Die Verschwiegene Schlacht

Syrien In Deir Ez-Zor versuchen derzeit die Syrische Armee und die russische Luftwaffe, eine Eroberung der letzten Regierungs-Enklave in Ost-Syrien zu verhindern.

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Angesichts der Befreiung beziehungsweise des Falls von Aleppo - je nach Sichtweise - sowie der anhaltenden Wassernot in der syrischen Hauptstadt Damaskus hat der fortgesetzte Kampf um die Hauptstadt der gleichnamigen und fast vollständig unter Kontrolle des IS stehende Provinz Deir Ez-Zor bislang kaum mediale Aufmerksamkeit erhalten. Dabei droht nach der dritten IS-Offensive in wenigen Tagen eine Einnahme der Stadt durch den Islamischen Staat samt nachfolgender Massaker sowohl an den Regierungssoldaten wie auch an der Zivilbevölkerung. Das kollektive Ausblenden dieses Kampfes hat auch politische Gründe, denn die Situation in Deir Ez-Zor ist praktisch entgegengesetzt zur Situation von Aleppo vor der vollständigen Eroberung durch die syrische Armee.

Von Islamisten belagert

Ein Grund für das nachhaltige Totschweigen der Situation um Deir Ez-Zor dürfte die Tatsache sein, dass es sich hierbei um eine Stadt handelt, die seit Jahren vom Islamischen Staat belagert wird und bislang zumindest in Teilen von den syrischen Regierungstruppen gehalten werden konnte. Damit passen die Ereignisse im Kampf um die Stadt nicht ins gängige Narrativ, nach welchem der syrische Staat ohne Rücksicht auf Mensch und Material einen brutalen Krieg gegen seine Zivilbevölkerung führt, denn: Bereits seit Jahren wird die Provinzhauptstadt über die Luft versorgt. Das gilt sowohl für Nahrungsmittellieferungen, als auch für Nachschub für die syrische Armee. Die Luftbrücke in Syrien, die beispielsweise auch von hiesigen Politikern immer wieder auch für das vormals von islamistischen Kämpfern gehaltene Ost-Aleppo gefordert wurde, ist längst Realität. Das könnte nun ein Ende haben, denn nach mehreren Wellen von Angriffen, an denen insgesamt bis zu 14.000 IS-Kämpfer beteiligt sein sollen, konnten die Truppen des Terror-Kalifats die verbliebenen Regierungsgebiete erfolgreich in zwei Hälften teilen. Angesichts der Lage mitten in IS-Gebiet ist eine weitere Verstärkung der verteidigenden Einheiten in Deir Ez-Zor nicht möglich, genau so wenig wie ein koordinierter Rückzug der Truppen. Die Lage ist zur Zeit besonders heikel, und sollte die Stadt in die Hände des IS fallen, wird die Propagandaabteilung des IS wieder viel Bildmaterial von brutalen Hinrichtungen, Massenexekutionen und Folter bieten können.

Während also der IS in den Regionen Mossul, Palmyra und Rakka, wo kurdische YPG-Truppen recht erfolgreich vorrücken konnten, in die Defensive geraten ist, wäre die Eroberung von Deir Ez-Zor ein wichtiger symbolischer Sieg für den IS, dessen Kosten die dort lebende, überwiegend sunnitische und kurdische Bevölkerung tragen müsste. Besonders heikel ist dabei, dass der Grundstein für die graduelle Verschlechterung der Situation für die Regierungstruppen im September von US-Truppen gelegt wurde.

Absicht oder Nicht?

Soviel steht bislang fest: Am 16. September 2016 griffen Flugzeuge der Anti-IS-Koalition der USA Stellungen der syrischen Armee an. Dabei kamen mindestens 62 Soldaten ums Leben, weitere 160 wurden teils schwer verletzt. Außerdem wurden Fahrzeuge und Panzer zerstört. Die Angriffe hätten außerdem aus syrischer Sicht zu keinem ungünstigen Zeitpunkt kommen können. Bereits zuvor ist ein Verteidigungskampf um die al-Tharda-Berge entbrannt, welche die Stadt umgeben und etwaigen Angreifern eine sehr günstige Position zur Attacke auf die Stadt verschaffen. Die IS-Terroristen fackelten nicht lange und nutzten die Todesopfer, den Überraschungsmoment sowie die zerstörten Verteidigungslinien der Syrischen Armee und überrannten deren Positionen. Die Armee musste sich zurückziehen und die Berge werden bis heute vom IS gehalten und wiederholt als Ausgangsbasis für Angriffe auf die Stadt genutzt.

