Mario Draghi – Hängt ihn niedriger!

Eurokrise Derzeit muss Mario Draghi, der scheidenende EZB-Chef viel Kritik in der deutschen Medienlandschaft einstecken. Zu Unrecht.

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Man muss zugeben, dass die Karten für Draghi nicht gerade gut stehen. Er ist Italiener, und die gelten allgemeinhin als Volk, das nicht mit Geld umgehen kann. Italien ist zwar ein Hochindustrieland und Mitglied der G-7, aber altbewährte Vorurteile halten sich nun mal länger, als es die Realität eigentlich zulässt. Dann war er auch noch – neben dem Finanzministerium und der Weltbank – Vizepräsident von Goldman-Sachs. Die Wechsel von Politik zu Wirtschaft und wieder zurück, sprechen nicht gerade für ihn. Auch kritische Journalisten können sich bestimmt einen integereren Lebenslauf vorstellen und tun auch gut daran, sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Aber Vizepräsident von Goldman-Sachs, wird man auch nicht, nur weil man ein bisschen im italienischen Finanzministerium mitgearbeitet hat.

Die Eurorettung

Aber selbst ein Goldman-Sachs-Banker hat durchaus das Recht, dass man seine Arbeit unabhängig von allen Vorurteilen bewertet. Draghi wurde Ende 2013 zum Chef der EZB ernannt, mitten in der Eurokrise. Jede Woche gab es neue Horrormeldungen und keiner wusste mehr weiter. Dabei setzte er sich gegen Kandidaten wie Axel Werber durch. Jener Bundesbankchef Axel Weber, der im August 2007, wenige Tage ehe der Interbankenmarkt faktisch zum Erliegen gekommen war, in einer Presskonferenz nur Probleme bei einzelnen Instituten sah und keine Gefahr für deutsche Banken erkennen konnte.

Knapp ein halbes Jahr nach Draghis Amtsantritt, die Eurokrise griff mittlerweile auf Frankreich über, nahm er als Notenbanker seinen Job ernst und kündigte in seiner berühmten Rede an, dass er zukünftig Staatsanleihen der strauchelnden Euroländer unbegrenzt kaufen würde. Wie konnte er das finanzieren? Er ist Chef der europäischen Notenbank, deren Aufgabe es ist, das Geld in Umlauf zu bringen. Er zeigte dadurch, dass die Zentralbanken echte Macht auf den Finanzmärkten besitzen. Er kündigte mit seiner berühmten Whatever-it-takes-Rede an, Staatsanleihen auf dem normalen Sekundärmarkt zu kaufen, also dort, wo auch Private sie erwerben können. Seine Ankündigung sicherte die Staatsfinanzierung, vor allem von Italien, Spanien und Portugal und nahm den Druck von diesen Ländern, deren Zinsen für Anleihen immer weiter stiegen. Ob dies legal war, musste erst der Europäische Gerichtshof entscheiden. Dieser urteilte in einer merkwürdigen Entscheidung, dass Draghis tun mit den europäischen Verträgen übereinstimmt, obwohl Staatenfinanzierung der EZB explizit verboten ist. Er zeigte damit aber auch die Fehlkonstruktion der Maastrichtverträge, die nach dogmatischen monetaristischen Vorstellungen konstruiert sind. Die Staaten der Eurozone können nur auf dem normalen Bankenmarkt über Staatsanleihen Geld leihen. Nicht direkt über die Zentralbank. Sogar die schärfsten Kritiker räumen ein, dass Draghi dadurch den Euro gerettet oder zumindest stabilisiert hat. Oft mit dem Zusatz, dass allein seine Rede schon die Finanzmärkte entspannt hat. Schon das sollte ein Bundesverdienstkreuz mit Schulterband wert sein. Übrigens gratulierte auch Axel Weber.

Kritik ohne Alternative

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Nullzinspolitik, die Draghi – meist gegen deutsche Kritiker – durchsetzte. Und es ist tatsächlich so, dass Nullzinspolitik große Nachteile hat. Vor allem für diejenigen, die Geld sparen wollen. Also bspw. Lohnabhängig beschäftigte, die, nachdem die gesetzliche Rente zusammengespart wurde, einen Riester- oder Rürupvertrag abgeschlossen haben. Aber natürlich auch Goldman-Sachs, die mit dem Zins schließlich einen Teil ihres Geldes verdienen und dieses bei kriselnden Bösen und Finanzmärkten gerne in festverzinslichen Wertpapieren in Sicherheit bringen. Nicht zuletzt ist es aber für die Staaten so günstiger, sich am Kapitalmarkt (den sie ja aufgrund der Maastrichtverträge nutzen müssen) zu finanzieren. Leider sind Staaten, die mit billigem Geld ihre Wirtschaft in Ordnung bringen in der Eurowelt nicht vorgesehen.

Um genau zu sein, ist die Nullzinspolitik der Notstopp der neoliberalen Konjunkturpolitik. In der Eurokrise, die ja bis heute andauert, brach die Konjunktur stark ein und konnte nur durch kurzfristige Rettungsaktionen und Konjunkturprogramme stabilisiert werden. Dennoch stiegen die Investitionen nicht an, die den wichtigsten Faktor für die Konjunktur darstellen. An der Investitionsquote kann man ablesen, wie sich die Wirtschaft zukünftig entwickelt. Wird investiert, wächst das Ganze. Niedrige Zinsen zwingen die Marktteilnehmer dazu, dass Geld im Umlauf zu halten, es eben zu investieren. Am besten in die Wirtschaft und nicht in windige Finanzprodukte. Aber leider ist Konjunkturpolitik vom Notenbankchef in der neoliberalen Welt gar nicht vorgesehen und rief Kritiker auf den Plan. Unter andern auch Axel Weber, der gerne im Focus die leichtfüßige Geldpolitik der EZB angreift. Vielleicht hat er immer noch nicht verstanden, wie sich die Welt seit August 2007 verändert hat?

Draghi reagiert mit seiner Nullzinspolitik nur auf die Gegebenheiten der Eurokrise, die er nicht verursacht hat. Dabei stehen ihm als EZB-Chef nur begrenzte Mittel zur Verfügung. Er reagiert, wie die großen Notenbanken in etlichen Industriestaaten. In Japan liegt der Zins ebenfalls bei 0,1 %, in den USA bei 1,5 %, in Großbritannien bei 0,75 %. Zum Vergleich lag der Zins in der Eurozone 2008 noch bei über 4 %. Zentralbanker weltweit setzen auf dieses Mittel. Sie können damit nicht die Ursache bekämpfen, denn die liegt in einer gescheiterten neoliberalen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Sie können nur versuchen, die Folgen abzumildern. So auch Draghi, der sich vielen Angriffen von Marktfundamentalisten erwehren musste. Die Ursachen für die Zinsen bei Draghi zu suchen, ist so billig, wie den Feuerwehrmann, der den Brand gelöscht hat für den Wasserschaden verantwortlich machen. Es impliziert auch, dass es innerhalb der Maastrichtverträge derzeit Alternativen dazu gibt. Die amerikanische Notenbank hat zuletzt 2019 versucht, den Leitzins um wenige Prozent anzuheben. Der Versuch wurde schnell wieder aufgegeben. Es lenkt von den wahren Ursachen der Krise ab, Draghi sein Bundesverdienstkreuz nicht zu gönnen. Und es zeigt, dass viele immer noch nicht begriffen zu haben scheinen, wie schwer diese Krise ist, die uns noch Jahre begleiten wird.

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