Al Gore sprang von seinem Stuhl auf, altgediente Klimadiplomaten kreischten wie junge Groupies. Als Konferenzpräsident Laurent Fabius den Hammer fallen ließ, lagen sich die Teilnehmer des Klimagipfels in Paris in den Armen. Der 12. Dezember 2015 war ein Tag der Erleichterung und der Freudentränen.
Vor einigen Wochen kamen die Politiker noch einmal zusammen, diesmal in New York. 175 Staaten haben dort den im Dezember verhandelten Klimavertrag offiziell unterschrieben. Für Deutschland war Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) an den UN-Stammsitz gereist. „Jetzt kommt es darauf an, das Abkommen so schnell wie möglich mit Leben zu füllen“, erklärte sie. Nur hat der Pariser Vertrag einen Schönheitsfehler. Es sind keinerlei Sanktionen vorgesehen für den Fall, dass ein Land sein Reduktionsziel verfehlt.
Was unternimmt eigentlich Deutschland für die Vertragserfüllung? Die Bundesregierung hatte beschlossen, bis 2020 den Treibhausgasausstoß 40 Prozent unter den des Jahres 1990 zu senken. Tatsächlich hat Deutschland bis zum vergangenen Jahr erst 27,7 Prozent geschafft. Auf die vergangenen 25 Jahre umgerechnet ist das eine jährliche Reduktion von 1,1 Prozent – und da ist der Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft schon mit eingerechnet.
Zaghafte Schritte
Wollte die Bundesregierung ihr Klimaziel noch erreichen, wäre eine jährliche Reduktion von gut drei Prozent notwendig. Und weil bis 2020 auch noch die Atomkraftwerke Gundremmingen B und Philippsburg 2 abgeschaltet werden sollen, müsste die Politik ihre Bemühungen um die Energiewende deutlich verstärken. Das geht nur, wenn die Große Koalition einen Braunkohleausstieg beschließt. Diese Art der Stromerzeugung ist die mit Abstand klimaschädlichste. Die Lichter gingen bei einem Ausstieg auch nicht aus, es gibt genug Strom. 2015 haben Kraftwerksbetreiber 50 Milliarden Kilowattstunden Strom exportiert, acht Prozent des deutschen Stromverbrauchs.
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte vergangenes Jahr erste zaghafte Schritte Richtung Ausstieg gewagt: Eine „Klimaabgabe“ sollte Braunkohlenstrom so teuer machen, dass die Konzerne freiwillig Blöcke vom Netz nehmen würden. Dagegen liefen Lobbyisten und Parteifreunde aus Brandenburg und Nordrhein-Westfalen Sturm. Aus der Klimaabgabe wurde die „Kraftwerksreserve“. Einige besonders alte und ineffiziente Kraftwerke müssen nun abgeschaltet werden, die Betreiber bekommen aber einige Jahre von den Stromkunden weiter Geld überwiesen – allein für den Stand-by-Modus. Könnte ja sein, dass die Anlagen irgendwann doch noch mal gebraucht werden.
Wie schwierig und langwierig der Kampf gegen die dreckige Kohle ist, zeigt ein Blick nach Ostdeutschland. Beim Kohleausstieg wird immer zuerst an das Ruhrgebiet und seine Schwerindustriehistorie gedacht, aber auch in Brandenburg beschäftigt das Thema die Menschen schon lange.
Im Sommer 1989 hatten bereits 82.000 Menschen unterschrieben. Dabei waren nichtstaatliche Unterschriftenaktionen in der DDR streng verboten. „Eine Mark für Espenhain“ nannte sich die Aktion, die sich gegen die Braunkohle im Allgemeinen und gegen den Standort Espenhain im Süden Leipzigs im Speziellen richtete. Die Unterschrift sei keine Unterschrift im Sinne einer Unterschriftenliste, argumentierten die Initiatoren. Die Unterschrift sei eine Quittung für die Spende: „Eine Mark“ wurde zur Finanzierung einer Rauchgas-Entschwefelungsanlage gesammelt. Die SED sollte gezwungen werden, etwas für die Umwelt zu tun.
Im Herbst fand sich unter den Parolen auf den Montagsdemonstrationen dann auch die Forderung „Umweltschutz statt Umweltschmutz“. Der SED-Bezirkssekretär sagte am 30. Oktober 1989 vor 20.000 Demonstranten in Cottbus einen Dialog „auf vernünftiger Basis“ zu. Tage später gründete sich die Grüne Partei der DDR. Im Gründungsaufruf heißt es: „Sofortiger Handlungsbedarf besteht in den ökologischen Katastrophengebieten im Raum Leipzig-Bitterfeld-Halle, Dresden-Karl-Marx-Stadt und Cottbus.“ Tatsächlich gelang es den Runden Tischen, manch besonders umweltschädlichen Betrieb zu schließen. Und die Vertreibung von Menschen wegen neuer Tagebaue – das sollte es nie wieder geben auf ostdeutschem Boden.
