Dann mach ich halt das Zweitbeste

Sternensehnsucht Erinnerung an einen Raumfahrtvisionär

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Es war im Jahr 1998. Im Frühsommer weilte Jesco von Puttkamer, der 1933 in Leipzig geborene Raumfahrtingenieur, in seiner Funktion als Chef für strategische Planung bei der NASA anlässlich eines Vortrages in der Lausitz. Ich hatte damals Gelegenheit zu einem Gespräch. Wir saßen bei schönstem Sonnenschein mit Blick auf die Oberlausitzer Berge vor einer Baude im Freien. Zur Erinnerung an den im Jahr 2012 verstorbenen Raumfahrtpionier und aus Anlass seines Geburtstages am 22. September nachfolgend ein Auszug aus unserem damaligen Interview. Als Zeitzeugnis ist es erstaunlicherweise noch immer aktuell und wird es weiterhin bleiben.

Sie waren damals beim Apollo-Projekt und damit bei der bemannten Mondlandung dabei. Was war ihr größtes emotionales Erlebnis; woran erinnern Sie sich noch heute besonders?

Die Landung selber! Sie müssen sich vorstellen: Für uns junge Ingenieure waren vorher acht Jahre mit Entwicklungen vergangen, eigentlich nur Traumzeug, Dinge, die nur auf dem Papier da waren. Wir glaubten zwar daran, dass wir es können. Auch Wernher von Braun war eigentlich noch ein Jugendlicher in seiner Traumgetriebenheit, der Dinge leichter sah, als sie dann wirklich waren. Auf der anderen Seite waren wir nicht so gehandicapt wie heute, wo uns die Politiker dauernd über die Schulter schauen und Mikromanagement betreiben, wir alles, was wir tun, vor dem Kongress rechtfertigen, um jeden Dollar kämpfen müssen. Das war damals nicht so. Kennedy hat 1963 die Aufgabe erteilt: Vor Ablauf dieses Jahrzehnts Menschen zum Mond und wieder sicher zurück, Punkt. Und dann ist die NASA an die Arbeit gegangen und niemand hat ihr ins Handwerk geredet. Wir waren damals alle irgendwie jung und naiv, und wir hätten es, wenn wir nicht so gewesen wären, auch nicht geschafft. Ein Versagen gab es nicht, Aufgeben ist keine Option und wir haben niemals bei der NASA ein Problem „Problem“ genannt, sondern immer nur Herausforderung. Die Apollo-Mondlandung war für mich der aufregendste Moment, nach den langen Jahren kam dann diese Erleichterung. Auch der beste Schriftsteller kann die Emotionen nicht nachempfinden, wie man das gesehen hat, mit sich selber irgendwie abmacht. Danach kamen andere Höhepunkte, die emotional unvergesslich sind: Der erste Shuttle-Start, die Explosion von Challenger, als wir sieben Leute verloren, Freunde darunter. Das bringt die Raumfahrt so mit sich, dass man zwischen den Höhepunkten immer hin- und her geschupst wird; einmal himmelhoch jauchzend, das Beste, was man sich überhaupt nur vorstellen kann, aber auch die tiefsten Rückschläge. Bei der Raumfahrt weiß man nie, was herauskommt, und man freut sich halbtot, wenn das herauskommt, was man sich ausgerechnet hat. Das macht das Leben dabei so lebenswert, das ist kein Beruf sondern Berufung. Ich hatte das Glück, zu denen zu gehören, die aus einem Hobby ihr Lebenswerk haben machen können. Bei Apollo war es sogar so: ich konnte morgens gar nicht früh genug ins Büro, hab mich königlich gefreut und abends wollte ich einfach nicht nach Hause. Das ging uns allen so. Meinen ersten Urlaub habe ich nach acht Jahren gemacht, nach der Mondlandung. Vorher wollte ich gar nicht weg, es könnte ja was Aufregendes passieren, wo ich gern dabei gewesen wäre.

Wären Sie gern selbst mal geflogen?

Ja, immer schon. Ursprünglich war das ja mein Motiv. Ich wollte selber in den Weltraum, diese Sternensehnsucht war ja nicht nur, dass man sich auf dem Papier was ausrechnet. In Amerika merkte ich dann, dass die Ausgesuchten Militärs sein und ein Testpilotentraining haben mussten. Außerdem eine gewisse Körpergröße nur, die ersten waren alle relativ klein. Man durfte keine Brille tragen. Da war ich genau „falschrum“. Außerdem bekam ich meine amerikanische Staatsbürgerschaft erst 1967, fünf Jahre nach der Einwanderung. Als eingewanderter Deutscher hätte ich sowieso nicht sofort fliegen können. Ich habe das dann auch Wernher von Braun gesagt, dass es eigentlich schade ist, dass ich ursprünglich selber fliegen wollte. Da lachte er nur und sagte: „Ach weißt Du, Jesco, das ging mir genauso.“ Das hatte er sich auch immer schon so vorgestellt. Aber als er dann merkte, dass er selber nicht zum Fliegen kommt, da sagte er: „Da mach ich halt das Zweitbeste, da bau ich eben die Dinger! Sie zu bauen ist noch viel aufregender, als oben drauf zu sitzen.“

Halten Sie „Terraforming“ durch uns Menschen auf dem Mars für moralisch vertretbar? In der Literatur findet man solche Visionen, dass wir den Mars umgestalten, eine Sauerstoffatmosphäre hinbringen, den Mars für uns bewohnbar machen.

So einfach ist das zum Glück nicht, die Natur lässt sowas nicht ohne weiteres zu. Es ist nicht ethisch vertretbar, wenn das so gemacht wird, wie Sie das beschreiben. Erst mal sind es nicht wir, die da hin fliegen. Es werden Leute sein, die auf dem Gebiet der Ethik etwas weiter fortgeschritten sein werden, die mit ethischen Dilemmas besser fertig werden; die Antworten gefunden haben werden, die wir heute noch nicht haben. Man weiß aber, wenn man beispielsweise ans Mittelalter zurückdenkt, dass auch die ethische Entwicklung eine Evolution durchgemacht hat. Damals sind die Leute zum Wochenende auf den Marktplatz gegangen und es war ein Riesengaudi, bei einer Hinrichtung dabei zu sein. Das war damals ethisch akzeptabel. Heute denken wir über Tiergesetze nach. Wenn es Menschenrechte gibt, muss es auch Tierrechte geben, und das wird kommen. So wird man eines Tages diese Frage besser beantworten können. Man wird Terraforming, also das Umgestalten nach dem Ebenbild der Erde, erst machen, wenn man sicher ist, nicht eine eingeborene Lebensform umzubringen. Wenn der Mars völlig steril sein sollte und wir eines Tages die Sicherheit hätten, dass es kein anderes Leben auf ihm gibt, dann sehe ich eigentlich keinen Grund, warum man ihn nicht umändern sollte. Das ist dann irgendwie ein göttlicher Auftrag: Ihr sollt Euch die Erde untertan machen. Das wäre ethisch vertretbar. Wenn wir dabei aber anderes Leben vernichten, dann ist das eine Perversion. Das Problem ist jedoch, die Nichtexistenz von Leben nachzuweisen. Wir werden Jahrzehnte, Jahrhunderte auf dem Mars forschen, um wirklich beweisen zu können, dass es kein Leben dort gibt. Wenn der Mensch es lernt, sich im Weltall fortzupflanzen, sich eine zweite Erde zu schaffen, dann wird er wirklich unsterblich werden. Das ist die Unsterblichkeit, die er an sich sucht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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