Ob es sich bei dem Vorfall um pure Absicht, oder ein tödliches Versehen handelte, wie von den USA behauptet, wird hingegen unterschiedlich beantwortet, je nachdem, wen man fragt. Es sprechen allerdings viele Punkte für einen gezielten Angriff der Amerikaner, von denen die geleakte Audio-Datei von Noch-Außenminister John Kerry nur der letzte ist. In diesem Gespräch mit syrischen oppositionellen gibt dieser freimütig zu, sich des IS bedient zu haben, um Assad an den Verhandlungstisch zu zwingen.

Während die UN-Diplomatin der Vereinigten Staaten, Samantha Powers, pflichtgemäß versuchte, den Vorfall herunterzuspielen und stattdessen auf etwaige Kriegsverbrechen der syrischen bzw. russischen Regierung verwies, stellte ihr russischer Gegenpart, Vitali Tschurkin, die Sache anders dar. Laut dem Spitzendiplomaten sei es unwahrscheinlich, dass die Amerikaner plötzlich beschlossen hätten, der syrischen Armee zu Hilfe zu kommen. Andere Truppen als jene des IS und die der syrischen Armee sind in dem Gebiet aber nicht zu finden, selbst wenn man der westlichen Sichtweise Glauben schenkt und die FSA, Jabhat Fatah al-Sham (vormals Al-Nusra) und Co. als „moderate Rebellen“ betrachtet. Auch laut den Aussagen der Soldaten der Syrischen Armee, die den Vorfall überlebt haben, wurden ihre Stellungen gezielt beschossen. Dabei seien laut den Aussagen nicht nur Cluster-Bomben eingesetzt worden, sondern die sich zurückziehenden Truppen seien von Drohnen und Kampfhubschraubern aus mit MG-Feuer beschossen worden. Pikant dabei: Glaubt man den Aussagen, so haben die Amerikaner am Tag vor den Luftangriffen das Gebiet um Deir Ez-Zor mit Drohnen überflogen und gescannt. Die Behauptung, man habe nicht gewusst, dass es sich bei den Stellungen um jene der Regierungsarmee und nicht solche des IS gehandelt habe, scheinen angesichts dieser Aussagen besonders lächerlich.

IS: Nach wie vor stark

Die Situation um die Rückeroberung Palmyras durch den IS und die imminente Eroberung Deir Ez-Zors ist vom Westen teilweise gewollt. Auch wenn es von den meisten deutschen Medien verschwiegen wurde: Die USA, die Türkei und Saudi-Arabien haben kein Geheimnis daraus gemacht, dass man den IS-Truppen den freien Abzug aus Mossul gestattet, wenn diese bloß nach Syrien verschwinden. Der Exodus an IS-Terroristen, die aus dem irakischen Mossul gen Syrien losgelassen werden, trägt sicherlich zur prekären militärischen Situationen in den Provinzen Homs und Deir Ez-Zor bei. Auch das ist politisch gewollt: Während der Kampf um Mossul von Medien wie der Tagesschau regelrecht glorifiziert wird, sieht es bei Befreiungskämpfen in Syrien schon ganz anders aus. Hauptunterschied: Im Irak kämpfen neben den irakischen Truppen vor allem Flugzeuge der westlichen Koalition, in Syrien ist es die russische Luftunterstützung, welche die syrische Regierung am Leben hält. Eine Befreiung Mossuls wäre ein großer Erfolg für den Westen und wird entsprechend medial ausgeschlachtet werden, währen die Eroberung von Aleppo teilweise als Beginn eines Genozids gewertet wurde.

Es ist nicht auszumalen, wie viele Opfer eine Eroberung der Provinzhauptstadt Deir Ez-Zor seitens des IS für die dort verbliebenen Truppen und die Zivilbevölkerung bedeuten würde. Auf der Strecke bleiben wie immer die Zivilisten, die diesen Krieg nicht gewollt haben und den Preis dafür mit ihrem eigenen Blut zahlen müssen, während in den meisten deutschen Medien nach wie vor das Bild des völkerauslöschenden Diktators gezeichnet wird, dessen Vertreibung mit Waffengewalt und Terrorismus nichts weiter ist als ein Freiheitskampf. In dieses Bild passt auch eine der letzten Entscheidungen Obamas seiner Amtszeit, den Rebellen in Syrien weitere schultergestützte Anti-Luft-Waffen zu schicken, mit denen der Friedensnobelpreisträger kurz vor seiner Amtsübergabe noch einmal Öl ins Feuer gießt.

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