Vom Neuwerden

Theologische Denkfiguren Ob coincidentia oppositorum, Perichorese oder communicatio idiomatum, oft sind theologische Debatten auch philosophisch interessant und haben philosophische Debatten bereichert. Das gilt auch für den Begriff des Neuwerdens.

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Ob coincidentia oppositorum(Zusammenfall von Gegensätzlichem), Perichorese (wechselseitige Teilhabe) oder communicatio idiomatum (Anteilgabe an Eigenschaften), oft sind theologische Debatten auch philosophisch interessant und haben philosophiegeschichtlich Debatten angeregt und bereichert. Das gilt auch für den Begriff der Neuwerdung.

A.

Nicht jedesmal, aber immer wieder einmal haben theologische Debatten allgemeine Denkkategorien beeinflusst oder mitgeprägt. Zum Beispiel lässt sich zeigen, dass das, was wir heute unter Person verstehen, was ein Person ausmacht, wie sie juristisch zu bestimmen ist usw., wesentliche Bestimmungsgründe und Seinsgründe aus den kirchlichen Debatten des 4. und 5. Jahrhunderts bezogen hat.

B. Eine aktuelle kirchlich-theologische Debatte

Ob oder wie häufig bisher der Osservatore Romano, die „Hauszeitschrift“ des Vatikans, als Organ investigativen Journalismus in Erscheinung getreten ist, scheint bislang unerforschtes Terrain zu sein. Jedenfalls war die Mitteilung/Ausgabe vom 24.11.2022, in hohem Maße instruktiv. Denn sie gewährt Einblick in die argumentative Ausrichtung der Kurie im Ringen um die richtigen Antworten auf die Frage nach dem weiteren Weg der Kirche. Vieles davon war freilich auch sonst bekannt, bzw. ließe sich einigermaßen denken. Jedenfalls ist einiges davon ganz erfreulich und nur in einigen wenigen Punkten scheint kritisches Nachfragen geboten.

C. Zeitchronik

Hatte schon das Schreiben vom Sommer 2019 davon gesprochen, dass alle Konsultationen vom Stifter der Gemeinschaft auszugehen habe, so bekräftigte die jetzt dort abgedruckte kuriale Stellungnahme vom 18. November 2022 erneut, dass „auf Christus als Schlüssel für die Erneuerung zu vertrauen“ sei, und nicht nach anderen Kriterien Ausschau zu halten wäre, die etwa einem zeitgeistlich Angepassten oder einem anderweitig rekrutierten Argumentationsschema folgen wollten.

Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil damit aus der Mitte der Kurie zu hören ist, dass dort der Intention der jüngsten Kurienreform („Praedicate Evangelium“) bereits entschlossen Rechnung zu tragen versucht wird. Diese zeichnet sich ja unter anderem dadurch aus, dass auch strukturell der Vorrang des Evangeliums vor allen strukturellen Fragen kenntlich gemacht worden ist. Wodurch sicher auch die inhaltlich-geistliche Füllung der Kurienarbeit eine präzisierend-deutlichere Ausprägung erfährt oder erfahren wird.

Bedeutsam ist desweiteren, dass mit der energischen „Einspurung“ des deutschen „Synodalen Weges“ in den parallel stattfindenden Prozess der „Weltsynode“ zugleich deutlich auch aus der Kurie ein „Einschwenken“ auf den weltkirchlichen synodalen Prozess öffentlich vollzogen ist. In sicher kluger Abwägung wurde ja deren Abschlussphase von einem auf zwei Jahre erweitert. So dass ohne unnötigen Zeitdruck in gemessenem Bedenken eine Unterscheidung möglich ist.

Bedeutsam ist zudem die Argumentation, dass die Forderung eines „cum et sub Petro“-Seins nicht einen „Rationalismus“ meine, „der sich nur dann an Entscheidungen hält, wenn sie persönlich überzeugend erscheinen“ – was dann freilich sicher genauso auf die Kurie selbst anzuwenden sein dürfte, wie es ja auch einer unterstellten Dienstbehörde ohnehin gebührt.

Schließlich schwenkt die Kurie mit ihrer nachdrücklichen Aufforderung, zum „Geist der Apostelgeschichte zurückzukehren“ auf die von den weltkirchlichen Synodaltexten vorgegebene Linie ein. Denn schon die Einladungs- und Eröffnungsschreiben hatten die Idealvorstellung des Apostelkonvents der Apg., bzw. den Weg Petri dorthin als die gewünschte Zielvorstellung dargestellt. Somit ist ein weiter Horizont eröffnet.

D.

Nun ist es freilich so, dass die bislang vom Deutschen Synodalen Weg vorgestellten und diskutierten Themen im wesentlichen [„ja“] nur einige [„dieser“][„ethischen“] langweiligenFragen betreffen, wie: Dürfen katholische Priester heiraten? Und andererseits ist es auch so, dass die bislang im Prozess der Weltsynode vorgestellten Fragen – immerhin, sagen manche, mit etwas mehr Substanz – im wesentlichen auch eher nur etliche Seitenaspekte des kirchlichen Lebens betreffen. So lesen wir z.B. im Arbeitsdokument für die kontinentale Etappe vom Votum der slowakischen Bischofskonferenz, dass es empfehlenswert sei „zur Teilhabe am kirchlichen Leben zu ermutigen“.

