Die hässliche Seite der "besorgten Bürger"

PEGIDA Am 20. Oktober 2014 fiel das erste Wort, kaum 12 Monate später der erste Mensch - durch die Hand derjenigen, die das Wort propagierten.

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Mit etwa 4 Millionen Muslima und Muslime in Deutschland kann man nicht mehr von einer Minderheit sprechen. Der (politische wie religiöse) Islam verkommt in Deutschland zu einer abstrahierten Form in im Bürgertum geduldeten Schablone des Rassismus, so wird zwischen „gutem“ und „schlechtem“ Rassismus unterschieden. Wenn eine Politiker niedergestochen wird, mit der Begründung, ein (radikales) Statement bzgl. der „Asylpolitik“ zu formulieren, hat das genauso etwas mit dieser abstrahierten Form des Rassismus zu tun wie mit den Hetzreden eines ehemaligen Krimiautors. Diese absonderliche, irrationale Angst eruiert nicht in der Annahme, „das Fremde“ wäre gefährlich und somit „bekämpfenswert“, sondern dezidiert „das islamische Fremde“. Wenn der (metaphorische) Kopf der Kanzlerin und des Vizekanzlers gewünscht wird, ist das keine Kritik, sondern eine geistige Verbundenheit der reellen Gefahr, die jedoch nicht in Deutschland vorhanden ist. Diese geistige Solidarität mit der Perversion des IS, der ebenfalls die Hinrichtung als legitimes Mittel propagiert, um die Meinung und Ideologie kundzutun, wurde spätestens diese Woche mit der speziellen, deutschen Komponente „verfeinert“, in der gewisse Formen der Liquidierung unliebsamer Menschen nachgetrauert wird, und dies auch brav applaudiert wird. Das Niederstechen von Henriette Reker kann sich als Einzelfall lesen, doch steht sie stellvertretend für die Radikalisierung, die gerne verschwiegen oder unter dem euphemistischen Deckmantels der Meinungsfreiheit abgewunken wird. Als vor einem Jahr das Wort fiel vermochte noch niemand daran zu denken, dass 12 Monate später der erste Mensch fällt – durch die Hand derjenigen, die das Wort propagierten. Von „Wir sind das Volk!“ zum brennenden Flüchtlingsheim, zum versuchten Mord – dieser Verlauf, in gerade einmal einem Jahr vollzogen, zeigt auf, dass der Rechtsterrorismus in der Mitte der Bevölkerung angekommen ist. Und wenn der Landespolitiker Björn Höcke in der Sendung bei Jauch sich von der Tat distanziert, doch das Wort, das erst die Tat ermöglichte, verteidigt und es in der Dialektik weiterführt, heißt, von einem „deutschen Erfurt“ spricht, was bitte „deutsch“ zu bleiben hat, ist dies zwar gedeckt von der Meinungsfreiheit, doch in der Wurzel dessen keimt die Brut dessen auf, die das Wort als Anleitung zur Tat verwendet, um Deutschland in eine Hässlichkeit zu katapultieren, die Rostock-Lichtenhagen in nichts nach steht.

Wenn Flüchtlingsheime brennen, mit der Begründung, die islamische Fremde fernzuhalten, gilt es zu sprechen vom Terrorismus. Wenn Bürgerinnen und Bürger, Reporterinnen und Reporter tätlich angegriffen wurden, weil das Wort als Legitimation keinen Fuß fassen mehr kann, gilt es zu sprechen vom Terrorismus. Wenn ein Mensch, der sich gegen die Ideologie dessen stellt, niedergestochen wird, mit dem Verweis, dies als Statement verstanden zu wissen, gilt es zu sprechen vom Terrorismus. Diese Bewegung als „Pack“ zu bezeichnen, verkürzt den Grad und die Auswirkung, da die Gefahr unterschätzt wird, wenn im selben Moment Horst Seehofer Viktor Orbán einlädt, und er in jenem Metier hofiert und applaudiert wird. Das ist kein nationales Phänomen, da die Krise und die Entwicklung internationales Ausmaß hat. Doch das spezifisch deutsche Phänomen definiert sich durch die Existenz der breiten Masse in der Mitte der Bevölkerung, die die „Sorgen“, die eigenen, auf eine Ideologie münzt, die final ihr eigen Scheitern zum Ziel hat. Wer Montags auf die Straße geht und „Wir sind das Volk!“ brüllt, tritt nicht als Vertretung eines Volkes auf, das eine homogene Meinung hat, sondern tritt als Einzelperson auf, die sich als Teil einer Bewegung definiert, die nationalsozialistische Verherrlichung in kauf nimmt, um eine Meinung zu skandieren, die in Höckes Rede des „1000 Jahre Deutschland!“ mündet. Wer nun sagt, Akif Pirinçcisei eine Einzelerscheinung, die sich in eine amoralische Wutrede prostituierte, der verkennt die Gefahr und nimmt den Mitläufer in Schutz unter der Prämisse, erst jetzt das wahre Gesicht der Bewegung zu erkennen. Die Projizierung des politischen und religiösen Islam als allgemeingültige Vertretung des terroristischen Islamismus dient nicht der Verteidigung eines Abendlandes, dem sich die Bewegung nur wortklauberisch zugehörig fühlt, sondern des Schürens eines nationalistischen Gefühls im Zusammenspiel eines sozialen Mitgefühls, das sich nicht nur gefühlt an deutschvölkische Bewegungen des 20. Jahrhunderts orientiert.

Wer sagt, 70 Jahre nach Befreiung von Auschwitz ist ein Schlussstrich legitim, der sagt, eine deutschvölkische Bewegung ist inexistent. Wer sagt, eine ständige Erinnerung an Auschwitz dient nicht der Weiterentwicklung, sondern birgt nur Stagnation, der verschweigt die Korrelationen zur heutigen Lage und die Konsequenz, die daraus zu ziehen ist. Wer sagt, wir haben kein Problem mit rechter Gefahr, der überhöht die bekennenden Worten von Menschen bei Pegida, die „Nazi“ positiv für sich vereinnahmen. Die verbalen Brandstifter stehen nicht nur auf dem Podest der Bewegungen, sondern auch in Parlamenten. Distanzierungen von Taten erscheinen wie eine lose Worthülse, wenn das (hetzende) Wort weitergesprochen wird und durch Polemiken zementiert, die nicht an Galgen-Attrappen halt machen. Der „Kampf“ gegen die Islamisierung ist kein Kampf gegen den Islam als Religion, sondern es ist ein Kampf für rein deutsche Werte, die zu recht der Vergangenheit angehören, womit sie, rein der ideologischen Auffassung dessen, jede Verteidigung legitimieren, die eine „Gefahr“ für eine Kultur darstellen. Eine Kultur, die in der Shoa ihren perversen Höhepunkt fand. Oder, um es mit Silvio Lang zu beenden, der jüngst in einem Interview sagte: „Bis Ende des Jahres reden wir hier über Tote.“

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