Rabehl gelernt zu haben. Es sind Aktionen, die den Staat dazu bringen sollen, so zu reagieren, wie man es ihm vorwirft: repressiv. Kubitschek wurde mit einer Gruppe bekannt, die in Erinnerung an Fritz Teufel und seine Kommunarden „Konservativ-Subversive Aktion“ hieß.
Ein weiterer Anknüpfungspunkt an 68 ist die Distanz zum Parteipolitischen, trotz Nähe zur AfD. Auch das hat Tradition. Zum Spannendsten bei Wagner zählen die Seiten über die Geburt einer „rechten APO“. Was für Linke die Anti-Schah-Demo ist, war für Rechte der 21. Mai 1970. Das Treffen zwischen Willy Brandt und Willi Stoph in Kassel, von dem sich die DDR die staatliche Anerkennung erhoffte, wurde zur Premiere der Nationalrevolutionären. Versammelt unter schwarzer Flagge, erinnert sich Eichberg: nicht nur gegen den SPD-Kanzler. Nicht nur gegen die DDR. Auch gegen die NPD, die doch geistige Heimat sein wollte. Der Beginn einer Rechten, die sich parteiungebunden nicht mehr mit NS und Judenhass identifizierte, sondern eher mit Stauffenberg und einer Ökologie, die den frühen Grünen nicht so fernstand.
Eine Neue Rechte, die den 68ern zwei weitere wichtige Motive entlehnte: einerseits die Idee, dass politische Herrschaft nur über die Dominanz in der Kultur zu erlangen ist. Nach Deutschland kam dieser Gedanke über Frankreich. Eichberg kannte Benoist, der Antonio Gramscis Hegemonietheorie studiert hatte. Wenn Kubitschek betont, man wolle „den Staat über das Argument und über eine kulturelle Hegemoniestrategie zu einer Tendenzwende bringen“, hört man Gramsci mit. Das zweite Motiv heißt „Ethnopluralismus“. Man kann es als rechtsradikale Version des Selbstbestimmungsrechts der Völker bezeichnen.
Entstanden unter dem Eindruck des Antikolonialismus von Vietnam bis Kuba, wollte Eichberg dieses Recht, anders als manche heute, nicht auf Staaten beschränken. Kein „staatlich halbierter Ethnopluralismus“! Die „Eigentümlichkeiten des anderen“: Soll heißen, dass jedes Volk das Recht auf kulturelle Identität hat – allerdings in seinem eigenen Territorium. Vermischung: unerwünscht. Kubitschek hält den Ethnopluralismus für das Fundament der Demokratie. Die funktioniere nur bei relativer Homogenität im Volk. Demokratische Gesinnung könne sich nur festigen, „wenn Sie akzeptieren können, dass Sie überstimmt werden. Wenn das, was Sie überstimmt, zu fremd ist, dann können Sie das nicht.“
Die Würdigung des „ethnokulturellen Ausdrucks“ des anderen – in Schnellroda soll das nach einer Ethik des anderen klingen: den anderen als anderen gelten lassen, bloß nicht missionieren, bloß nicht alles gleich machen. Kositza spricht bei Wagner über einen Markt für „Ethnic Food“ in Berlin, auf dem alles gleich schmeckt. Sie setzen auf kulturelle Differenz und scheinen gerade in diesem Motiv anschlussfähig an eine konservative, auch linkskonservative Kulturkritik.
Selbstrenovierte Ausnahme
Einige der wichtigsten Gedanken der Rechten um Kubitschek stammen aus Carl Schmitts Studie zur Lage des heutigen Parlamentarismus von 1923. Dass Schmitt auf Teile der APO elektrisierend gewirkt hat, wissen auch Kubitschek und Wagner. Das Ganze firmiert dann unter dem Schlagwort der „Metapolitik“. Mit ihr drückt man sich auch um das Problem der Gewalt. Wie will man ein ethnopluralistisches Konzept in einer globalisierten, von Migrationsbewegungen geprägten Welt durchsetzen? Durch gutes Zureden? Klar ist, dass das Schmitt’sche Denken des Ausnahmezustands, des Freund-Feind-Schemas die Neue Rechte so fasziniert, wie damals die extreme Linke. Der radikale Gestus der Härte und der Entscheidung versteht sich als Gegenteil des linksliberalen Räsonierens, des Ringens um einen Konsens, das sich zu oft in Diskussionen um das Binnen-I erschöpft und Theater zu safe spaces umbaut, wie Wagner das in Diskussionen etwa mit Regisseur Falk Richter herausarbeitet. Aber ist dieser Gestus auch wirklich politisch? Oder sind Kubitschek & Co. auch dort, wo sie vom Ausnahmezustand träumen, ganz Erben einer ästhetischen und lebensweltlichen Radikalisierung geblieben? Die Frage muss offenbleiben. Auch durch das Buch von Thomas Wagner wird sie nicht beantwortet. Wer Avangarde sein will, der will, so hieß das bei dem kürzlich verstorbenen, linken Theoretiker Peter Bürger, Kunst „in Lebenspraxis übersetzen“, der will Schluss machen mit dem entfremdeten Leben. Bei Kubitschek klingt das „Lebenskonzept“ so: "dass man aufs Land in so eine alte Bude zieht, sie selbst renoviert, zwischen Lehmwänden wohnt und anfangs nichts richtig geordnet, unsicher ist.“
Info
Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten Thomas Wagner Aufbau 2017, 352 S., 18,95 €
Lesen Sie dazu auch ein Gespräch, das Michael Angele mit der Sezessions-Redakteurin Ellen Kositza geführt hat
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