Am 15. November ist es so weit: Bei Stützkow an der Grenze zu Polen öffnen sich die Schleusentore, tosend schießt das Wasser der Oder durch den Deich. Der Criewener Polder, eine durch Deiche eingeschlossene Fläche, wird langsam überflutet. Michael Tautenhahn steht auf einem Aussichtsturm und überblickt das Geschehen. „Früher ging es darum, Wasser schnell abfließen zu lassen“, sagt der stellvertretende Leiter des Nationalparks Unteres Odertal. Doch in Zeiten des Klimawandels sei es notwendig, „Wasser so lange wie möglich in der Landschaft zu halten“. Bis zum Frühling blieben die Wiesen geflutet, die Auenlandschaft habe ihr Lebenselixier zurück. Deutschlands einziger Auen-Nationalpark im Unteren Odertal bei Schwedt stand lange auf der Kippe. Bauern, die ab 1990 ihre Wiesen zurückbekamen, wollten dieses Eigentum nicht wieder hergeben. Auch heute noch gibt es Polder, die bewirtschaftet und deshalb nicht geflutet werden, nur etwa gut die Hälfte der Nationalparkfläche ist unberührte Natur. Mittlerweile aber steht „Nationalpark-Gemeinde“ am Ortseingang von Criewen, gibt es eine „Nationalpark-Buslinie“ und steigende Übernachtungszahlen. Ausgerechnet jetzt, da daraus eine Erfolgsgeschichte werden könnte, droht ein unwiderrufliches Ende: Polen will die Oder ausbauen, die Umweltverträglichkeit der Pläne ist bereits geprüft. Zwar hat das Land Brandenburg Einspruch erhoben. Sollte der in Warschau zurückgewiesen werden, könnten die Bagger 2021 rollen.
Beschleunigen, eingraben
Angefangen hatte alles nach dem Oderhochwasser 1997 mit der Weltbank: Polen erhielt umfangreiche Mittel zum Hochwasserschutz, um die maroden Oderdeiche südlich von Szczecin wieder aufzubauen. Im Zweiten Weltkrieg zerstört, war danach aus dem Poldersystem zwischen Ost- und Westoder ein Feuchtbiotop entstanden, das nun wieder eingedeicht werden sollte. „Allerdings konnten die Polen nicht nachweisen, dass neue Deiche Szczecin wirklich besser gegen Hochwasser schützen“, so Tautenhahn. Damit waren die Flussbaupläne vom Tisch.
Dachten die Naturschützer. Tatsächlich erarbeitete die Bundesanstalt für Wasserbau in Karlsruhe 2014 im Auftrag der polnischen und deutschen Schifffahrtsverwaltungen ein „Stromregulierungskonzept“. „Eine Verbesserung des ökologischen Potenzials der Grenzoder“ war „kein definiertes Ziel“. Vielmehr sollte der Fluss für die Schifffahrt vertieft werden und im Mündungsbereich fast das ganze Jahre über 1,80 Meter Wassertiefe aufweisen. Dafür müsse es neue Buhnen geben, mit einer „Neigung von 1:10, beidseitig“, wie es im „Stromregulierungskonzept“ hieß. Gemeint waren Steinwälle, die wie Stachel in einen Fluss ragen, um ihn an den Rändern zu bremsen und in der Mitte zu beschleunigen. Ein Korsett, das die Oder schneller fließen und sich tiefer eingraben lässt, damit sie möglichst ganzjährig schiffbar bleibt.
Naturschützer reagierten entsetzt. „Unter dem Motto Hochwasserschutz kanalisiert das Projekt die Oder für die Binnenschifffahrt, zerstört die Natur und verschlechtert so die Hochwassersicherheit“, erklärte Radosław Gawlik vom Ökologischen Verband EKO-UNIA in Polen. Rocco Buchta vom Naturschutzbund NABU meinte: „Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie schreibt vor, Flüsse in guten ökologischen Zustand zu bringen. Die Ausbaupläne erreichen das Gegenteil.“
In seinem Büro kramt Michael Tautenhahn Luftbildaufnahmen eines Uferstücks der polnischen Seite hervor: „Hier wurde schon mal probehalber gebaut.“ Zu sehen sind Buhnen, die eine Art Mauer verbindet, der Zwischenraum ist mit Sand verfüllt. „So machst du aus einem lebendigen Fluss einen genormten Kanal.“ Sicher sei die Oder auch heute schon durch Buhnen reguliert, doch lasse sich mit diesem System die Artenvielfalt erhalten. Es verursacht an manchen Stellen eine starke Strömung, die das Wasser nicht vollends gefrieren lässt, sodass Fische überwintern können. Andererseits gibt es Schlammbänke mit geringer Strömung, wichtig für die Kinderstube seltener Arten wie Flussneunauge, Rapfen oder Bitterlinge. „Bei uns finden sie wegen der Buhnen verschiedene Flussströmungen und damit beste Lebensbedingungen“, so Tautenhahn. Es gehe um 2,5 Millionen Jungtiere des Baltischen Störs, die seit 2007 im nordöstlichen Brandenburg ausgesetzt sind. „Unser Wiederansiedlungsprogramm könnte 2021 Früchte tragen. Wir erwarten die ersten Tiere nach ihrer Reise in die Ostsee zum Laichen zurück. Die starke Strömung an den Buhnen sorgt für Kiesablagerung, und Kies ist notwendig, damit der Stör hier überhaupt laichen kann.“ Es geht ebenso um Vogelarten wie den Seggenrohrsänger, „der nur noch hier bei uns im Nationalpark brütet“, sagt Tautenhahn. „Wenn Polen seine Pläne zum Ausbau der Oder umsetzt, dann wird das den Nationalpark dauerhaft schwer schädigen.“ Die vergangenen Jahre seien durch Phasen extremen Niedrigwassers geprägt gewesen. Fließe die Oder tiefer, werde das letzte Wasser aus den Auen gezogen.
