Laurentiustränen

Himmelskunde Wenn die Sterne schnuppe sind

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Der August ist der Monat der Sternschnuppen, auch „Tränen des Laurentius“ genannt. Der römische Kaiser Valerius ließ im August anno 258 den heiligen Laurentius qualvoll im Feuer sterben, weil dieser den örtlichen Schatz der Kirche nicht rausrücken wollte und das tat, was in der Kirchengeschichte nur gelegentlich vorzukommen pflegt: er verteilte die heiligen Reichtümer an Arme und Bedürftige. In der Nacht nach der Hinrichtung weinte der Himmel Tränen, die Sternschnuppen im August tragen seither den Namen des römischen Diakons.

Und obwohl eigentlich das ganze Jahr über Meteore, wie man diese „Tränen“ wissenschaftlich nennt pflegt, beobachtet werden können, gehört der Meteorstrom der Perseiden zu den bekanntesten. Seinen Namen verdankt er dem Sternbild Perseus, aus welchem die Sternschnuppen offenbar zu kommen scheinen, wenn man ihre Flugbahn „nach hinten“ verlängert. Dieser scheinbare Ausgangspunkt, der sogenannte Radiant, liegt im Perseus. Ursache für die „Laurentiustränen“ ist eine „Kometenleiche“, das Auflösungsprodukt eines „Schweifsterns“.

Jedes Jahr im August kreuzt unsere Erde die Bahn des Kometen Swift-Tuttle. Dessen Zerfallsprodukt, Staub in Millimetergröße, führt beim Eintritt in der Erdatmosphäre zur Ionisation und damit zum Erzeugen einer schönen Leuchtspur, bei deren Sichtbarwerden wir uns etwas wünschen können. Natürlich können wir uns auch ohne Sternschnuppen etwas wünschen, mit ihnen ist es aber weitaus romantischer.

Wer nun in warmen Augustnächten unter dem Sternenhimmel liegt, den Kosmos in einer lauen Sommernacht auf sich wirken lässt, fühlt sich im Angesicht der unendlichen Weite, der abertausend Sterne im Lichterband der Milchstraße klein und unwichtig. Umso schöner ist es, etwas über die Welt der Sterne und Planeten zu wissen. Es gehört zu den intellektuellen Freuden, Sterne und Planeten am Himmel zu benennen, ihre Bewegungsabläufe und ihren Aufbau wenigstens in Grundzügen zu kennen.

Diese Fähigkeit scheint aber in weiten Kreisen der Mitbürgerschaft wenig verbreitet zu sein. Astronomisches Wissen fristet ein Schattendasein, da es kaum praktische Bedeutung in unserem rein wirtschaftlich orientierten Leben hat. Das Wissen um die Sternenwelt macht uns nämlich unsere Stellung im Weltganzen anschaulich klar. Aber viele wollen und noch mehr sollen das gar nicht wissen. Wie sonst ist zu erklären, dass der Astronomieunterricht an unseren Schulen eine marginale Veranstaltung ist.

In der ehemaligen DDR gehörte das Fach Astronomie in der 10. Klasse zu den Pflichtfächern und sollte, quasi abschließend und fächerübergreifend, den jungen Menschen etwas über das Weltganze vermitteln. Leider wurde Astronomie in Sachsen im Jahr 2007, trotz zahlreicher Proteste, als Pflichtfach abgeschafft. Allseitige, also auch astronomische Bildung wird hier als überflüssig angesehen und auf andere Fächer verteilt. Nur in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg gibt es Astronomie noch als Pflichtfach, die alten Bundesländer sehen astronomisches Wissen schon immer als Privatsache und damit als freiwillig an.

Und obwohl gerade die Astronomie mit ihren zahlreichen Querverbindungen zu vielen anderen Wissensbereichen, zur Physik, Chemie und Mathematik genauso wie zur Kunst und Literatur, einen riesiges Potential an Anschauung und emotionalem Erleben bilden könnte, fristet sie ein Mauerblümchendasein und ist bezeichnend für das, was wir heute unter Bildung zu verstehen haben. Ist Wissen praktisch, für die kapitalistische Wirtschaft nützlich, wird es gelehrt, wenn nicht, dann bleibt es Privatangelegenheit.

Eine Gesellschaft, der das Wissen um die Astronomie egal ist, die aber gleichzeitig einen riesigen Nutzen aus deren praktischer Anwendung zieht, verhält sich geradezu schizophren. Genannt seien hier nur die Stichworte Satellitennavigation, Fernseh-, Rundfunk,- und Kommunikationssatelliten sowie Erdfernerkundung zur Rohstoffgewinnung und zur militärischen Spionage und Überwachung. Das alles ist ohne die Wissenschaft Astronomie und deren Tochter Astronautik nicht denkbar.

Uns sollte ein hohes Maß an Allgemeinbildung nicht schnuppe sein, weil wir sonst die Sterne samt ihren Schnuppen irgendwann mal nicht mehr beim Namen nennen könnten. Bildung und Wissen sollten niemals wieder elitär sein. Astronomie muss deshalb genauso zur umfassend gebildeten Persönlichkeit gehören wie es für den völlig überflüssigen Religionsunterricht selbstverständlich ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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