Akademie und öffentliche Debatten scheinen gefühlig geworden zu sein in letzter Zeit, vielleicht sogar gefühlsduselig. Emotionen: Von finanziell großzügig geförderten Drittmittelprojekten, die die „Sprache“ unserer Gefühle lesen und sprechen lernen wollen – hier wirkten schon einmal die universitären Königskinder Geistes- und Naturwissenschaften zusammen –, bis zu den aufschlussreichen kulturhermeneutischen Untersuchungen der israelischen Soziologin Eva Illouz, die uns erklärt, wie emotionaler Kapitalismus dazu führte, dass uns die Liebe wehtut, drängen Positionen ins feuilletonistisch-akademische Rampenlicht, die das, was nicht nur auf Rationalität gründet, nicht einfach links liegen lassen wolle
llen. Sehr interessant – vulgo Anwärter auf Fördergelder, Buchverträge oder Preise – sind selbstredend starke Gefühle. Liebe, aber auch ihr Komplement, der Hass.„Gegen den Hass“zu sein kann auch schon einmal den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels einbringen. Dass „Hass keine Meinung“ sei, fand kürzlich Renate Künast. Dies allerdings nicht etwa – das Bundestagsmitglied zielt auf sogenanntes Trolling und auf Hate Speech im Internet – als Lektion aus der Einsicht Hegels, wonach ich nicht sagen kann, was ich nur meine. Ginge es nach Künast, sollte sprachliche Gewalt konsequent juristisch geahndet werden. In der Hassdebatte, wie die Politikerin sie im Wahlkampf führen möchte, geht es somit oft um die schwierige Entscheidung, ob eine Äußerung noch unter die Meinungsfreiheit fällt oder nicht. Im sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das SPD-Minister Maas kürzlich durch die Gremien gepeitscht hat und das vor allem die Verbreitung von Hassreden und entsprechendem audiovisuellen Material in sozialen Netzwerken unterbinden soll, ist immerhin schon einmal geregelt, dass es nicht die öffentliche Hand ist, die gegen die post-öffentlichen Hasstiraden im Netz vorzugehen hat, sondern die Betreiber. Ob das der öffentlichen Meinungsäußerung auf lange Sicht guttut? Zweifel sind angebracht. Denn objektiv festzustellen, ob jemand nur in besonders drastischer oder vulgärer Diktion eben eine Meinung sagt oder ob solches Kundtun schon als Verletzung der Rechte eines anderen beziehungsweise als Aufruf, diese Rechte zu verletzen, aufgefasst werden kann, ist juristisch schon höchst heikel. Ob also die Social-Media-Riesen die notwendige Urteilskraft mitbringen, geschweige denn finanzieren wollen? In den USA, wo aufgrund des Stellenwerts der Meinungsfreiheit im juristischen wie allgemeinen Wertekanon die Grenzlinie da verläuft, wo ein Sprechakt nicht mehr als Meinung, sondern als Akt, sprich als Handlung aufgefasst wird, ist, quasi als „Impfung“ gegen mögliche verbale Verletzungen, eine Bewegung vor allem an den Hochschulen entstanden, die sogenannte safe spaces fordert. Räume, in denen man gegen Aggressionen geschützt ist. Dass es sich jenseits intersubjektiv aushandelbarer Regeln, etwa was die Nicht-Duldung sexistischer oder rassistischer Sprache angeht, sehr schwierig gestaltet, auf die Gefühle eines jeden und einer jeden – denn dahin tendiert die Debatte – Rücksicht zu nehmen, liegt auf der Hand. Neben dem Hass ist es der Zorn, der neuerdings eine nicht geringe Aufmerksamkeit erfährt. Schon 2006 schrieb Peter Sloterdijk mit Zorn und Zeit eine fast 500-seitige Apologie dieses Gefühls. Apologie war die Schrift des Karlsruher Philosophen insofern, als dass sie den thymos, jene Energie,die sich aus dem zur Tugend transformierten Wüten des homerischen Helden speist, post-nietzscheanisch feierte. Skandalös erschien manchen die Kritik am Liberalismus, der in der Unterdrückung jener thymotischen Energie des Zorns auch das Bewusstsein etwa für die Gefahren islamistischen Terrors verliere: „Für die Anhänger der liberalen Idylle bleibt der islamische Terror ein unwillkommener Gast – ein verrückter Sprayer, der die Fassaden der feindlosen Gesellschaft mit obszönen Botschaften verunstaltet.