Alternative: Schiene
Im April genehmigte die polnische Behörde, dass allein auf Höhe des Nationalparks 65 Buhnen neu gebaut werden. „Wir haben dagegen Widerspruch eingelegt“, teilt ein Sprecher des Brandenburger Umweltministeriums mit. Die Prüfung auf Umweltverträglichkeit habe die Langzeitfolgen außer Acht gelassen. Noch gibt es keine Reaktion aus Warschau. Theoretisch könnte Brandenburg bei der EU gegen die Pläne klagen. Ob das freilich die Bundesregierung unterstützt, erscheint eher fraglich. Die deutsch-polnischen Beziehungen sind derzeit allein wegen des EU-Rechtsstaatsmechanismus belastet.
Nicht nur im Nationalpark soll die 162 Kilometer lange Grenzoder ausgebaut werden, auch bei Frankfurt, bei Küstrin und südlich von Schwedt. „Jeder Euro ist gut investiert“, sagt Kapitän Leszek Kiełtyka, fünf Schubkähne und zwei Motorfrachtschiffe gehören seiner Firma. Seit 40 Jahren befährt er die Oder und sieht im Ausbau die Zukunft seines Berufsstandes. Die zu bewältigende Fracht könnte mit gut 28 Millionen Tonnen im Jahr nahezu verdoppelt werden. Polnische Umweltschützer halten dagegen, dass die Alternative Schienentransport nicht genügend berücksichtigt werde. „Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass die Regierung mit öffentlichen Mitteln einen künstlichen Wettbewerb für die polnische Staatsbahn schafft, die im Laufe der Jahre modernisiert und subventioniert wurde“, heißt es in einer Stellungnahme der „Koalicji Ratujmy Rzeki“ (Koalition Rettet die Flüsse), die gegen die jetzigen Pläne vor europäische Gerichte ziehen will. Für den NABU-Experten Rocco Buchta geht es beim Oderausbau um mehr als nur den Ausbau eines Flusses: „Hier entscheidet sich, ob wir Menschen gewillt sind, im Einklang mit der Natur zu leben und sie zu respektieren.“
Kommentare 6
es gibt eine TV-Doku, die das projekt eines kanals vom schwarzen meer
über die oder zum baltischen meer kritisch behandelt.
kennen Sie die?
Ein - kann man nicht anders sagen - verbrecherisches Vorhaben. Wichtig, darauf hinzuweisen, was da droht.
Nur, die Gegenargumente sind zu schwach auf der Brust. Die Forderung danach, "im Einklang mit der Natur zu leben und sie zu respektieren", ist eine idealistische, eine moralische, eine, die von einem abstrakten Natur-Kultur-Verständnis ausgeht und die suggeriert, es gäbe die Möglichkeit, neben (!) einer quasi unberührt (!) zu lassenden "Natur" zu leben. Damit ist es für immer vorbei, seit der vergesellschaftete Mensch in die Naturgeschichte eintrat.
Heute gibt es nur die Alternative: Wird die Umwelt nach den Kriterien partieller (z.B. privatwirtschaftlicher) Interessen oder nach den Kriterien bekömmlicher Lebensbedingungen für das Natur-Kultur-Wesen Mensch, für alle Menschen gestaltet?!
Es gibt also zuerst eine ganz handfeste materialistische Begründung für Kritik an und Kampf gegen solche Projekte.
Dieses Projekt ist höchstwahrscheinlich auch wirtschaftlicher Unfug.
Es genügt ein Blick auf das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 17, das u.a. den Ausbau des Wasserstraßenkreuzes Magdeburg beinhaltete. Im zugehörigen Wikipedia-Artikel heißt es: "Der Bau der Trogbrücke und der Schleuse Hohenwarthe wurde mit Prognosen der Planco Consulting begründet. Diese sahen nach Fertigstellung des Wasserstraßenkreuzes eine Steigerung der Gütertransporte auf Mittellandkanal, Elbe-Havel-Kanal und Elbe um etwa 600 % voraus. Die für die Trogbrücke prognostizierten Zahlen wurden später mehrfach nach unten korrigiert. Im Jahr 2010 betrug das tatsächliche Verkehrsaufkommen auf den Kanälen etwa 10 Prozent, auf der Elbe etwa 5 Prozent der Prognosewerte und liegt damit mit Ausnahme des Mittellandkanals noch unter den Verkehrszahlen vor Bau des Wasserstraßenkreuzes."