Desweiteren wird votiert

- gegen allzu politische Predigten (Maronitische Kirche),

- für teilweise Korrekturen der persönlichen Spiritualität (Tschechische Bischofskonferenz) oder

- teilweise auch der Volksfrömmigkeit (Bischofskonferenz von Panama),

thematisiert wird der interreligiöse und ökumenische Dialog (Indische Bischofskonferenz), usw. usf.

E.

Schlussendlich ist es aber doch so, dass alle oder die meisten dieser Themen just aus einem Rekurs auf eben den „Schlüssel für die Erneuerung“ sich wohlbegründet klären ließen: So dass es umso mehr verwundert und erstaunt, dass bisher nicht viel mehr und gründlicher – gerade im Deutschen Synodalen Weg – der kurialen Forderung „auf Christus als Schlüssel für die Erneuerung zu vertrauen“ entsprochen wurde.

F.

Nun lässt sich gut sagen, dass eine „Erneuerung“ und immer neue Neuwerdung im kirchlichen Sinn stets nur als Rückkehr und Rekurs auf das bewährte alte, oder zumindest unter Einschluss dessen, erfolgen könne. Was erfahren wir dazu etwa im Zeugnis des Neuen Testaments? Im Blick auf „alt/neu“ gibt es zum Beispiel die etwas rätselvolleRede vom neuen Wein in alten Schläuchen, sowie vom alten und vom neuen Flicken:

„Niemand setzt ein Stück neuen Stoff auf ein altes Gewand, denn der neue Stoff reißt doch wieder ab und es entsteht ein noch größerer Riss.“ (Mt 9,16) und „Niemand füllt neuen Wein in alte Weinschläuche. Sonst zerreißen die Schläuche, der Wein läuft aus und die Schläuche werden unbrauchbar. Nein: Neuer Wein gehört in neue Schläuche. So bleiben beide erhalten.“ (Mt 9,17)

Eine Verschränkung oder Umkehrung von Verhältnissen begegnet häufig im Evangelium, z.B. die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten werden Erste sein; oder: Herren, die ihren Knechten dienen; oder: aus klein wird groß, bzw. das Große macht sich klein, usw., oder etwa: „Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen“ (Lk 6,22).

Vielleicht mit am wichtigsten ist aber die Beobachtung, dass der Stifter selbst an entscheidenster Stelle dazu auffordert „Anders zu denken“, „Neu zu denken“, im Denken eine Umkehrung zu vollziehen (das berühmte gr. Meta-noeite [z.B. Mk 1,15], das dann oft mit „Umkehr/Kehrt um“ wiedergegeben wird – wohl, weil ein neues Denken natürlich immer auch eine neue Seinsweise zur Folge hat). Ganz ähnlich schreibt dann der Apostel davon, „das Denken nicht dieser Welt einzupassen“, sondern anders zu denken und das Denken zu erneuern (Röm 12,2).

Dabei ereignet sich so etwas wie eine Neuwerdung (Joh 3,3), die fortan die Existenz auf Dauer bestimmen soll. Denn es gelten dann nicht mehr überkommene Kategorien, sondern ein „neues Sein“ (Gal 6,15). Und dies geht sogar so weit, dass vom Stifter selbst gesagt wird (siehe 2. Kor 5,16), dass dieser nicht mehr nach Kategorien der menschlich-weltlichen Schemata (gr. z.B. „sarx“) gesehen, beurteilt und bestimmt wird. (Wer Ohren hat, zu hören, der höre.)

G.

Was nun das philosophische Argument betrifft, ist interessant, dass ein Neuwerden hier in der theologischen Debatte eintreten und sich ereignen kann durch „Neudenken“, aber ebenso durch eine Neuschöpfung (was immer das dann genau heißt). Letztlich ist beides identisch? Oder nur voneinander abhängig?

H.

Nun ist es eine verbreitete Argumentationsfigur, zu sagen, dass alle kirchlichen Amtsträger dem Urbild der ersten entsprechen müssten.

Allerdings lässt sich fragen, ob es ein Stück weit willkürlich ausgesucht ist, welche jeweiligen Merkmale der Person dann als maßgeblich herangezogen werden, um diesem Ursprung zu entsprechen. So könnte man sagen, dass „ursprünglich nur jüdische Männer – nur Menschen aus dem Judentum – am Mahl teilgenommen haben.“

Das würde in dieser Argumentation dann implizieren, dass ursprungsgemäß nur jüdische Menschen Amtsträger in der Kirche werden könnten.

Editorische Notiz, 30. Januar 2023:
Text geändert unter „H“, zweitletzter Absatz: „persönlichen Merkmale“ ersetzt durch „Merkmale der Person“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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