Entsprechend heikel war in den Jahren danach die Mission für Manfred Stolpe, den ersten Ministerpräsidenten von Brandenburg. Der SPD-Mann regierte mit den Grünen in einer Ampel. Im April 1993 war das sorbische Dorf Horno unter Denkmalschutz gestellt worden. Aber das war westdeutschen Konzernen wie Rheinbraun oder der Bayernwerk AG egal. Die hatten das Lausitzer Kohlegeschäft aufgekauft und forderten nun, den Tagebau Jänschwalde ausbauen zu dürfen. Horno sollte weichen. In der namentlichen Abstimmung enthielt sich Stolpe. Nachdem die Gerichte den letzten Versuch, das Dorf-Oval um Anger und Kirche zu erhalten, abgeschmettert hatten, sagte Stolpe 1998: „Horno ist mit Sicherheit das letzte Dorf, das der Braunkohle weichen muss.“ Eine Fehleinschätzung.
Der heutige Ministerpräsident Dietmar Woidke stammt selbst aus der Lausitz. Sein eigenes Heimatdorf sollte selbst schon zweimal abgebaggert werden. Aber jetzt nannte Woidke die Entscheidung von Vattenfall, seine Lausitzer Braunkohlensparte an die tschechische Investorengruppe EPH zu verkaufen, „eine gute Nachricht für die ganze Lausitz, weil vom Bergbau auch viele Dienstleister und Zulieferer abhängen“.
Es geht um 7.500 Kohlekumpel und die Jobs von etwa 16.000 Zulieferern. Vattenfall hatte sich 2002 das klimaschädliche Braunkohle-Geschäft für 1,7 Milliarden Euro gekauft. Nun zahlt der schwedische Staatskonzern den tschechischen Investoren sogar noch 1,7 Milliarden Euro, dafür muss EPH später auch den Dreck wegräumen und die Landschaft rekultivieren. „Wir sind sehr zufrieden mit dem Deal“, erklärte Vattenfalls Chef Magnus Hall.
Mit der Kohle lässt sich in Deutschland derzeit kein Geld verdienen. Das liegt einerseits am Ökostrom: Weil der Einspeisevorrang genießt, gibt es oft ein Überangebot an der Strombörse. Andererseits liegt das an den verkauften Kraftwerken: Jänschwalde, Boxberg, Schwarze Pumpe und das Kraftwerk Lippendorf sind Megablöcke, die nur schwerfällig an- oder abzufahren sind. Deshalb verschenkte Vattenfall Strom lieber, als ihn nicht zu produzieren – etwa wenn viel Wind ins Netz drückte.
Wie also will der tschechische Investor EPH Geld verdienen? Die Wirtschaftszeitung Hospodářské noviny erkannte darin eine „Wette darauf, dass die Energiepolitik einiger europäischer Staaten nicht durchdacht ist“ – gemeint ist die Energiewende in Deutschland. Wenn 2022 das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht und der Ausbau der Erneuerbaren jetzt so abgewürgt wird, wie von CDU und SPD im Bundeskabinett avisiert, könnte aus der Braunkohle wieder ein lohnenswertes Geschäft werden.
Für die tschechischen Investoren ist der Deal aber noch aus einem weiteren Grund von Interesse. In Tschechien gibt es ein Ausstiegsgesetz, das bestimmt, dass der Abbau im nordböhmischen Fördergebiet nur innerhalb der bestehenden Tagebaugrenzen erfolgen darf – und damit faktisch im Jahr 2022 enden wird.
Wieder Umsiedlungen
Lausitzer Dörfer könnten also für eine Torpedierung des tschechischen Kohleausstiegs abgebaggert werden. Klimapolitisch ein Irrwitz Denn EPH kauft sich nicht nur die Tagebaue, sondern streicht auch deren Erweiterungen ein, die Woidkes Landesregierung zugestanden hat. Vattenfall hatte vor Jahresfrist die Umsiedlungspläne gestoppt, jetzt werden sie wieder real: Für das Abbaugebiet Nochten müssten 1.700 Einwohner zwangsumgesiedelt werden, für den genehmigten Ausbau der Grube Welzow-Süd trifft es etwa 800 Menschen.
Aber nicht nur die alte Kohle-SPD ist andiesem Dilemma schuld. 2008 hat die Linkspartei das Volksbegehren „Keine neuen Tagebaue“ mitinitiiert. Und sich das Ziel 2009 ins Wahlprogramm geschrieben. Um dann in der Regierung neuen Tagebauen zuzustimmen. „Wir wissen alle, dass Heimat zerstört werden muss – und für jeden, der so eine Entscheidung fällen muss, ist das ein Riesenproblem“, hatte Margitta Mächtig, Fraktionsvorsitzende der Linken, nach dem Parteitagsbeschluss erklärt.
Wir wissen jetzt auch, für wen die Lausitzer Heimat zerstört wird: Der eine Investor ist Petr Kellner, mit acht Milliarden Dollar Vermögen laut Forbes der reichste Tscheche mit privater Boeing 737. Der andere ist der Multimilliardär Daniel Křetínský, der italienische Sportwagen liebt.
Die Linkspartei hat als Reaktion auf die Panama Papers eine Quellensteuer vorgeschlagen. Laut Panama Papers betreiben Kellner und Křetínský ein Geflecht von Scheinfirmen in Steueroasen. Besser als die Quellensteuer wäre es also, das Wahlversprechen 2009 einzuhalten: keine neuen Tagebaue. Auch nicht für Multimilliardäre.
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