“ Das war auch anschlussfähig für Rechte, wie etwa Sloterdijk-Schüler und AfD-Theoretiker Marc Jongen.Ein Grollen aus OhnmachtDer Ökonom Pankaj Mishra hat in diesem Jahr in Das Zeitalter des Zorns eine Interpretation islamistischen Terrors veröffentlicht, die das Augenmerk weg von der Religion hin zu den uneingelösten Versprechen der kolonialen Moderne verschiebt. Die urliberale Vision des Individuums, dem alle Möglichkeiten genauso wie ein Recht auf Anerkennung in die Wiege gelegt worden sind, ist nicht eingelöst worden. Daraus speist sich Ressentiment, ein Groll, der junge Menschen – meist Männer, aber gelegentlich auch Frauen, wie Mishra und Sloterdijk unisono beobachten – in die Hände etwa des IS treibt.Nun legt der Historiker Uffa Jensen mit Zornpolitik das neueste Kapitel in der Faszinationsgeschichte des Zorns und der Emotionen vor. Der schlanke Essay will „das moderne Vorhaben, negative Gefühle über – ausgrenzend definierte – Andere (Juden, Muslime, Ausländer, Fremde et cetera) politisch zu instrumentalisieren“, beschreiben. Damit unterscheidet er sich deutlich von seinen Vorgängern, hat er doch exklusiv die sogenannte westliche Welt, genauer gesagt Deutschland, im Blick. Aber auch Jensen stellt das Ressentiment in den Mittelpunkt: ein Grollen, ein düsteres „ohnmächtiges Gestimmtsein“, das uns nicht unbedingt bewusst sein muss, so definiert er es. Wenn wir uns aber etwa benachteiligt fühlten, könne uns solches Grollen als „ausgebildetes Ressentiment“ gewahr werden. Und sich zu einzeln identifizierbaren Gefühlen negativer Art, zu Zorn, Hass, Ekel oder Angst auswachsen. Wichtig ist für Jensen, dass dieser Ausbruch des Grolls, ein Prozess, in dem aus einer diffusen negativen Stimmung ein distinktes, gleichwohl negatives Gefühl wird, mit der Empfindung von Lust und Befriedigung einhergeht. Entlang solcher „Befreiung“ des Gefühls aus dem Grollen will der Historiker schlaglichthaft zur Aufklärung dessen beitragen, was er die „Diskriminierungsgeschichte“ unserer Gesellschaft nennt. Diese sei immer geprägt von einem Zusammenspiel von Emotion und Rationalität. Sie äußert sich allerdings anhand verschiedener Gefühle gegenüber denjenigen, die ausgeschlossen werden. Jensen hat sich als Antisemitismusforscher einen Namen gemacht. Und dafür, das heutige islamophobe Klima mit dem Antisemitismus des 19. Jahrhunderts zu kontrastieren, gibt es gute Gründe. Die Jahre nach 1871 sahen die erste Globalisierung der deutschen wie europäischen Wirtschaft, die in der verspäteten Nation Fragen nach nationaler Identität aufwarf. Tageszeitungen brachten eine kommunikative Revolution und auch über Minderheitenrechte wurde schon unter Bismarck diskutiert. Damit korrespondieren heute Globalisierung und Migration sowie der Siegeszug von Social Media.Dass die Situation dennoch eine andere ist heute, liegt für Jensen daran, dass sich das Ressentiment gegen die Juden im 19. Jahrhundert als Ekel und Hass äußerte, der gegenüber den meist muslimischen Migranten heute jedoch als Zorn und Angst: „Man empfand Ekel vor der Macht der Juden, gerade weil sie keine Fremden mehr waren und sozusagen von innen heraus eine Gefahr darstellten. Die Angst vor dem Islam (...) basiert hingegen darauf, dass er eine fremde Macht darstellt.“ Der antisemitische Hass des 19. Jahrhunderts blickte auf zum Objekt des Hasses, der Zorn des 21. auf die Muslime schaut auf diese herab.So richtig diese historischen Beobachtungen, so wichtig der Perspektivwechsel vom Zorn der anderen auf den eigenen – den „sogar wir“ empfinden, wie Jensen einmal schreibt – ist, so notwendig es ist, nicht wie Neurechte vom Schlage Jongens den eigenen Zorn gegen das Fremde in Anschlag zu bringen: Durch seine Verortung des titelgebenden starken Gefühls nur auf Seiten der Diskriminierung lässt Zornpolitik viele Fragen offen: Gibt es etwa neben seiner Instrumentalisierung durch die Rechte legitime Formen des Zorns? Gäben etwa die Hamburger G20-Demonstrationen ein Beispiel ab für einen Zorn, der sich nicht in die deutsche Diskriminierungsgeschichte fügt – einen linken thymos? Wie verhält sich islamistischer Antisemitismus zu Jensens historischer Narration? Und: Wie antworten, auf all den Zorn?Placeholder infobox-1
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