POL1Z1STENS0HN als Ventil der Kontroverse

Ich hab' Polizei Ein Kommentar zu Jan Böhmermanns "Ich hab' Polizei" und die Problematik des (medialen) Echos.

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Spätestens seit dem #VaroufakisMittelfinger sollte dem Großteil Jan Böhmermann ein Name und ein Gesicht sein. Vor einer Woche wurde auf dem YouTube-Kanal zu NEO MAGAZINE ROYALE ein Musikvideo mit dem Titel „Ich hab' Polizei“ hochgeladen. Böhmermann, der sich in dem Video als „POL1Z1STENS0HN“ gibt, hat einmal mehr ein diametral-mediales Echo hervorgerufen, das jedoch anders als bei Varoufakis keine konsensuale Reaktion hervorruft, ob der positiven Google-Bewertung. Die journalistischen Interpretationen überschlagen sich im Netz und eruieren in einem Wettlauf, wer nun die stringendste und ausführlichste Analyse hervorzubringen mag. Gerade in diesem Verhalten wird die Schwachstelle der Kritik konzentriert, die Böhmermann und sein Team beim Varoufakis-Video formulierten. Die technischen und entkontexualisierten Textanalysen lassen bei einigen den Entschluss zu, dass es sich wohl um ein „Rap Battle“ handelt, wie es so nicht selten ist im HipHop-Genre. Trotz der nicht großen Sympathie für Böhmermann dementierte der Künstler Haftbefehl jedoch diesen Vermutung jüngst, auch in Verbindung mit seinem neusten Werk, welches eine vermeintlich ähnliche Thematik behandelt. Der parodistische Effekt wird von den Konsument*innen größtenteils angenommen, jedoch unterschiedlich interpretiert, teils aufgrund selektiver Analytik oder bewusster Distanz, was zur folge hat, dass die Thematik unkritisch reflektiert wird. Abseits der Technik, ob narrativ, musikalisch oder filmisch, wird die Grundaussage teils fehlinterpretiert, sowohl von Verteidiger*innen als auch von Gegner*innen, wobei es wohl Konsens ist, eine (fehlinterpretierte) Kritik unisono in eine verschwörungstheoretische Ecke zu verfrachten. Das Faktum, dass die (Bundes)Polizei in dem Video gar nicht so gut wegkommt, ergo eine Kritik an der Behörde formuliert wird, zwar positiv konnotiert, in dem Sinne, sie verteidigend zu wissen, wird oft aufgefasst, in dem Jan Böhmermann fehlendes Urteilvermögen vorgeworfen wird, andererseits wird gerade durch besagte Assoziation dem Wort „Staatsgewalt“ eine andere Bedeutung geschenkt, die trotz der Aussage „Polizei hat dieses Jahr sieben Leute abgeknallt!“ ein Gefühl der Sicherheit zu schenken vermag, wie in vielen Kommentaren zu erfahren ist, in dem plötzliche Sympathien oder auch der Vergleich mit einem Image-Film geäußert und gezogen werden.

Die Kritik, die subtil erscheinen mag, getarnt als plakativ-naives HipHop-Narrativ, verliert in der Unterstützung nicht ihre Substanz, jedoch verschleiert es die direkte Auseinandersetzung. Für eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Werk fehlt es schlicht an einer aussagekräftigen Message, obschon Polizeigewalt und auch die Dehnung des rechtlichen Spielraums angesprochen werden, doch gerade durch die satirische Überhöhung Böhmermanns und des einschlägigen Beats, mag das Video als karikaturistisches Projekt nicht funktionieren, da die Metaebene und der mediale Spiegel, den es vorzuhalten gilt, nicht so funktionieren wie bei Varoufakis. Ob das am musikalischen Stil liegt, gilt zu bezweifeln, da gerade polizeiliche Thematiken in dem Genre, in der Regel negativ abgestimmt, besprochen werden, wobei gerade musikalisch-stilistisch eher die Form der Thematisierung als parodistisches Element verstanden wird, als der Inhalt an sich. Dabei ist die Kunstfigur (und Persönlichkeit?) Jan Böhmermann durchaus eine Person öffentlichen Lebens, die kontrovers und provozierend funktioniert, ob, oder gerade wegen, der Polemik, die sie sich bedient. Der Unterschied zu straffen Satire eines von Wagners oder Uthoffs liegt nicht in der polemischen Ausbreitung, sondern in der Form der Präsentation. Man könnte Böhmermann als einen Pausen-Clown der Öffentlich-Rechtlichen bezeichnen, der gerne nervt und sich nicht den Mund verbieten lässt, wie in seinen Reaktionen auf Kommentare herauszulesen und -hören ist. Dennoch wurde ihm die Schärfte nicht geschenkt, was dann stets zu ostentativen Auseinandersetzungen im virtuell-medialen Umfeld führt (man vergleiche seine Meinungen zu YouTubern), sie funktionieren jedoch, weil sie auf eine Zuschauer*innengruppe zugeschnitten ist, die den Humor und Stilistik konzentriert mit dem Vorschlaghammer präsentiert bekommen wollen, ohne eine wirklich seriöse Debatte anzustoßen, die zwar bei Varoufakis in gewissen Graden stattfand, jedoch auch hier schnell verblasste, und bei „POL1Z1STENS0HN“ schwer auszulösen ist, da es wohl aktuell kein Konsens ist, „Ich hab' Polizei“ als Vorwand für eine Diskussion über Formen der Polizeigewalt zu führen, da das neuste Werk von Böhmermann trotz der Schwächen eines prägnant, zusätzlich unterstrichen durch die Reaktionen, enttarnte: Polizeiliche Gewalt wird größtenteils in dem Kontext akzeptiert, wenn sie einem nicht selbst widerfährt. Gerade in der aktuellen, globalen Krise, die auch Europa direkt erfährt, konnte das Video zu keinem besseren Zeitpunkt veröffentlicht werden.

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