Keine Feierlaune

3. Oktober Zum Tag des Beitritts

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Es wird wieder gefeiert werden, es werden wieder die üblichen Sonntagsredner zu hören sein und wir werden wieder Genschers berühmten Halbsatz zu hören bekommen. Alles wird wie immer sein in den letzten Jahrzehnten. Es wird der als Wiedervereinigung getarnte Anschluss des Ostens an den Geltungsbereich des Grundgesetzes gefeiert. Damit ich nicht falsch verstanden werde: ich möchte die DDR nicht zurückhaben, keinen Sozialismus in DDR-Ausprägung mehr erleben müssen. Die sozialistische Idee allerdings sollte weiter diskutiert werden. Was damals in der „Wendezeit“ so hoffnungsvoll begann, ist mittlerweile zur langweiligen Routine bundesdeutschen Beamtentums verkommen. Die Hoffnung war riesig auf Veränderung, auf Neues, auf freie Rede und freies Handeln, ohne ideologische Beeinflussung und ohne die Rechthaberei von „oben“. Es gab ein Bedürfnis nach echter Demokratie, nach freiem politischem Handeln. Die Luft am Ende der DDR war stickig, im realen wie übertragenen Sinn. Leider hatte aber der „dritte Weg“ eines erneuerten Sozialismus keine Chance, realisiert zu werden.

Den meisten Botschaftsflüchtlingen ging es damals weder um politische Veränderung, noch um ideologiefreies Handeln. Sie hatten einfach nur die „Schnauze voll“ von den offiziellen Phrasen, wollten Konsumgüter kaufen können und letztlich reisen, wann und wohin sie wollen. Das mit den Phrasen hat sich seither nicht allzu sehr geändert, die anderen Wünsche gingen jedoch in Erfüllung.

Aber kann das das Maß der Einheit sein? Statt einer wirklichen Vereinigung gab es den Beitritt. Und damit auch alles schön beim Alten bleibt, wird seit Dekaden auch nicht mehr über die Schaffung einer gemeinsamen Verfassung nach §146 Grundgesetz geredet. Wann endlich werden sich die Deutschen diese Verfassung in einer großen und gemeinsamen Volksabstimmung geben? Ich fürchte sehr, dass es in der bundesrepublikanischen Politik überhaupt kein Interesse gibt, das Volk zu befragen. Möglicherweise spielen da Ängste vor dem Verlust an Macht eine große Rolle.

Die ehemaligen Bürger des Ländchens DDR war begierig darauf, dass ihre Stimme zählt, ihre Meinung Gewicht hat. Mittlerweile sind wir soweit, dass jeder fast alles öffentlich sagen kann und darf, und damit so gut wie nichts erreicht. Volksabstimmungen? Fehlanzeige. Wahl des Bundespräsidenten? Fehlanzeige, wird hinter verschlossenen Türen ausgeklüngelt. Die aktuell diskutierten Freihandelsabkommen werden gar gleich unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der gewählten Volksvertreter geheim verhandelt. Den politischen Eliten in diesem Land und möglicherweise sogar in Europa ist die wirkliche Demokratie, die Mitbestimmung durch das Volks, lästig geworden, es stört im täglichen Handeln. Das Volk bleibt draußen. Wie marginal Veränderungen sind, die durch Wahlen erreicht werden, zeigt die politische Praxis nach jedem Urnengang neu. Zwar ändern sich die Gesichter, die Politik bleibt tendenziell gleich, egal wer Volksvertreter ist. Der personifizierte Widerspruch deutscher Realpolitik ist der Bundespräsident. Er wird nicht müde, von Freiheit und Demokratie zu reden. Sein Weg ins Präsidialamt aber wurde ihm nicht vom Volk bereitet, sondern von im Parteienfilz gewachsenen Wahlmännern und –frauen. Wahre Volksherrschaft sieht anders aus.

Und da der bundesdeutschen Wirklichkeit das Korrektiv des Ostens abhandengekommen ist, es einverleibt wurde, gibt es nun seit Jahren beispielsweise im Sozialbereich die Hartz IV-Gesetze. Es wäre in der alten Bundesrepublik vor der Wende schlechterdings unmöglich gewesen, diese Gesetzte durchzubringen. Damals musste sich der Westen noch im Wettbewerb der Systeme behaupten. Seit es diesen Wettbewerb nicht mehr gibt, hat das Kapital freie Hand. Und die meisten Parteien sind dessen willfährigen Helfer, bewusst oder aus Naivität.

Nun ist der gegenwärtige Katzenjammer groß weil die Partei mit der Alternative im Parteinamen erstarkt. Ja, ist das ein Wunder? Wer über Jahrzehnte hinweg Volkes Stimme ignoriert, von Demokratie und Mitbestimmung redet, statt sie zu realisieren, wer nach Wahlen anderes tut, als er vor Wahlen verspricht, der muss sich nicht wundern, wenn der sogenannte Volkszorn überkocht und sich die vermeintlich Benachteiligten Luft machen. Und das Ventil ist eben genau diese neue Partei, die zwar keine wirklichen Lösungen bietet, aber gehörig auf die Pauke zu hauen versteht.

Nehmt das Volk ernst, sonst könnten in Zukunft noch ganz andere Wahlergebnisse blühen. Und die wären dann garantiert gar kein Grund mehr zum Feiern.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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