Filmkritik "Die dunkelste Stunde"

Churchill Ein langweiliger, kitschiger Film.

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Juhu, ein Film über Churchill, über den Zweiten Weltkrieg! Ein Film, bei dem auch der Geschichtsstudent ohne schlechtes Gewissen den Schreibtisch verlassen und sich auf den Weg ins Kino machen kann. Doch dort sogleich die erste Enttäuschung: Selbst in einem Film über Churchill darf man im Kino keine Zigarren rauchen.

Um die zweite Enttäuschung von vornherein abzumildern: Die dunkelste Stunde ist kein umfassender Churchill-Film, nicht einmal ein umfassender Churchill-im-Zweiten-Weltkrieg-Film. Es geht ausschließlich um wenige Wochen im Mai 1940, von der Ernennung Churchills als Premierminister bis zur Rettungsaktion für die in Dünkirchen eingeschlossenen britischen Soldaten. Zu letzterer gab es aber kürzlich einen separaten Film.

Weil diesem Blog oft kriegszersetzender Negativismus vorgeworfen wird, beginne ich mit dem Positiven: Churchill wird nicht übertrieben heroisiert, sondern durchaus als Mensch mit Schwächen dargestellt. Als Politiker hat er eine klare Wertvorstellung, aber einen Plan hat er nicht. Oder, um einen seiner Kritiker aus dem Film zu zitieren, er hat jeden Tag hundert neue Pläne. Auch die Schlacht von Gallipoli, ein verheerendes Landungsunternehmen im Ersten Weltkrieg, das auf eine von Churchills grandiosen Ideen zurückging, findet Erwähnung. Wobei den meisten deutschen Zuschauern die kurze Erwähnung von Gallipoli nichts bedeuten dürfte, weil diese Schlacht, wie überhaupt der Erste Weltkrieg, in unserem kollektiven Gedächtnis nicht so sehr verankert ist wie bei unseren angelsächsischen Freunden. Ich selbst habe erst in Australien davon erfahren, als ich an einem 25. April einer Militärparade zum Gedenken an die verlustreiche Schlacht in der Türkei, wo 1915 fast die gesamte damalige australische und neuseeländische männliche Jugend ihr Leben verlor, beiwohnte.

Aber ich schweife schon wieder ab. Das mag daran liegen, und damit sind wir am Ende des positiven Teils dieser Besprechung angelangt, dass michDie dunkelste Stundenicht richtig in den Bann zieht. Gary Oldman wurde für seine Darstellung von Churchill viel gelobt, aber ich vermochte nicht zu erkennen, wofür. Man merkt zum Beispiel auf den ersten Blick, dass er nicht gerne raucht und die Zigarre oft unangezündet in der Hand oder im Mund hält.

Zumindest den Teil hätte ich genüsslicher spielen können.

Eine der Sekretärinnen bekommt viel zu breiten Raum eingeräumt, wie wenn sie die zweite Hauptfigur wäre. Die von Lily James ablenkend schön gespielte Miss Layton hat natürlich einen Bruder, der in Dünkirchen ist, weswegen ihr beim Abtippen von Befehlen manchmal eine Träne aus den Augen kullert. Das fällt Churchill auf, der sie deshalb mit in den hochgeheimen Kartenraum nimmt und ihr (und damit den Zuschauern, die es vorher noch nicht verstanden haben und die ohne hilfreiche Beschriftung nicht wüssten, wo Belgien und die Niederlande sind) nochmals die Dramatik der Lage erklärt.

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Das ist schon ziemlich kitschig.

Unerträglich kitschig wird es aber, als Churchill mit der U-Bahn zur Arbeit fährt (was historisch natürlich falsch ist) und ins Gespräch mit klischeemäßigen Durchschnittsbriten (einem Maurer, einer jungen Mutter, einem noch jüngeren Paar, einem farbigen Untertanen der Krone) kommt, die ihn alle darin bestätigen, niemals aufzugeben. Sogar ein Kleinkind ruft „never surrender!„, weil ihm die Front in Frankreich und der Sieg über den Faschismus wichtiger sind als ein Erdbeereis. Selbst in sowjetischen Propagandafilmen habe ich noch keine so unglaubwürdige Szene gesehen.

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Spart Euch die zwei Stunden und kauft für das Geld lieber Winston Churchills eigenes Buch über den Zweiten Weltkieg. Das ist zwar nicht ganz objektiv, aber Churchill war nicht nur ein hervorragender Redner, sondern auch ein guter Schriftsteller. Nicht umsonst erhielt er für seine Weltkriegsmemorieren 1953 den Literaturnobelpreis.

Oder man fliegt, für wenig mehr Geld als der Kinobesuch kostet, nach London und besucht die im Film gezeigten Cabinet War Rooms, die unterirdische Kommandozentrale während des Zweiten Weltkriegs (wo der Eintritt allerdings happige 18,90 £ kostet), und das Imperial War Museum (Eintritt frei).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Moser

Nach Abschlüssen in Jura und Philosophie studiere ich jetzt Geschichte, ziehe um die Welt und schreibe darüber.

Andreas Moser

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