GroKo des Untergangs

Ökopolitik Eine Regierung, die den Klimawandel nicht radikal bekämpft, gefährdet die Demokratie
Ausgabe 48/2019

Endlich ist die Debatte dort angelangt, wo sie den Kern trifft: Ist die Demokratie in der Lage, die Klimakrise zu lösen? Es war ausgerechnet der Bundespräsident, der das bislang größte Verdienst der „Fridays for Future“-Aktivisten herausschälte: Keine andere gesellschaftliche Bewegung habe so viel Aufmerksamkeit für ein Thema in den letzten Jahren erreicht, sagte Frank-Walter Steinmeier, um Fridays for Future dann vor apokalyptischen Bildern zu warnen. „Denn Apokalypse lähmt“, dadurch würden „die Möglichkeiten der Demokratie immer kleiner geredet.“

Von Greta Thunberg stammt der Spruch: „Ich will, dass ihr in Panik geratet.“ Experten, die sich mit der Klimakrise schon beschäftigten, als die Aktivistin noch nicht geboren war, wissen, was gemeint ist. Kann ja sein, dass Bremen 2089 noch nicht vom steigenden Meeresspiegel verschluckt ist. Wenn wir aber jetzt nicht radikal handeln, wird der Lebensraum von 17 Prozent der Weltbevölkerung 100 Jahre später garantiert überflutet sein – ein Puzzleteil jener Zukunft, die uns panisch machen sollte.

Demokratisch betrachtet ist die Politik der Steinmeiers, Merkels, Altmaiers deshalb zutiefst undemokratisch: Mangelhafte Klimapolitik heute wird das Leben unserer Enkel so radikal verändern wie schon lange nichts anderes mehr. Die Wissenschaft hat errechnet, dass die Schäden der Klimaerhitzung die Menschheit deutlich teurer zu stehen kommen als die Verheerungen von Weltkrieg eins und zwei zusammen; Ende des Jahrhunderts werden es 20 Prozent des weltweiten Bruttosozialproduktes sein, wie der Ex-Chefökonom der Weltbank, Nicolas Stern, 2006 ermittelte. 20 Prozent – und zwar jedes Jahr! Doch statt Inlandsflüge abzuschaffen, ein Tempolimit einzuführen, Kohlekraftwerke stillzulegen oder wenigstens die Erneuerbaren auszubauen, macht die GroKo weiter, als sei die Apokalypse noch gar nicht in Sicht. Sie beruft sich dabei ausgerechnet auf die Demokratie.

Sicherlich: Die Bündnisgrünen – unterstellt man einmal, sie seien eine Klimaschutzpartei – wurden bei der Bundestagswahl 2017 von lediglich 8,9 Prozent des Wahlvolks beauftragt, ihre Interessen zu vertreten. Aber liegt das nicht vielleicht an der fehlenden Panik im Wahlvolk?

Klimapolitik ist so alt wie diese Bundesrepublik, am 7. November 1990 beschloss das erste gesamtdeutsche Kabinett das erste gesamtdeutsche Klimaziel: minus 25 Prozent bis 2005. Das Problem ist also längst erkannt; wenn es so gravierend ist, dann werden sich die Zuständigen sicher genauso kümmern wie der Postbote um den Brief oder die Pilotin um die Landung.

Auf den Fridays-for-Future-Plakaten steht: „Macht ihr Eure Hausaufgaben, dann machen wir unsere!“ Für den Soziologen Dieter Rucht ist klar, dass es diesen Aktivisten nicht nur um Klimapolitik geht, „sondern dass zunehmend andere und tieferliegende Bereiche gesellschaftlicher Ordnung thematisiert und kritisiert werden“. Waffenexport, Atom, Müll: Im März ketteten sich Teenager in der Kuppel des Reichstages an, um neben mehr Klimaschutz auch ein Kinderwahlrecht einzufordern und ein Vetorecht der Jugend in zentralen Fragen der Zukunft.

Alternative Ökofaschismus

Aber ist es erstrebenswert, Teil eines Systems zu werden, das ein Problem erst kreiert, statt es zu lösen? Seit dem ersten deutschen Klimaziel hat sich der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen fast verdoppelt, an der Spitze des Pro-Kopf-Ausstoßes stehen ausgerechnet die aufgeklärten Demokratien dieser Welt, die USA, Australien, Deutschland, Großbritannien, Kanada; Frankreich nur deshalb nicht, weil der Atomstaat unfreiwillig der Klimakrise das Atomproblem vorlagerte. Lauter Demokratien, die nicht bereit sind, ihren individuellen Treibhausgasausstoß zu reduzieren, andererseits aber Afrikanerinnen, Indern oder Philippinern nicht zugestehen wollen, die Atmosphäre in selbem Maße zu verpesten wie sie selbst.

Die Alternativen sind wenig verlockend: Der französische Sozialphilosoph André Gorz entwickelte in den 1970ern einen Totalitarismus, der keine individuellen Grundrechte mehr kennt und das Staatshandeln ökologischen Zielen unterordnet; man könnte Ökofaschismus dazu sagen. Wolfgang Harich, Marxist und Querdenker in der DDR, setzte dem einen Öko-Kommunismus entgegen: Massenentzugskuren und Güterkontingente sollen die Apokalypse verhindern. Herbert Gruhl, Mitgründer der Grünen, entwarf die Idee des „kontrollierten Kapitalismus“: Ein autoritärer Staat müsse seinen Bürger Verzicht abverlangen und die Ökologie ins Zentrum stellen.

Wer auch in Zukunft in einer Demokratie leben möchte, der muss sich heute gegen SUVs, gegen übermäßigen Fleischkonsum, gegen Kaffeekapseln und Ölheizungen einsetzen. Wer unsere Freiheiten zukunftssicher machen will, der muss für Windkraft, für Konsumverzicht, für den Kampf gegen klimaschädliche Individualfreiheiten und für die richtigen politischen Rahmenbedingungen streiten.

Nur wer sich heute für kleine Freiheitsverluste einsetzt, kann große Freiheitsverluste in der Zukunft verhindern. Wir brauchen also diese Klimademokratie, um die Demokratie zu retten.

Nick Reimer schrieb u. a. Schlusskonferenz. Geschichte und Zukunft der Klimadiplomatie

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