Mutlos, kraftlos, visionslos

Rücktritt Für einschneidende Veränderungen in Sachsen wäre Personal notwendig, das es offenbar in der CDU nicht gibt

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Tillich steht für eine verwaltende Politik ohne Visionen. Personal, das es anders machen könnte sucht man in der Sachsen-CDU vergeblich
Tillich steht für eine verwaltende Politik ohne Visionen. Personal, das es anders machen könnte sucht man in der Sachsen-CDU vergeblich

Foto: Johannes Simon/Getty Images

Die christlichen Demokraten in Sachsen haben das Wahlfiasko noch nicht so richtig verarbeitet, da scheint sie ihr Vorsitzender und Ministerpräsident Tillich in weitere turbulente Zeiten zu stürzen. Er tritt zurück. Weil es Mut braucht, gewohnte Bahnen zu verlassen, sagt er. Nicht wegen eigener Unterlassungen, Fehler oder gar Unfähigkeit. Weil es neue, frische Kraft braucht, sagt er auch. Und meint mit neuer, frischer Kraft den Wahlverlierer Michael Kretschmer, der ganze sechzehn Jahre jünger ist. Der hat seinen Wahlkreis an den Kandidaten der Alternativen Deutschen verloren und wird dafür mit dem respektablen Posten des neuen Ministerpräsidenten belohnt. Wie ist das mit dem Gärtner, der früher ein Bock gewesen sein soll? Und obwohl es der Herr Bundesminister für die inneren Angelegenheiten nicht hören will, sei es trotzdem gesagt: hier wird ein Verlierer zum Sieger gekürt. Vor laufenden Kameras äußerte De Maizière, diese Sicht der Dinge stimme nicht. Gelegentlich könnte man De Maizières Einlassungen auch als Wahrnehmungsstörung bezeichnen.

Genau so funktioniert seit Jahren das Regieren im Sachsenländle. Man fühlt sich als die unfehlbare und unverzichtbare politische Kraft, hat die Weisheit mit Löffeln gefressen, war kaum einmal um Antworten verlegen und steht nun staunend vor einem Wahlvolk, dass jene in Mehrheit nicht mehr haben will, die verantwortlich für den Zustand des Landes sind. Verwaiste Landstriche, ländliche Regionen ohne Einkaufsmöglichkeit, ohne Bäcker, Fleischer und Post, verödete Innenstädte, fehlende Ärzte, privatisierte Daseinsvorsorge allenthalben und nun auch noch massiver Lehrermangel an den Schulen. Von zunehmender Armut, nicht nur, aber auch im Alter, ganz zu schweigen. Das ist vorausschauende Art, Politik zu machen – danke liebe CDU in Sachsen. Es ist eine Schande für ein Land, das sich als Kulturnation begreift, wenn ihr die Lehrer ausgehen. Wer in der Sachsen-CDU konnte denn bei der Lehrerpersonalplanung nicht rechnen? Die Anzahl der Schüler ist doch nicht aus dem Nichts entstanden, die Anzahl Schulen bekannt, ebenso die Klassengrößen. Solche Aufgaben löst man spätestens in der fünften Klasse.

Noch vor einigen Jahren wurden Schulen geschlossen. Nun plötzlich merkt man, dass die Erzeugung von Nachwuchs doch nicht zum Erliegen kam und man wieder Schulen bräuchte. Auch hier ist die weise Voraussicht kluger CDU-Politiker deutlich spürbar. Für die Schüler sind die weiten Schulwege, insbesondere die auf dem Land, eine Zumutung. Nur weil wir es uns nicht anders leisten wollen, müssen junge Menschen mit Bussen in die Schulen gekarrt und weiteste Wege in Kauf genommen werden.

Einige CDU-Politiker hielten sich bisher für unverzichtbar und mussten nach der Bundestagswahl feststellen, dass sie es doch sind. Mancher fiel sogar aus allen Wolken und landete im Schwarzen Loch. Ein Schwarzes Loch scheint irgendwie ein passender Ort für die Christdemokratie zu sein. Macht korrumpiert, das ist offenbar zu allen Zeiten so. Nach weit über einem Vierteljahrhundert wäre es an der Zeit, die Machtverhältnisse (nicht nur) in Sachsen zugunsten einer zukunftsfähigen und klugen Politik zu ändern. Einer Politik, die für Menschen gemacht wird, nicht für Banken und Konzerne. Von Politikern, die nicht, wie Tillich, nur verwalten sondern gestalten. Die Ideen haben, die bereit sind, mit ihren Kritikern zu sprechen. Der Frust auf die etablierte Politik, welcher sich nicht zuletzt seit Jahren auf der Straße äußert und der nun im Wahlergebnis deutlich wurde, ist doch maßgeblich von der CDU mitverursacht worden. Dafür hat der scheidende Oberminister Tillich die Verantwortung leider nicht übernommen.

Michael Kretschmer verlautbarte bereits, er wolle eine Koalition mit allen Sachsen eingehen, die Menschen zum politischen Mitmachen bewegen. Das ist ein guter Witz. Seine Partei hatte über zwei Dutzend Jahre lang Zeit, die Menschen für sich zu gewinnen. Offensichtlich ist ihnen das nicht ganz gelungen. Dafür trägt auch Kretschmer politische Verantwortung.

Für einschneidende Veränderungen wäre Personal notwendig, das es offenbar in der CDU nicht gibt. Jedenfalls ist eine charismatische Persönlichkeit mit Visionen für die Zukunft weit und breit nicht auszumachen. Der farblose Wahlverlierer Michael Kretschmer wird das Land Sachsen vermutlich nicht in die Zukunft führen können. Das Ergebnis dieser Parteikaderentscheidung wird bei den nächsten Landtagswahlen sichtbar werden. Wir dürfen gespannt bleiben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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