Denke, das ist kein Problem des Ingenieurbaus, welcher Fachrichtung auch immer, sondern zuallererst eine Frage des deutsch-polnischen Verhältnisses. Also ein, ich sag mal, politisch-emotionales. Natürlich will sich Polen von uns ewig und beinah immer Bescheid wissenden Deutschen nichts sagen lassen. Da wächst sofort so eine Art nationaler Widerstand. Das hochemotionale und mit sehr tiefgehenden Wurzeln versehene "Noch ist Polen nicht verloren..." sollten gerade wir Deutschen mit unserem "Deutschland, über allles..." , auch wenn das gar nicht so plump gemeint sein mag (Es kommt jedenfalls so an!) sehr ernst nehmen. Tun wir aber oft nicht.
Habe vor kurzem gelesen, dass Willi Brandt in seiner für uns beinah unüberbietbaren Geste seines Kniefalles, für die "wir" uns dann nach einigem Zögern ausgiebig gefeiert haben, aus polnischer Sicht am falschen Denkmal gekniet hat. Demzufolge wurde da auch kaum drüber berichtet.
Die Auswirkungen von NorthstreamII auf das polnische Gemüt kann man sich als Deutscher wahrscheinlich nicht mal vorstellen. Sicher kann man das dann als simples finanzielles Interesse interpretieren. Das ist es aber überhaupt nicht. Die Teilungen Polens durch Preußen/Deutschland und SU/Russland sind tief im polnischen Bewusstsein verwurzelt. Zu Recht! Und damit lässt sich dann so manche, uns völlig irrational erscheinende Politik machen.
Man sollte annehmen, dass es Satellitenaufnahmen von der Ausbreitung der Oder bei dem großen Hochwasser gibt. Da brauchte man "nur" noch ein paar, rein rechnerische Zugaben, die sich mit der Kenntis der Höhenverhältnisse sicher errechnen lassen, zu machen und man hätte die EINIGERMAßEN NATÜRLICHE(!) Ausdehnung der Oder bei den nächsten zu erwartenden Hochwassern.
Wer einen Hammer hat, dem sei alles ein Nagel, habe ich mal irgendwo gelesen. Folglich gilt dann:
Wer Maschinen und Geld usw. für den Deichbau hat, dem ist der Deich die Lösung und Methode. Scheint mir ein größeres Problem dahinter verborgen zu sein.
Die Oder schleppt viel Sediment mit sich. Und sie kommt mit ihrem Grund damit regelrecht Jahr für Jahr höher. Folglich müssen die Deiche schneller wachsen. Simple Logik:Wenn dann die hochgebauten Deiche brechen, kann man sich mühelos die Katastrophe vorstellen.
Und Klimawandel wäre ja dann auch noch ein Stichwort zu den Entwicklungen, die wir da zu erwarten haben.
Hatte das große Glück in den Wendewirren im Müritz-Nationalpark ein Seenprojekt zu bearbeiten. Ein Jahr lang ziemlich unberührte Natur. Traumhaft. Auch wegen sowjetischer Übungsplätze und sogar wegen Willi Stophs abgesperrtem Privatferien"häuschens". Aber schon baldd musste das Gebiet gegen(!) die unvermeidlichen Touristen und sonstige Interessen geschützt werden.
Baut Polen mit EU- oder sonstigen Mitteln einen 8 m hohen Deich hin, dann fließt das Wasser halt nach D. Rüsten(!!!) wir hingegen auch auf. Z.B. mit einem 10 m-Deich, dann läuft das Wasser eben nach Polen. Zwischendurch und vorher und natürlich dann auch danach geschieht aber noch ganz anderes. Geradezu Gefährliches. Und das ist nichts Gutes und kann es auch nicht sein.
So, dann wäre ich mal wieder in der Schleife, dass eh nix geht. Befremdet mich ja längst selbst.
Unberührte Landschaft gibt es nicht mehr. Selbst in den tiefsten Tiefseegräben der Ozeane wurde mittlerweile Plaste nachgewiesen. Dass Polen dann in seinen Urwäldern gegen jede Vernunft aber für Geld die alten Bäume umhaut, scheint mir nur noch eine Kleinigkeit zu sein.
Wir sollten uns zuallererst von dem liebgewordenen Gedanken, es sei ja schon fünf vor zwölf, verabschieden. Es ist schon lange 10 nach zwölf. Oder noch später. Dass wäre m.E. das Allererste, dass wir alle verstehen und akzeptieren müssten. Einige wissen das immerhin. Aber.....
Danke für den Hinweis. Das Projekt kenne ich, die Doku allerdings nicht. Immerhin bin ich überzeugt, dass daraus nichts wird: Jede Kosten-Nutzen-Analyse kommt genau zu diesem Ergebnis.
wenn Sie da mal nicht die nationale energie des kkk* unterschätzen!
*kkk=katholisches kaczynski khalifat.