Für immer und Dich

Liebesbrief Nermina Kukic gratuliert dem Bochumer Schauspiel zum 100-jährigen
Ausgabe 07/2019

Ich schicke einen Liebesbrief an die Saladin-Schmitt-Straße, Ecke Tana-Schanzara-Platz, gegenüber Shakespeare-Platz, Königsallee 15, 44789 Bochum.

Geliebtes Theater,

kennst Du mich noch? Ich weiß, Du hast größere Namen in hellerem Licht erstrahlen lassen als mich, aber ich erinnere mich durch die Bier- und Zigarettenschwaden in der Kantine an alles, Für immer und Dich!

Du, mit deinem schlanken Säulenportal, von den Engländern 1944 bis auf die Grundmauern zerstört und als „vorbildliches Bauwerk seiner Zeit“ 1951 – 53 wieder aufgebaut. Der rote Backstein steht Dir gut und deine goldfarbenen Messingleisten und Kronleuchter erst! Du denkmalgeschütztes, viel geliebtes altes Haus, Du!

Als ich in der Spielzeit 1993/94 an die Schauspielschule kam, schloss Intendant Frank-Patrick Steckel noch persönlich vor jeder Vorstellung im großen Haus die letzte Tür im Zuschauerraum. Ich habe damals erlebt, wie zwanzig 16-jährige Italienerinnen auf Klassenfahrt Martin Feifel als Hamlet beim Applaus zugekreischt haben, wie früher die Mädchen bei den Beatles. Und später sah ich reihenweise männliche Schauspielstudenten in Ohnmacht fallen, beim Anblick von Anne Tismer in Musik.

Viele werden jetzt bei Deinem Jubiläum wieder von Schalla, Zadek und Peymann schreiben, ich würde Letzteren gern fragen wollen, warum Tana Schanzara (1925 – 2008) bis auf ein Gastspiel (1990 in Peter Turrinis Tod und Teufel als „Figur einer alten, versoffenen Frau“) eigentlich nie Burgschauspielerin geworden ist? Oder wollte sie nicht?

Ich weiß noch, wie Tana Schanzara den Malersaal betrat, wo wir Schauspielstudenten bei den Proben für die Eröffnungspremiere des Steckel-Nachfolgers Leander Haußmann für Platonow – Die Vaterlosen zuschauen durften. Tana fragte: „Was für Wörter muss ich denn sagen?“ und „Ham die beiden oder ham se nich?“ (Also Platonow und die jeweilige Frau, die grad dran war.) Ich erinnere mich, wie Haußmann ihr antwortete, er wisse es nicht. Später hat sie dann für alle Pizza bestellt, weil: „Wer orntlich arbeiten will, muss orntlich essen!“

Überhaupt Leander Haußmann, der wie bei der Woody-Allen-Verfilmung Purple Rose of Cairo (also nur umgekehrt) zu uns aus der Nil-Zigarettenwerbung herabgestiegen war, der nicht nur seine ganzen DDR-Kumpels aus dem Osten mitbrachte, sondern uns auch Jürgen Kruse und Dimiter Gottscheff (1943 – 2013) als Hausregisseure bescherte. Mit Kruse hat er sich sogar mal in der Kantine gekloppt, aber wohl kaum wegen mir, ich war an dem Abend ausnahmsweise mal nicht da. Bei Gottscheff durfte ich mal eine Übernahme in Dona Rosita bleibt ledig machen und er verfeinerte meine erste Improvisation mit den Worten: „Und jetzt suchst du noch die Eleganz und dann wird das gut.“ „Mitko“ mit seinem schönen bulgarischen Akzent, der den Schauspielern in der Kantine große Schalen mit Pommes auf den Tisch stellen ließ bei der Probenbesprechung. „Mitko“, leider viel zu früh verstorben, Dimitra Petrou (1965 – 2005), die schöne, kluge Dramaturgin, noch früher, noch jünger, aber in der Erinnerung Deiner Mauern leben sie alle fort, die Menschen aus meiner und jeder anderen Zeit. Die auf und die hinter der Bühne.

Du hast einen richtigen Schriftsteller als Pförtner gehabt! Während auf der Bühne Handkes Die Stunde da wir nichts voneinander wussten ohne ein gesprochenes Wort über die Bühne ging, wunderbar traumverloren inszeniert von Jürgen Gosch, schrieb Wolfgang Welt (1952 – 2016), wenn er nicht gerade in seiner Pförtnerloge Indianerschmuck aus Glasperlen fädelte, gegen seine Depression an. Er und auch der Bergbau im Ruhrgebiet sind gestorben, aber Bochum hat für immer einen „Pulsschlag aus Stahl, man hört ihn laut in der Nacht“, und als ich dort als Schauspielstudentin über glühende Kohlen lief, hatte das Schauspielhaus Bochum ein Logo, das hat ihn sichtbar gemacht. In Liebe

Deine Nermina

Nermina Kukic lebt in Düsseldorf und arbeitet als Schauspielerin, Regisseurin und Autorin

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