Immer in Begleitung

Fragwürdig Vom Unbehagen

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Vor Autowerkstätten habe ich mindestens einen gewissen Respekt, wenn nicht gar Scheu. Auch wenn die Mitarbeiter dort noch so freundlich sind, mir ein Durchhaltekaffee angeboten wird und ich im bequemen Sessel auf den Meister von Motorraum und Unterboden warten darf. Irgendwie habe ich immer das Gefühl, als in Zündkerzen- und Vergaserdingen Unbewanderter in Verlegenheit gebracht zu werden.

Das rührt sicher noch aus meiner Zeit bei der Armee her, wo ich während meiner Dienstzeit nicht nur für die Nachrichtentechnik, von der ich etwas verstehe, sondern auch für die KFZ-Technik zuständig war. Und speziell in der bin ich wenig bis gar nicht bewandert. Wenn es darum ging, dass ein ganz spezielles Ventil in irgendeinem Panzer defekt war, konnte ich nur glauben, was mir der Mechaniker aus den Tiefen des Fahrzeuginneren berichtete. Ich glaubte es auch, besorgte besagtes Teil und alles war gut. Trotzdem blieb dieses Gefühl der Unsicherheit bis heute.

Wenn nun bei der turnusmäßigen Wartung meines motorgetriebenen Fortbewegungsmittels festgestellt wird, dass der Marder sich wieder einmal in das Schlauchsystem von Kühlung oder Kraftstoff verbissen zu haben scheint, mir der Werkstattmeister lächelnd, aber bestimmt, die Kosten für Ersatz und Einbau mitteilt, dann kann ich auch das nur glauben. Ist bei den Bremsen etwas abgenutzt, eine Dichtung defekt oder ein Sensor den Tod der Dinge gestorben, so kann ich das ebenfalls nur glauben. Selbst dann, wenn mir der noch immer freundliche Meister die ausgebauten Teile zum Mitnehmen auf den Tisch legt. Er könnte mir auch Teile eines Fahrzeuges zeigen, welches ich gar nicht besitze, beurteilen könnte ich es nicht. Deshalb bin ich nie ganz allein beim Besuch einer Werkstatt, mich begleitet immer das Unbehagen.

Was gilt dieses jedoch gegen jenes Unbehagen, welches einen kranken Menschen beschleicht, der den Arzt seines Vertrauens aufsucht. Obgleich ihm hier der Kaffee versagt bleibt, im Gegensatz zur Autowerkstatt lange Wartezeiten eher die Regel als die Ausnahme sind und er, statt in bequemen Sesseln zu sitzen, mit harten Stühlen Vorlieb nehmen muss. Ansonsten ist der Unterschied zur Reparaturwerkstatt gar nicht so groß. Auch hier werden ihm Leistungen auf dem Basar der Möglichkeiten angeboten, deren Kosten keine Krankenkasse übernimmt und deren Nutzen er als Patient überhaupt nicht einzuschätzen vermag. Muss beispielsweise eine als notwendig erachtete Operation nun durchgeführt werden oder ist sie nur deshalb notwendig, weil sie der Gesundheitseinrichtung Umsatz bringt?

Woher soll der Durchschnittsmensch wissen, ob eine Ultraschalluntersuchung sinnvoll ist, ob Glaukom-Früherkennung etwas bringt oder die Bestimmung des PSA-Wertes vor Krebs schützt? Er kann es nicht wissen, muss sich also auf die Aussagen seines Arztes verlassen können. Der aber ist, neben seiner Tätigkeit als Mediziner, auch in zunehmendem Maße ein Unternehmer, der seine Praxis am Laufen und sein Personal bezahlt wissen will. Wird er da nicht gelegentlich auf Umsatz und Rendite schielen, wenn ihm der ein oder andere Patient gerade recht kommt?

Mich beschleicht besagtes Unbehagen, wenn ich mir vorstelle, dass ein Mediziner Gefallen an meinen Innereien finden könnte, weil ihm der ein oder andere Euro im Geldbeutel fehlt. Ein permanent überfordertes Gesundheitssystem, das nicht dem Dienst am Menschen sondern der Rendite verpflichtet ist, macht mir Angst. Stundenlanges Ausharren in überfüllten Wartezimmern, Terminvergaben über Monate im Voraus und überlastetes Klinikpersonal sind ein untrügliches Zeichen für ein falsches System, eines, das sich der neoliberalen Ordnung vollständig unterworfen hat.

Und das Unbehagen bleibt!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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